Gestern, am 26. Januar 2021 klang man aufseiten der „Dr. August Oetker KG“ gegenüber dem Stadtverband der Leipziger SPD in einem Schreiben vom gleichen Tag noch so, als wolle man um Verständnis werben, gab sich vermittelnd. Man stimme mit der SPD bei der „Würdigung der Leistung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Durstexpress vollständig überein“. Heute wurde bekannt, dass es laut der Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) bereits 2.300 Kündigungen jener Gewürdigten gab, allein in Leipzig stehen nun akut 450 Jobs auf der Kippe.

Der Oetker-Pressesprecher Dr. Jörg Müller formuliert sachlich, versönlich und beruhigend in seinem Schreiben an den Stadtverband der SPD Leipzig, welches der LZ vorliegt. Eigentlich gehe es darum, die Stärken der Unternehmen „Durstexpress“ und „Flaschenpost“ zu bündeln, viele Mitarbeiter würden zukünftig gar mehr verdienen und so mancher habe sich schließlich schon beim neuen Oetker-Unternehmen „Flaschenpost“ beworben.

Was quasi als Beleg dienen soll – seht her: die vom Jobverlust bedrohten Mitarbeiter wollen doch zu „Flaschenpost“ wechseln – alles gut.Bis zu eben jenem gestrigen 26. Januar 2021 hatten sie dafür Zeit, nun folgen die Kündigungen bei „Durstexpress“.

Zugleich sei es Müller selbst „ein Anliegen, mit einigen Informationen nachfolgend darzulegen, dass wir in diesem Prozess selbstverständlich in allen Schritten im Einklang mit bestehenden Gesetzen handeln und es unsere Intention ist, auch und insbesondere unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei diesem Übergang mit Respekt und Fairness zu begegnen.“

Standortschließung und Kündigung im Boom

Ganz anders sieht die Sache mit dem Respekt mittlerweile Jörg Most, Geschäftsführer der NGG-Region Leipzig-Halle-Dessau. „In dieser Woche wurden bereits die ersten Kündigungen per Bote zugestellt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden von der Nachricht kalt erwischt“, so Most über die Situation in Leipzig. Nach Informationen seiner Gewerkschaft will „Durstexpress“ nun „allen Beschäftigten in Leipzig kündigen und den Standort komplett schließen.“

Diese hatten noch am vergangenen Samstag die Gründung eines Betriebsrates eingeleitet, um sich gegen das Vorgehen zu wehren. Dabei hatten sich auch Kommunal-, Landes- und Bundespolitiker am Standort Zschortauer Straße versammelt.

Einen Betriebsübergang, bei welchem die Unternehmen ihre respektierten Mitarbeiter/-innen noch wenigstens ein Jahr weiter beschäftigen, scheint die Oetker KG in Leipzig jedenfalls nie geplant zu haben. Bereits von Beginn an war stets von Aufgabe des Standortes von „Durstexpress“ zugunsten der „Flaschenpost“ die Rede gewesen – weniger Mitarbeiter oder schlechtere Angebote in Stundenzahl und Vergütung offenbar stets inklusive.

„Niemand versteht, warum Menschen in einer Branche auf die Straße gesetzt werden, die gerade einen Boom erlebt.“, so Jörg Most. Und weiter: „Seit Beginn der Pandemie schnellen die Bestellungen auch bei Durstexpress in die Höhe.“. Seine Forderung: alle Kündigungen sind umgehend zurückzunehmen und Klarheit für die Betroffenen, „dass sie bei der Oetker-Tochter Flaschenpost weiterbeschäftigt werden – zu den bisher bestehenden Arbeitsbedingungen.“

Sören Pellmann (MdB, Linke) und Jörg Most (NGG) zur Gründung eines Betriebsrates am 23. Januar 2021. Video: LZ

Tatsachen schaffen oder reden?

Ähnliches hat wohl auch Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) im Sinn. Wie auch bei der NGG und weiteren Parteien ist es für die SPD unverständlich, warum hier kein Betriebsübergang nach § 613a BGB wie auch an anderen Standorten des Unternehmens vorliegen soll. Vor dem Bekanntwerden der Kündigungswelle bei „Durstexpress“ hieß es nach LZ-Informationen noch, Sachsens Wirtschaftsminister würde sich mit den Verantwortlichen des Unternehmens treffen und das weitere Vorgehen besprechen wollen.

Die Frage ist nun, was dieses „Tatsachen schaffen“ seitens Oetker bedeutet. Während die Presseabteilung Schreiben mit butterweichen Liebesbekundungen über die fleißigen Mitarbeiter/-innen versendet, werden die hochgelobten Mitarbeiter vor die Tür gesetzt. Und bei „Flaschenpost“ auf der Webseite der Spruch steht „Werde Held deiner Stadt. Wir suchen Fahrer und Lagermitarbeiter – zu sofort!“.

Am Donnerstag, 28. Januar 2021, startet jedenfalls ab 10.00 Uhr eine Demonstration am „Flaschenpost“-Zentrallager Leipzig in der Pelzgasse 1-3 | 04158 Leipzig (Nähe Neue Messe). Danach soll es einen Fahrradkorso durch Leipzig geben.

Weitere Informationen gibt es unter kuendingdingdong.wordpress.com

Nachtrag der Redaktion (27.01.2021, 20 Uhr): Nach der Veröffentlichung des Beitrages „2.300 mal Danke“ erreichte uns der Wunsch seitens „Durstexpress“, die Informationen der Gewerkschaft Nahrungsmittel, Gastronomie und Genuss (NGG) richtig zu stellen. So seien „die erwähnten ca. 2.300 Kündigungen (…) nicht richtig, da bundesweit nur drei Durstexpress Lager nicht mehr weitergeführt werden und insgesamt weniger als halb so viele Mitarbeiter betroffen sind.“, so „Durstexpress“- Kommunikationsmanagerin Judith Schwarzer.

Weiterhin sei es das klare Ziel des Unternehmens, auch den von Schließungen betroffenen Mitarbeitern „neue Beschäftigungsangebote zu unterbreiten“, sich also bei „Flaschenpost“ zu bewerben. Ob diese, wie Schwarzer behauptet, bei dem neuen, gemeinsamen Unternehmen besser sind, als bislang bei „Durstexpress“, ist derzeit nicht prüfbar.

Zu den konkreten Zahlen und den weiteren Verlauf der Fusion für den Standort Leipzig machte das Unternehmen keine Angaben.

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Es gibt 6 Kommentare

@MF: THX!
Das sollte ein eingebetteter Link werden, so dass nur “MDR” als Link zu lesen wäre, aber ich bin
kein HTML-Crack und habe irgendwas versemmelt.

ja, das Einbetten des Links ging nicht, sorry…
Hab mich vertan, leider kein editieren machbar.

Die Frage ist doch bei diesen Jobs, haben die Mitarbeiter wenigstens den Mindestlohn für ihre gesamte Leistung bekommen oder zwar Mindestlohn pro bezahlte Std. erhalten, aber weitaus länger gearbeitet, um die Vorgaben zu erfüllen? Und ist ein Mindestlohn die ausreichende Bezahlung für diese anstrengende Tätigkeit?

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