Immer mehr ähneln die Konjunkturanalysen der deutschen Wirtschaftsinstitute farbigen Orakeln. Beim Lesen hat man das Gefühl, dass man da vor allem der hohen Politik nicht auf die Füße treten und ja nicht den Anschein erwecken will, als kritisiere man die aktuelle Wirtschaftspolitik. Also fühlt man lieber ein bisschen im Wind: Woher könnten die Dellen und Kratzer in der Statistik eigentlich stammen diesmal? Bestimmt ist Russland wieder schuld.

Und so vermeldet das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) nun auch seine Sicht zum Konjunkturverlauf in Ostdeutschland: “Die konjunkturelle Schwäche der deutschen Wirtschaft im zweiten Quartal erfasste auch die Produktions- und Dienstleistungsstandorte in den Neuen Ländern. Das Bruttoinlandsprodukt ist hier – saisonbereinigt nach dem Berliner Verfahren – um 0,4 % gegenüber dem ersten Quartal gesunken, und damit etwas stärker als in den Alten Bundesländern (? 0,2 %). Gegenüber dem Vorjahreszeitraum bedeutete das aber einen Zuwachs von 1,2 %.”

Und dann beginnt der Versuch einer Erklärung: “Die Wachstumstreiber zu Jahresbeginn, das Verarbeitende Gewerbe und das Baugewerbe, wurden zu Wachstumsbremsen im zweiten Quartal. Ausschlaggebend dafür waren der erwartete Wegfall der Sondereffekte aus dem ersten Quartal, aber auch die regionale Übertragung der Schwäche der Inlandskonjunktur in Deutschland und die nachlassenden Impulse von den wichtigsten Auslandsmärkten der ostdeutschen Industrie in Westeuropa.”

Zwar starrt alle Welt wie gebannt auf Russland und die Ukraine. Aber die eigentlichen Probleme für die deutsche Industrie liegen im Westen und im Süden, da, wo traditionell die wichtigsten Absatzmärkte liegen. Oder lagen, bis zum Ausbruch der Finanzkrise und den seltsamen Rettungsversuchen der Feuerwehrtruppe namens Troika. In Südeuropa ist gar nichts ausgestanden. Im Gegenteil: Die radikalen Sparprogramme haben dort nicht nur die Bevölkerung verarmen lassen, sondern auch die Staaten als Auftraggeber k.o. geschlagen. Das konnte auch in der ostdeutschen Industrie eine Weile noch mit Aufträgen aus Osteuropa und Asien kompensiert werden. Aber mittlerweile ist der Motor auch in der zweitgrößten Wirtschaft der EU ins Stottern geraten, in Frankreich. Und das zeigt jetzt Wirkung – in der westdeutschen Wirtschaft genauso wie in der ostdeutschen.

“Der deutschlandweite Rückgang der Investitionen in Maschinen, Geräte und Fahrzeuge hat die Umsätze der ostdeutschen Hersteller im Inland überproportional sinken lassen”, stellen die IWH-Autoren fest. “Der Anstieg der Konsumausgaben ging sogar an den Herstellern industrieller Konsumgüter in Ostdeutschland vorbei. Die Produzenten langlebiger Gebrauchsgüter fuhren Umsatzverluste ein, die Verkäufe der Hersteller von Nahrungsgütern und anderen Verbrauchsgütern stagnierten allenfalls. Im Gefolge der Umsatzrückgänge an Investitions- und Konsumgütern sackten auch die Verkäufe industrieller Vorleistungsgüter ab. Dazu trug außerdem die Bauschwäche im zweiten Quartal bei, die auf die industriellen Baumaterialhersteller ausstrahlte. Auch die Gewinnung von Kohle und Energie gab weiter nach. Mit ihren Verkäufen im Ausland konnte die ostdeutsche Industrie im zweiten Quartal ebenfalls nicht an den Schub zu Jahresbeginn anknüpfen. Insbesondere bei Investitions- und Gebrauchsgüterproduzenten brach der Exportumsatz ein.”

