„Knapp 100.000 Erwerbstätige in der sächsischen Tourismuswirtschaft“, vermeldete das Sächsische Landesamt für Statistik in dieser Woche. Auch wenn die Zahl eher schon zwei Jahre alt ist, sie ist ziemlich erhellend. Auch weil sie zeigt, wie Tourismus in Sachsen eigentlich funktioniert. Mit den gewässerbezogenen Tourismustraumschlössern in Leipzig hat das alles nichts zu tun.

Es ist der berühmte Suppentopfeffekt, der mal wieder sichtbar wird, wenn in Leipzig praktisch jeder Bürgermeister seine eigenen Tourismuspläne bastelt und so tut, als müsste er das Rad neu erfinden. Und da man es auch nach 20 Jahren Diskussion nicht fertigbringt, das Thema einmal nüchtern durchzudeklinieren und nach Branchen und Umsätzen zu sortieren, wabert eine bunte Illusion nach der anderen durch die Medien.

Dabei sind die Beschäftigtenzahlen und die nachgefragten Reisegebiete in Sachsen sehr stabil.

„Die sächsische Tourismuswirtschaft zählte zuletzt (2014) rund 97.800 Erwerbstätige“, teilt das Statistische Landesamt nach aktuellen Berechnungen mit. „Damit lag das Ergebnis um 0,5 Prozent über dem Vorjahresniveau und entsprach dem höchsten Stand seit 2009. Bezogen auf sämtliche Erwerbstätigen mit Arbeitsort in Sachsen ergab sich ein Anteil von knapp fünf Prozent. Sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren darunter zur Jahresmitte 2014 61.200 Personen nach 59.900 Personen 2013. Damit lag ihre Größenordnung bei reichlich drei Fünfteln. Der verbleibende Rest verteilt sich auf Selbstständige und mithelfende Familienangehörige sowie marginal Beschäftigte.“

Das Wörtchen „marginal“ darf man nicht überlesen: Viele der gezählten Beschäftigungen im Tourismus sind nur saisonale oder Teilzeitjobs. Der Anteil der marginal Beschäftigten ist seit Anfang der 2000er Jahre permanent gestiegen. Das wird im Jahr 2015 schon wieder anders aussehen. Aber da liegen noch keine kompletten Zahlen vor. Aber der Blick auf die sv-pflichtig Beschäftigten zeigt schon mal die Dimension: Von 51.200 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten waren 23.100 in Teilzeit beschäftigt.

Der Tourismus sorgt zwar in Sachsen für 4,4 Prozent der Beschäftigung, schafft aber selbst nur 1,5 Prozent an der Gesamtbruttowertschöpfung.

In Zahlen: „Die in der Tourismuswirtschaft in Sachsen generierte (betriebswirtschaftliche) Bruttowertschöpfung summierte sich zuletzt (2013) auf 1,24 Milliarden Euro und verharrte damit praktisch auf dem Vorjahresstand. Nach teils kräftigen und anhaltenden Zuwächsen in den vorangegangenen Jahren wurde das Ausgangsniveau von 2009 jedoch um gut ein Zehntel (11,9 Prozent) übertroffen.“

Umgesetzt wurden in den Bereichen des Tourismus insgesamt 27 Milliarden Euro, davon allein 10,8 Milliarden im Einzelhandel, 2,44 Milliarden im Beherbergungswesen und 1,5 Milliarden Euro in der Gastronomie. Wobei immer zu berücksichtigen ist: Das sind nur die rein touristischen Anteile. Egal, ob man die Gastronomie nimmt, das Verkehrswesen (Busse, Schiffe, Flugzeuge) oder das Kulturangebot – es gibt starke Überschneidungen zwischen touristischer Nutzung und der Nutzung durch die Einheimischen.

In Städten wie Leipzig kommt hinzu: Auch die Hotels werden zu einem großen Teil durch nichttouristisches Publikum belegt – Messe- und Kongressteilnehmer. Dafür fehlen eindeutig Zahlen zu Campingplätzen. Man redet über Luftschlösser, tut aber das Naheliegende einfach nicht.

Und dann kommt man zu den Träumen, die jetzt ein fadenscheiniges „Gesamtkonzept“ für die Gewässerregion Mitteldeutschland erzeugt. Man will ja nicht in die Stabilisierung und bessere Vernetzung vorhandener Strukturen investieren, sondern neue „Leuchttürme“ bauen, die nach irgendeinem rätselhaften Schluss neue Besucherströme und neue Umsatzzuwächse erzeugen sollen.

Wo aber werden die platziert? Ganz gewiss nicht unter den touristischen Hauptwirtschaftszweigen (da findet man die Herbergen und Gastronomischen Angebote), sondern im Bereich der „Verbundenen Aktivitäten des Tourismus“. Da aber liegt, so teilt das Statistische Landesamt in seinem Report für das Jahr 2014 mit, „das Beschäftigungsniveau zur Jahresmitte 2014 mit reichlich 17.200 Personen praktisch auf dem Niveau der beiden Vorjahre. Gegenüber 2009 ergab sich dennoch ein um 5,8 Prozent höherer Stand.“ Was nicht überrascht, denn ab 2009 zog der Tourismus in Sachsen nach zehn Jahren Flaute wieder an. Aber es waren nicht die hübschen sächsischen Provinzen, die für den neuen Wirbel verantwortlich waren, sondern die Großstädte, die insbesondere wieder interessierte Städtetouristen anzogen mit einem vielfältigen Kultur- und Erlebnisangebot.

Und was ist dann mit den verbundenen Aktivitäten im Tourismus? Was bringen die eigentlich? Lohnt es sich, auf dieses Pferd zu setzen?

Den Einzelhandel kann man da gleich rausnehmen, denn da stecken auch alle Angebote von entsprechenden Freizeitprodukten für die hiesigen Käufer mit drin. Eine Steigerung der Räuchermännchenproduktion wird nichts bringen. Aber was bringen dann die beliebten „touristischen Highlights“, die zumeist auf Steuerzahlerkosten in die Landschaft gebaut werden? Wenig bis nichts. Sie stecken in den großen Posten „Kulturelle Leistungen, Sport und sonstige Erholungsleistungen“, die alle zusammen im Jahr 2013 gerade mal 661 Millionen Euro umgesetzt haben. Das sind 2,4 Prozent an allen tourismusrelevanten Umsätzen.

Und da hinein gehört natürlich auch fast alles, was so gern als „Wassertourismus“ verkauft wird. Von einem Bereich, der mit allen möglichen Konzerten, Museen, Theateraufführungen, Festen und Sportaktivitäten nur 2,4 Prozent am gesamten Tourismusgeschäft umsetzt, einen künftigen Umsatzbeitrag von 30 Prozent zu behaupten (wie im „Gesamtkonzept“ geschehen) ist ziemlich unverfroren.

Schon der simple Blick auf diese Zahlen zeigt, dass ganz klassisches Regionenmarketing und ein barrierefrei verfügbares Angebot an Übernachtungen, Reisewegen, Freizeit- und Kulturangeboten deutlich höhere Effekte bringen als der falsche Traum einer Wassertourismusregion.

Die Mitteilung des Statistischen Landesamtes zur Tourismusentwicklung.

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