Da draußen in der Leipziger Straßenwildnis gibt es noch ein paar emsige Läden, die neben den Notrationen für einsame Großstädter auch noch Zeitungen verkaufen für Leute, die auch im Corona-Shutdown Futter für ihre grauen Zellen brauchen. Denn eins fährt man auch in so einer Ausnahmesituation lieber nicht herunter: Seine Lust am Lernen und Neugierigsein.

Manche machen es doch. Stimmt. Darauf geht Tom Rodig ein – ganz hinten in der neuen „Leipziger Zeitung“ Nr. 78, die seit heute in den Läden und Briefkästen liegt. „Alles eine große Verschwörung“ hat er seinen Beitrag genannt, in dem er sich mal ein wenig mit all den Preppern und Verschwörungsfanatikern beschäftigt, die jetzt sämtliche Netze mit ihrem Gequake erfüllen, Unruhe, Misstrauen und Panik verbreiten. Obwohl die meisten nicht die Bohne Ahnung haben von dem, worüber sie da fabulieren.

Aber es funktioniert augenscheinlich bei einem erklecklichen Teil unserer Mitmenschen ganz gut, die in der Schule nie begriffen haben, was Fakten, Logik und Beweise sind. Ist nicht ganz einfach, dieses logische oder gar wissenschaftliche Denken.

Obwohl sich viele Lehrer/-innen wirklich richtig Mühe geben, es den Kindern frühzeitig beizubringen. Worüber in dieser Ausgabe natürlich unsere kompetentesten Mitschreiber schreiben – allen voran Marko Hofmann, der jetzt nach fünf Wochen erzählen kann, wie ein Lehrer in Leipzig das Homeschooling erlebt. Und auf einmal wird auch ihm bewusst, dass Lehrersein eben eine Menge mehr ist, als da vorn an der Tafel zu stehen und den Kindern schwere physikalische Formeln beizubringen.

Lehrer/-innen schaffen Weltbeziehungen, sind für die meisten Schüler/-innen auch so etwas wie eine Erdung, ein Eichmaß für ihr eigenes Weltwerden, sie sind Tröster, Bestärker, manchmal auch einfach eine ruhige Instanz in der Welt, die niemandem mehr etwas beweisen muss. Und da wir in dieser „Corona“-Ausgabe auch viele Gastbeiträge haben, erzählt auch eine Schülerin, wie sie Homeschooling erlebt.

Wenn unsere Bildungsminister/-innen mitlesen und selbst wieder mal neugierig sind, dann lernen sie jetzt, wie Digitalisierung von Schule wirklich funktionieren kann. Und wo sie Sinn macht.

Das Titelblatt dr LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 78, Ausgabe April 2020. Foto: Screen LZ
Das Titelblatt der LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 78, Ausgabe April 2020. Foto: Screen LZ

Natürlich wetterleuchten auch alle anderen Erfahrungen im Umgang mit diesem Coronavirus und den Allgemeinverfügungen durch die Zeitung. Wir lernen gerade mit einer Situation umzugehen, die die heute lebenden Generationen so noch nicht erlebt haben. Obwohl sie erwartbar nach der vor 20 Jahren noch mit Ach und Krach eingehegten Sars-Epidemie in Asien war. Die Bedingungen, die die rücksichtslos durchgeprügelte Globalisierung weltweit erschaffen hat, sind der ideale Nährboden für solche Epidemien.

Nur haben die vom „Primat der Wirtschaft“ so überzeugten Politiker/-innen in allen großen Staaten diese Erkenntnis der Epidemiologen einfach nicht ernst genommen. Sodass dann vieles an ersten Maßnahmen sehr improvisiert war und sich fast überall herausstellte, dass man für den Fall eines Ausbruchs einfach nicht genug Reserven angelegt hat an Intensivbetten, Testkapazitäten, Schutzausrüstungen …

Und genauso fällt auf, dass die üblichen Vorturner wieder nur eine Woche weit gucken und nicht wirklich verstehen, dass diese Corona-Schutzmaßnahmen uns noch mindestens ein Jahr lang begleiten, wir also auch lernen müssen, mit den Schutzmaßnahmen zu leben und zu wirtschaften. Und dass es danach nicht wieder so weitergehen kann wie vorher.