Die Vermutung der Hallenser Forscher: “Der Grund liegt wohl in der Konjunkturschwäche der größten westeuropäischen Handelspartner der ostdeutschen Industrie und in der Russland-Ukraine-Krise.”

Das kann man so sehen – wenn man einfach ausblendet, dass die “Konjunkturschwäche der größten westeuropäischen Handelspartner” die Konsequenz einer rigiden Politik des Sparens, Kürzens, Stilllegens ist. Dessen, was die forschen Feuerwehrleute von EU, EZB und IWH so gern “Rettungspakete” nennen – und was im Grunde nichts anders ist als ein milliardenschweres Umverteilungsprogramm, mit dem das Geld der Staaten an die großen Investmentfonds umverteilt wird – die zwar das Wort Investment im Namen führen, aber im klassischen Sinn nicht investieren.

Und wenn Staaten keine Spielräume mehr haben zu investieren, geraten ganze Wirtschaftsräume ins Trudeln. Aber wer sagt das der so sehr von sich selbst und ihrer Wirtschaftspolitik überzeugten deutschen Kanzlerin?

Ein bisschen anders sieht es in der Baubranche aus, die 2014 praktisch drei Monate eher losbauen konnte als in den vergangenen Jahren: “Deutlich spürte auch das Baugewerbe in den Neuen Bundesländern den deutschlandweiten Rückgang der Bauinvestitionen im zweiten Quartal. Die aufgrund der günstigen Witterung in das erste Quartal vorgezogenen Arbeiten fehlten, und die Produktion kehrte auf ihren normalen Wachstumspfad zurück. Der Wegfall des witterungsbedingten Sondereffekts traf insbesondere die Hoch- und Tiefbauarbeiten und weniger die Ausbauaktivitäten.”

Doch die Schwäche des Industrieabsatzes hat an anderer Stelle natürlich Folgewirkungen. Das betrifft dann auch den Logistikstandort Leipzig direkt: “Verkehr und Lagerei litten unter dem Rückgang der Produktion industrieller Güter, die Expansion im Bereich Information und Kommunikation sowie Unternehmensdienstleister verlangsamte sich. Der Handel stagnierte.”

Das kann jetzt munter so weitergehen. Der ach so erfolgreiche Exportweltmeister Deutschland kann gut und gern den Finanz-Zuchtmeister für halb Europa spielen und sich sorgen um all die armen Finanzfonds und “systemrelevanten Banken”. Wer mit seinen “Rettungspaketen” seine eigenen Absatzmärkte demoliert, ist entweder blind, ignorant oder unfähig, zu begreifen, was er da tut. Mal abgesehen von ein paar Teilen der Troika, die sehr genau wissen, was sie tun – und für wen.

Der Rest ist dann das große Hoffen, dass sich das Land doch irgendwie durchwurstelt, auch wenn ein Außenhandelspartner nach dem anderen in die Knie geht: “Für das dritte Quartal 2014 signalisieren die vorlaufenden Indikatoren insgesamt eine schwache Belebung der Konjunktur. Die Impulse aus der wieder anziehenden Investitionskonjunktur in Deutschland werden die Produktion in Industrie und Baugewerbe Ostdeutschlands anregen, wenngleich ihre regionale Übertragung schwach bleiben dürfte.”

Man hat dann auch ein bisschen herumgefragt, wie sich die Geschäftsführer der ostdeutschen Unternehmen so fühlen: “Laut IWH-Umfrage rechnen die Bauunternehmen weiterhin mit guten Geschäften, wenngleich die hohen Erwartungen vom Jahresanfang zurückgeschraubt wurden. Die Hersteller industrieller Investitionsgüter können sich auf gestiegene Auftragseingänge stützen, die Reichweite der Auftragsbestände hat sich allerdings laut Verbandsbericht im ostdeutschen Maschinenbau verringert. Auch die Geschäftserwartungen der Maschinen- und Anlagenbauer hatten sich zuletzt eingetrübt. Gemäß Industrieumfrage des IWH blicken die Unternehmen aller großen Sparten weiterhin zuversichtlich nach vorn.”

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www.iwh-halle.de

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