Dass es die AfD nicht so sehr hat mit der Wirklichkeit des frühen 21. Jahrhunderts, das hat sie schon mit Bergen von Anträgen auch im Sächsischen Landtag gezeigt, mit denen sie versucht, die Vorstellungen einer vergangenen autoritären Gesellschaft als neue Gesetze ins Gespräch zu bringen. Im September versuchte sie ihr antiquiertes Familienbild mit dem Schlagwort „kindgerechte frühkindliche Sexualerziehung“ im Verfahren zu platzieren.

Die zentrale Aussage, die die älteren Herren aus der hellblauen Fraktion formuliert haben, lautet: „Die Staatsregierung wird aufgefordert, im Entwurf zur Neufassung des Gesetzes über Kindertageseinrichtungen (SächsKitaG) und bei der Fortentwicklung bzw. Erstellung eines neuen Sächsischen Bildungsplanes 1. ein positives Bild des Lebensentwurfs traditionelle Familie als Lerninhalt in allen Kinderbetreuungseinrichtungen zu verankern; 2. die Relativierung der Familie aus Mutter, Vater und Kindern in der Öffentlichkeit und im Bildungsbereich zugunsten anderer Lebensentwürfe zu unterbinden.“Schon beim Begriff „traditionelle Familie“ dürfte viele junge Eltern das Gefühl des Bevormundetwerdens beschleichen, einer Anmaßung älterer Herren, die anderen Leuten vorschreiben möchten, was eine richtige Familie zu sein hat.

Gleichzeitig opponiert der Antrag gegen eine Wissensvermittlung zur sexuellen Vielfalt in unserer Gesellschaft. Die Staatsregierung solle mit einem neuen Kita-Gesetz „dafür Sorge (…) tragen, dass Familien- und Sexualerziehung in Kindertageseinrichtungen die Kinder weiterhin vor Inhalten schützt, welche von ihnen nicht verstanden und emotional verarbeitet werden können bzw. ihre natürlichen Schamgrenzen verletzen.“

Was ja in der Umsetzung hieße, dass Kita-Erzieher/-innen sich einfach doof stellen und den Kindern erzählen, es gebe nur „traditionelle Familien“ im Sinne der AfD.

Familienbild anno 1900?

Was dann im Begründungstext der AfD-Fraktion so klingt: „Die AfD-Fraktion will alle Benachteiligungen des Mehrheits-Familienmodells beseitigen. Der vorliegende Antrag unterstützt dies, indem die Relativierung der Familie aus Mann, Frau und deren Kindern in der Öffentlichkeit und im Bildungsbereich zurückgedrängt wird. Unsere Kinder müssen frei von Indoktrination aufwachsen können, bis sie in der Familie gefestigt und alt genug sind, sich den Problemen unserer Welt zu stellen.“

Wie alt muss man eigentlich aus AfD-Sicht sein, um „sich den Problemen unserer Welt“ stellen zu können? Und wo entdecken die Herren Blau eigentlich eine „Benachteiligungen des Mehrheits-Familienmodells“?

Schon mit der Wortwahl stellen sie die Wirklichkeit einfach auf den Kopf und erklären das langsame Sichtbarwerden auch anderer Familienstrukturen gerade zur „Benachteiligung“ eines Familienmodells, das natürlich die meisten Menschen probieren, weil es nun einmal Männer und Frauen sind, die zumeist eine Familiengründung planen.

Aber selbst wenn es Frauen und Frauen, Männer und Männer oder bunte Patchwork-Familien sind, geht das alles die Altherrenpartei nichts an. Wirklich nichts. Es sind nicht die Erzieher/-innen in den Kitas, die hier in die „Intimsphäre der Kinder“ eindringen, sondern die Vorschriftenmacher aus der Rechtsaußenfraktion, die hier schon einmal zeigen, dass sie nichts verlernt haben aus der Praxis einstiger Obrigkeitsstaaten. In denen sich stets alte Männer das Recht herausnahmen zu bestimmen, wie die regierten Menschen in Land zu leben haben. Bis in die Familie hinein.

Erst recht übergriffig klingt es, wenn die AfD formuliert: „Sie haben das Recht auf Schutz ihrer Intimsphäre, damit sie sich in ihrer persönlichen Sexualität selbstbestimmt entwickeln können.“

Mutmaßungen über ein Familienmodell

„Sachsen zeigt aber eindrucksvoll: Die meisten Familien leben ein traditionelles Familienmodell, eine verbindliche, dauerhafte Partnerschaft von Mann und Frau, die darauf angelegt ist, ein Schutzraum für das geborgene Aufwachsen eigener oder angenommener Kinder zu sein“, behauptet der Antrag einfach mal. Ohne jegliche Beweisführung.

Und genauso hängt die nächste Behauptung in der Luft: „Dieses Familienmodell, zu dem auch Trennungsfamilien gehören, bildet den weitaus größten Teil aller Familien ab und steht als Keimzelle der Gesellschaft und Grundlage unseres Staates zu Recht unter dem besonderen und unwandelbaren Schutz des Grundgesetzes.“

Was schlicht falsch ist. Denn das Grundgesetz schützt ganz augenscheinlich kein besonderes Familienmodell, sondern die Familie an sich. Nachlesbar in Artikel 6: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ Und: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“

Und die klügeren Eltern erzählen ihren Kindern frühzeitig, wie die Welt wirklich ist. Und die naiveren machen es dann vielleicht so, wie die AfD denkt, dass es zu machen ist: Sie erzählen ihren Kindern von einer Welt in Schwarz/Weiß und einer Simplizität, die nicht mal deutsche Märchen haben.

Aber dass es der Rechtsaußen-Partei eigentlich überhaupt nicht um die Kinder geht, wird mit diesem Satz deutlich: „Es bringt als einziges Familienmodell die künftigen Leistungsträger und Fachkräfte hervor, ohne welche Deutschland keine wirtschaftliche Überlebensperspektive hat.“

Kinder als künftige Leistungsträger. Das ist eine Ökonomisierung von Kindheit, die so bislang nur autoritäre Regime fertiggebracht haben. Und dass Deutschland dann gleich wirtschaftlich am Abgrund steht, ist schon reine Angstmacherei.

Gehört aber zum rechten Märchen vom „großen Austausch“, das hier mal in einer neuen Variante durchgespielt wird. Das ist dann schon ganz rechtes Panik-Gut, hat aber mit dem Leben der Kinder in den unterschiedlichsten Familienmodellen nicht die Bohne zu tun.

Denn Familie ist nicht da, wo Leistungsträger erzogen werden, sondern da, wo Kinder behütet aufwachsen können. Das können die von der AfD völlig verschwiegenen Alleinerziehenden genauso sein wie bunte Großfamilien im Generationenverbund. Welche Familienmodelle funktionieren, das können nur die Eltern ausprobieren.

Bestimmt gibt es demnächst noch einen Kommentar aus dem Familienministerium. Aber da wird nichts anderes drinstehen, nur etwas höflicher.  Auch dass der Sächsische Bildungsplan nicht von der Linkspartei geschrieben wird.

Und auch, dass das „sexualpädagogische Konzept“ der Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten Sachsen (AGJF) nicht für Kindergärten gedacht ist, sondern für die Jugendarbeit. Das ganze Konstrukt des AfD-Antrages ist schief, aber absichtsvoll zusammengebastelt. Und hat eines auf keinen Fall zum Zweck: die Selbstbestimmung der Kinder und Jugendlichen.

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