LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug Ausgabe 78, seit 24. April im HandelSie heißen Heldentickets, Geistertickets, Aufgalopp des Herzens oder Leutzscher Holz. Viele kreative Aktionen haben die Leipziger Sportvereine seit dem 13. März auf die Beine gestellt, um sich selbst erhalten zu können. Ganz egal ob Miet- oder Personalkosten, Betriebs- oder Verwaltungskosten, auch wenn Sportvereine derzeit gezwungenermaßen im Schlummerschlaf sind, verlassen immer wieder Gelder ihre Konten.

Ausgefallene Spiele oder Renntage zerstören die Vorfreude auf die Veranstaltung und belasten den Vereinshaushalt, denn mit den Einnahmen wurde fest geplant. Diese müssen nun auf andere Art und Weise eingesammelt werden.

Während die einen auf den Gehaltsverzicht der Übungsleiter bauen oder wie der TSV Seegeritz Trikots aus 70 Jahren Vereinsgeschichte versteigern, versuchen gerade die Klubs mit einer großen Zuschauerbasis über Solidaritätsaktionen die Verluste zu kompensieren. Das Coronavirus bedroht die Gesundheit aller Leipziger Sportvereine, ausgenommen RB Leipzig. Die Großkopferten des Stadtsports haben dafür ganz uneigennützig eine andere Aktion ins Leben gerufen und sind ihrerseits Unterstützer für den Leipziger Sport.

Mit ihrer Aktion #WirAlle wollen die Rot-Weißen unter anderem die 81 Fußballvereine, die neben RB Leipzig im Fußballverband der Stadt Leipzig organisiert sind, unterstützen. Die entsprechenden Tickets gab es für 2 Euro im Onlineshop des Vereins. Die Bundesligamannschaft selbst hat 6.250 Karten gekauft. Insgesamt brachte die Aktion 40.574 Euro ein.

Das Titelblatt der LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 78, Ausgabe April 2020. Foto: Screen LZ
Das Titelblatt der LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 78, Ausgabe April 2020. Foto: Screen LZ

Profitieren würden von der Aktion auch Lokomotive und Chemie Leipzig, obgleich sich beide Vereine schon selbst geholfen haben. Pekuniärer Derbysieger ist derzeit die BSG Chemie, deren Aktion „Das kann doch einen Leutzscher nicht erschüttern“ stattliche 185.000 Euro erbracht hat. Die Leutzscher hatten verschiedene Unterstützerpakte zu unterschiedlich hohen Preisen geschnürt, die reihenweise verkauft wurden.

Das kleinste Paket für 28 Euro beinhaltet beispielsweise die namentliche Erwähnung auf der Homepage, auf einem Soli-Banner am Eingang des Alfred-Kunze-Sportparks, eine Urkunde, signiert von einer aktuellen oder früheren Vereinsgröße sowie einen Fanschal. Für das umfangreichste Unterstützerpaket konnten Fans 450 Euro hinblättern. Dafür erscheint unter anderem der Name des Käufers auf einem Pressepult bei einer offiziellen Pressekonferenz nach einem Spiel. Außerdem gibt es für sechs Personen (Soli-)VIP-Tickets für einen Spieltag, zwei Regenschirme, eine Stadionführung, ein Foto mit dem Team und auch noch zweimal Honig.

Weil die Aktion so ein großer Erfolg war, kommen die Mitarbeiter am Leutzscher Holz derzeit gar nicht hinterher, die Pakete zu schnüren und zu versenden und baten schon um Entschuldigung für die Verzögerung. „Da wir mit der überwältigenden Teilnahme an unserer Aktion in dieser Form nicht gerechnet haben, kommen wir, auch aufgrund der aktuellen Situation infolge der Pandemie, an organisatorische Grenzen“, heißt es auf der Vereinsseite.