Nicht in den sozialen Sicherungssystemen, die jetzt – obwohl Billionen an Hilfsgeldern verteilt werden – wieder nicht bei denen ankommen, die keine Spielräume haben, sich in so einer Zeit überhaupt zu wehren und zu schützen – die Millionen Familien, die vorher schon prekär lebten.

Zu denen ja jetzt – so ticken ja unsere gut diätierten Politiker/-innen – auch gleich noch Millionen Künstler und Soloselbstständige kommen sollen, denen ihre Auftritte und Veranstaltungen weggebrochen sind, die vorher aber alle Kreativität aufgebracht haben, ja nie zum Bittsteller beim ungnädigen Vater Staat zu werden. Und nun sollen sie alle Hartz IV beantragen?

Wie deutlich kann man selbstbewussten Menschen eigentlich noch sagen, dass sie im Koordinatensystem der Gutversorgten keine Rolle spielen? Jener Leute, die nicht mal ins Nachdenken kommen, wenn sie immer wieder neue Vorstöße für ein sinnvolles Grundeinkommen lächerlich machen, weil es aus ihrer Kassenwartposition betrachtet „unbezahlbar“ sei.

Was nicht stimmt. Aber dazu können Sie ja den Beitrag zur neuen Grundeinkommen-Diskussion (mit Pro und Kontra) lesen.

Vielleicht klatscht man ja für die brotlosen Soloselbstständigen demnächst auch vom Balkon, 20 Uhr am besten, damit das Geklatsche mit dem 21-Uhr-Geklatsche für die mies bezahlten Pflegekräfte nicht ins Gehege kommt.

Natürlich hat der Shutdown auch für viele andere gravierende Folgen – im Sport thematisiert es diese Ausgabe recht ausführlich. Aber selbst kleine Tierparks wie der in Görlitz, die schließen mussten, leiden

Und genauso offensichtlich ist, dass wir auch noch im Corona-Stillstand Wege finden müssen, einige der übelsten Klimaschädigungen zu beenden. Wir können nach „Corona“ nicht genauso weiter einen wachsenden Flugverkehr zulassen, von all den überflüssigen Kreuzfahrten ganz zu schweigen.

Der ÖPNV und unser Konsumverhalten müssten jetzt dringend Thema werden. „Eine Chance, die Karten neu zu mischen“, schreibt dazu Schauspielerin Jennifer Demmel. Die viel klarer als viele andere sieht, was für große Chancen diese erzwungene Denkpause eigentlich bietet.

Dass das auch das Verhältnis zu unserem ganz eigenen Leben betrifft, das thematisieren sogar mehrere Beiträge im Blatt – von Katharina Hänßlers Gedanken „Vom Rennen und Träumen“ bis zu Ulrike Gastmanns Gedanken zur „Lockerung“.

Es ist eigentlich Zeit, über den „Verwertungsdruck von Arbeit“ (über den David Gray schreibt) genauso nachzudenken wie über das, was für uns Freiheit und Selbstbestimmung ist, Gerechtigkeit und auch die Unfairness, mit der wir all jene Menschen honorieren, die auch dann, wenn alle anderen brav zu Hause bleiben, den Laden am Laufen halten und unser Gesundheitssystem am Funktionieren.

Sie sehen schon: So eine Zeitung wird ganz von allein vielstimmig, anregend, aber auch zum Nachdenken ermunternd über so manches, worüber man ohne Shutdown vielleicht gar nicht nachgedacht hätte, obwohl es unser Leben bestimmt und Ursache von vielen Problemen und Dissonanzen ist, die wir so gern beiseite wischen, getrieben davon, den Laden in seinem irren Tempo immerfort am Laufen zu halten.

Die neue „Leipziger Zeitung“ (VÖ 24.04.2020) liegt an allen bekannten Verkaufsstellen aus. Fast alle haben geöffnet – besonders die Szeneläden, die an den Verkäufen direkt beteiligt werden. Oder die LZ einfach einfach abonnieren und zukünftig direkt im Briefkasten vorfinden.

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