Man kennt sie nicht anders: Immer dann, wenn die Zumutungen der großen amerikanischen Konzerne auf den kleinsten Widerspruch in Europa stoßen, springt die FAZ aus der Kiste und versucht, ihren Lesern einzureden, dass Europa mit so einem Widerstand aufhören würde, „ein ernsthafter Handelspartner“ zu sein. Wie am Mittwoch, 19. Oktober, wieder Klaus-Dieter Frankenberger. Der ist dort eigentlich fürs Außenpolitische zuständig.

Und Wirtschaftspolitik scheint er eher mit Moralmaßstäben zu messen. Aber welchen? Das kleine Wallonien hat dem Drängen der EU-Kommission nicht nachgegeben, dem „Freihandelsabkommen“ CETA zuzustimmen. Die ganze Garde der europäischen Außenminister schien düpiert, weil sie mit ihrer Politik, die heiß umstrittenen Feihandelsabkommen CETA und TTIP gegen den Willen großer Teile der europäischen Bevölkerung durchzudrücken, erst einmal feststecken.

„Der überwältigende Rest ist der Leidtragende“, behauptete Frankenberger.

Welcher Rest denn?

Nicht ein Wort dabei, dass es bei diesen Verträgen um Macht geht, echte, reale wirtschaftliche und politische Macht. Reihenweise überschreiten die in CETA verankerten Paragraphen die eigentliche Verhandlungsvollmacht der EU-Kommission, deren Präsident fortwährend behauptet, er habe von den Bürgern genau dieses Mandat zum Verhandeln bekommen.

Falsch, kritisiert das globalisierungskritische Netzwerk Attac.

Die am Dienstag, 18. Oktober, aufgeschobene Entscheidung der EU-Handelsminister zum Abschluss des umstrittenen Freihandelsabkommen CETA zeige etwas ganz anderes, nämlich wie groß die gesellschaftliche Ablehnung des EU-Kanada-Abkommens ist und dass die Bedenken keinesfalls ausgeräumt sind. Wobei auch das Wort Bedenken eine Untertreibung ist. Es geht um den kompletten Charakter dieses Vertragswerks, das den Rahmen eines Freihandelsvertrags weit überschreitet. Denn es definiert Sonderrechte für Konzerne, die diese gegen Staaten, Länder, Regierungen und Kommunen einklagen können.

Überall dort, wo sich die klagenden und in der Regel mit jeder Menge Geld operierenden Konzerne in ihrem Agieren durch vor Ort geltende Gesetze, Beschlüsse, Regeln und Standards behindert fühlen, dürfen sie den sogenannten „Investorenschutz“ bemühen und sich ihre Marktvorteile einklagen.

Und die Manager der EU singen genau dieses Lied – und machen den Bürgern weis, sie würden „seriöse und verlässliche Weise Handelsabkommen schließen“, wie Frankenberger behauptet.

An TTIP und CETA ist nichts seriös. Es sind auf Konzerninteressen zugeschnittene Sondergesetze. Sie definieren auch keine besseren oder gar fairen Marktregeln, wie Attac kritisiert.

Stattdessen fordert Attac eine alternative Handelspolitik, wie sie im „Alternativen Handelsmandat“ beschrieben wurde.

Darum geht es schon die ganze Zeit. Denn noch mehr „Freihandelsverträge“ à la CETA und TTIP reißen die Gräben in der Weltwirtschaft immer weiter auf, lösen aber kein einziges der Probleme, die die Weltgemeinschaft heute in ihre tiefsten Krisen gestürzt hat – vom Klimawandel über den Raubbau an Ressourcen, die Armut in den Ländern, die zu Billigproduktionsstätten für den reichen Westen geworden sind, die Zerstörung von Land und Wasserreservoiren, von Biodiversität und Staaten, die zum Opfer von Bürgerkriegen und Räuberbaronen werden. Usw.

Wer wirklich hinschaut, weiß, dass die Kriege und sozialen Katastrophen in der Welt mit einem manifesten Ungleichgewicht im Wirtschaftsgefüge zusammenhängen, bei denen die Armen die Zeche für die Reichen zahlen. Und Europa ist mit den beiden angedienten Verträgen gerade dabei, seine eigenständige Rolle gegenüber der Wirtschaftsmacht USA preiszugeben.

Nur: Die EU-Kommission diskutiert diese Gefahr nicht einmal. Für wen verhandelt sie eigentlich? Doch nicht für die EU?

„Die Behauptung des Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel, CETA sei ein Abkommen wie es zivilgesellschaftliche Organisationen schon vor zehn Jahren von der Europäischen Union eingefordert hätten, ist eine groteske Verdrehung der tatsächlichen Interessen, die hinter CETA stehen. Die Aussage Gabriels, dass in dem Abkommen gerade nicht die Wirtschaft ausschließlich im Mittelpunkt stehe, sondern der Schutz der Menschen, der Verbraucher und der Arbeiter, soll bei den Bürgerinnen und Bürgern den Eindruck erwecken, ihre berechtigte Kritik an CETA fände Gehör“, kritisiert Roland Süß, Mitglied im Attac-Koordinierungskreis. „Dieses Abkommen dient auch in seiner jetzigen Form vor allem den Interessen großer Unternehmen und bleibt eine Gefahr für die Demokratie, für Sozial- und Umweltstandards und die öffentliche Daseinsvorsorge und muss daher gestoppt werden.2

Darum geht es nämlich: andere, qualitativ völlig anders gewichtete Handelsverträge, die den Welt-Handel wieder gerechter machen.

Genau das was zivilgesellschaftliche Organisationen tatsächlich schon seit Langem fordern: eine wirklich alternative Handelspolitik.

So erarbeitete Attac damals zusammen mit vielen anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen die Kriterien einer solchen Politik: Im Zentrum des „Alternativen Handelsmandats“ (Alternative Trade Mandate, kurz ATM) stehen Grundsätze einer demokratisch kontrollierten Handels- und Investitionspolitik, die den Menschen dient und die natürliche Lebensgrundlagen schützt. Zusammengefasst geht es um zwei Kernforderungen: um das Recht von Gesellschaften, ihre Lebensverhältnisse selbstbestimmt zu gestalten und die Verwirklichung umfassender Menschenrechte.

Die verfassungsrechtlichen Einwände gegen CETA wurden letzte Woche vom Bundesverfassungsgericht als nicht unbegründet eingestuft und werden in einem Hauptsacheverfahren extra verhandelt. Die vorläufige Anwendung von CETA wurde lediglich unter drei noch einzulösenden Bedingungen bis zum Hauptsacheverfahren akzeptiert:

  1. Die vorläufige Anwendung von CETA darf sich nur auf solche Teile des Abkommens erstrecken, die unstreitig in der Zuständigkeit der Europäischen Union liegen.
  2. Der gemischte CETA-Ausschuss darf ohne demokratische Rückbindung keine Beschlüsse nach Art. 30.2 Abs. 2 CETA fassen.
  3. Die vorläufige Anwendung von CETA muss durch die Bundesrepublik Deutschland einseitig widerrufen werden können. Wie dies völkerrechtlich verbindlich gewährleistet werden soll – darüber wurde die Öffentlichkeit allerdings noch nicht informiert.

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