Rein logistisch hat es der 1. FC Lok da besser. Dessen Fans können für einen Euro Tickets für ein Heimspiel gegen einen „unsichtbaren Gegner“ erwerben, das als PDF-Datei an den Käufer verschickt wird. Mehr als 135.000 Tickets hatte der Klub schon drei Wochen vor dem Spieltag, der auf den 8. Mai datiert ist, verkauft. Die Fans wurden dabei auf eine Reise durch die Probstheidaer Fußballgeschichte mitgenommen, denn Ziel der Aktion war es, den Allzeit-Zuschauerrekord für ein Heimspiel einer Probstheidaer Mannschaft zu brechen.

Das gelang bereits drei Wochen nach Beginn der Aktion am Karsamstag, als die 120.000-Ticket-Marke geknackt wurde. Nun strebt der Klub auch nach dem Europa-Rekord, der bei fast 150.000 Zuschauern liegt und 1937 beim Länderspiel Schottland gegen England im Glasgower Hampden-Park aufgestellt wurde.

Abseits des Fußballs hat es kurzfristig auch die Pferdesport-Freunde vom Scheibenholz getroffen. Rund 20.000 Menschen strömen traditionell seit 40 Jahren zum Rennauftakt am 1. Mai auf die Leipziger Galopprennbahn. Dieser musste nun aufgrund des Großveranstaltungsverbots abgesagt werden. Ein herber Schlag für die Organisatoren, die nun mit der Aktion „Aufgalopp der Herzen“ um Geld für den Leipziger Reit- und Rennverein Scheibenholz e. V. kämpfen.

Dieses „fließt in den Erhalt und die Pflege der 35 Hektar großen Anlage und die Aufrechterhaltung des Trainingsbetriebes.“ Tickets gibt es für den Preis von 2,50 Euro (Sattelplatz) oder 5 Euro (Tribüne) auf der Homepage des Vereins.

Auch beim SC DHfK Leipzig ruht der Sport. Aufgrund der Schließung der Sportstätten fehlen dem Großverein laut eigenen Angaben rund 100.000 Euro pro Monat! Mit seiner Crowdfunding-Aktion „Jetzt zählt die Kraft der Sportfamilie“, versucht der Verein zumindest 50.000 Euro einzufahren. Dafür werden fast 100 verschiedene Gegenleistungen angeboten. Diese reichen vom einfachen Aufkleber, über originale Devotionalien der DHfK-Sportstars oder ein Training mit dem Floorball-Herrenteam bis hin zu einer Werbefläche auf dem Vereinsbus.

Erreicht der Verein nicht die avisierten 50.000 Euro bis zum 30. April, erhalten alle Spender ihr Geld zurück. Binnen neun Tagen seit Beginn der Aktion hatte der einzige deutsche Verein, der seit seiner Gründung 1954 bei allen Olympischen Spielen, außer 1984, Medaillen gewonnen hat, bereits über 20.000 Euro akquiriert.

Die Handballer des SC DHfK haben zudem die Aktion „Heldenticket“ ins Leben gerufen, die ähnlich wie die Aktion der BSG Chemie funktioniert. Fans können für ihr Geld verschiedentliche Gegenleistungen erhalten. Ziel ist, auf diesem Wege einen neuen Zuschauersaisonrekord aufzustellen. Die magische Grenze liegt hier bei 75.000 Tickets. Zusätzlich zu den 55.000 Karten, die bereits während der „echten“ Handballsaison verkauft wurden, gilt es nun also, noch mindestens 20.000 virtuelle Tickets abzusetzen.

Das preiswerteste Ticket „Talent“ (15 Euro) beinhaltet einen Heldenausweis, ein Ticket und die Namensnennung, der „Superheld“ bekommt für 500 Euro unter anderem gleich 16 Tickets, die bei Fortsetzung der Saison in Heimspieltickets umgewandelt werden können, ein Spielertrikot der kommenden Saison und eine Namensnennung in verschiedenen Medien. Handball-Geschäftsführer Karsten Günther hat zudem die Initiative „Teamsport Sachsen“ gegründet, die in der sächsischen Landespolitik erwirkt hat, dass Vereine mit Darlehen unterstützt werden.

Die Handball-Frauen des HC Leipzig versuchen mit ihrer Aktion „HCL beats Corona“ ebenfalls, über verschiedene Ticket-Kategorien ihre Einnahmeverluste zu kompensieren. Insgesamt können Unterstützer aus vier verschiedenen Tickets wählen, vom Achter-Mann-Ticket für 8 Euro bis zum Champions-Ticket für 201,60 Euro – angelehnt an den letzten großen Erfolg, den DHB-Pokalsieg 2016. Dazu können Fans fiktive Fassbrause und Bratwurst für je 3 Euro bestellen.

Ziel ist es dabei, den bisherigen HCL-Zuschauerrekord in der Brüderhalle zu brechen. Die Marke aus der Partie gegen den SC Markranstädt steht bei 980 Fans. Am 3. Mai veröffentlicht der Club als Dank auf seinen Social-Media-Kanälen ein Video mit Einblicken in das Mannschaftsleben während der Saison 2019/2020.

Beendet ist bereits die gemeinsame Aktion der Eishockey-Kontrahenten Icefighters Leipzig und Saale Bulls aus Halle, die Eintrittskarten für ein virtuelles „Summergame“ verkauft haben, was letztlich auf einer Spielkonsole ausgetragen wurde. Die Aktion brachte jedem Klub fast 30.000 Euro finanzielle Unterstützung, auch weil Fans auf verschiedene Aktionen wetten konnten.

So kauften mehr Leipziger als Hallenser Eishockeyfreunde ein Fanticket, weswegen Halles Präsident Daniel Mischner als Wetteinlösung beim nächsten realen Derby der beiden Oberligisten das gesamte Spiel im Fanblock der Leipziger verbringen muss – und weil Halle mehr Sponsorengelder akquirierte, „darf“ Leipzigs Geschäftsführer André Krüll beim nächsten Derby im Kostüm des Hallenser Maskottchens aufs Eis.

Das virtuelle Spiel auf der Konsole gewannen die Icefighters, weswegen die Hallenser Spieler nun beim nächsten tatsächlichen Aufeinandertreffen dem Leipziger Team und dessen Fans Freibier spendieren müssen.

Der Leipziger Sport lebt vielleicht nicht so wie sonst, aber er ist kreativ, um bald wieder wie sonst zu leben.

Die aktuell noch laufenden Aktionen im Überblick

SC DHfK Leipzig (Gesamtverein) mit „Jetzt zählt die Kraft der Sportfamilie“
Laufzeit bis 30. April
Verkauf von Erinnerungsstücken, Sportangeboten, Dienstleistungen
Preis: 5 Euro bis 3.333 Euro
Link zur Teilnahme: www.fairplaid.org/scdhfk

Leipziger Reit- und Rennverein Scheibenholz mit „Aufgalopp der Herzen“
Laufzeit bis 1. Mai
Verkauf virtueller Tickets
Preis: 2,50 oder 5 Euro
Link zur Teilnahme: www.scheibenholz.com/aufgalopp-der-herzen.html

HC Leipzig mit „HC Leipzig beats Corona“
Laufzeit bis 3. Mai
Verkauf virtueller Tickets
Preis: 8/ 19,99 oder 201,60 Euro; bzw. freie Preiswahl ab 10 Euro
Link zur Teilnahme: www.hc-leipzig.com/hcl-beats-corona

1. FC Lok Leipzig mit „Leute, macht die Bude voll!“
Laufzeit bis 8. Mai.
Verkauf virtueller Tickets
Preis: 1 Euro
Link zur Teilnahme: bit.ly/leutemachtdiebudevoll

SC DHfK Leipzig (Handball-Bundesliga) mit „Mein Helden-Ticket“
Laufzeit bis 30. Juni
Verkauf virtueller Tickets + Zusatzleistungen
Preis: 15/ 30/ 60/ 120 oder 500 Euro
Link zur Teilnahme: www.scdhfk-handball.de/heimspiel/heldenticket/

Die neue Leipziger Zeitung Nr. 78: Wie Corona auch das Leben der Leipziger verändert hat

Die neue Leipziger Zeitung Nr. 78: Wie Corona auch das Leben der Leipziger verändert hat

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