Wer über Energiewende und Kohlekraftwerke redet, der muss über Wirtschaftlichkeit reden. Nicht so, wie es die Marketingabteilungen der Kohlekonzerne tun, die gern von den riesigen Subventionen für Erneuerbare Energie reden – und die riesigen Subventionen für Kohle und Kernkraft geflissentlich vergessen. Sondern so wie der Verkaufsleiter, der mit winzigen Cent-Beträgen an der Börse rechnen muss und dem, was an Rentabilität eines Kraftwerksblocks am Ende übrig bleibt.

Da rechnen sich eine Menge Dinge ein: die Kosten für die Kohleförderung, Lohnkosten, Betriebskosten, Abschreibungen. Etwas, was der Energieforscher Jeffrey Michel mal für das Kraftwerk Lippendorf im Leipziger Süden und das 900-MW-Braunkohlekraftwerk Schkopau, das den Chemiestandort von Dow-DuPont mit Energie beliefert (und nebenbei auch noch Bahnstrom produziert), berechnet hat.

Einer der beiden 891-MW-Kraftwerksblöcke in Lippendorf gehört der EPH, der Konzernmutter der Mibrag. Er ist bis 2023 gesichert, denn bis dahin läuft der Fernwärmeliefervertrag mit den Stadtwerken Leipzig. Die Stadt Leipzig lässt jetzt – nach einer Stadtratsentscheidung – prüfen, ob Leipzig schon nach Auslaufen des Vertrages auf die Fernwärmelieferungen verzichten kann. Sollte das (noch) nicht möglich sein, steht das Jahr 2030 als Prüftermin.

Aber wie ist das mit dem zweiten Kraftwerksblock?

Jeffrey Michel: „Der Lippendorfer Block S (Süd) ist im Eigentum der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW AG). Dieser zweite Generatorblock könnte bereits wegen
erhöhter Braunkohlekosten vorzeitig vom Netz genommen werden, ohne die Versorgungssicherheit maßgeblich zu gefährden. EnBW gehört zu den über 50 Unternehmen, die am 7. November bei der ‚Stiftung 2 Grad‘ einen zügigen Kohleausstieg gefordert haben. Das Kraftwerk in Lippendorf emittiert über 11 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Die Hälfte davon könnte durch den Standby-Betrieb von Block S vermieden werden.“

Das heißt: über Lippendorf hängen zwei große Fragezeichen. Und es ist nicht unbedingt so, dass Leipzig hier die Hände in den Schoß legen kann. Denn bevor Lippendorf vom Netz geht, muss Leipzig seine eigene dezentrale Stromsicherung aufgebaut haben – was ja die Stadtwerke mit den ersten dezentralen Gaskraftwerken schon begonnen haben. Sollte Leipzig zu dem Schluss kommen, dass es nach 2023 keine Fernwärme und keinen Strom mehr aus Lippendorf braucht, steht nicht nur dort eine Entscheidung an, sondern auch bei der Mibrag. Denn dann steht die Rentabilitätsfrage des Tagebaus Vereinigtes Schleenhain.

Erst recht, wenn sich EnBW dafür entscheidet, den kaum noch Gewinne produzierenden Block S stillzulegen.

Michel: „Durch die Überführung des Blocks in die Sicherheitsbereitschaft würde die EnBW eine Ausgleichsvergütung von der Bundesnetzagentur erhalten. Der 891-MW-Generator könnte aber jederzeit wieder in Betrieb genommen werden, um drohende Versorgungsengpässe abzuwenden.“

Aber nur, wenn Schleenhain weiter betrieben wird.

Und wie sieht es im ebenfalls von Mibrag bewirtschafteten Tagebau Profen im benachbarten Sachsen-Anhalt aus?

Das hängt wieder vom Weiterbetrieb des 1995 in Funktion genommenen Kraftwerks Schkopau ab. Auch das eine Rentabilitätsfrage, denn der Antransport der Kohle aus dem 40 Kilometer entfernten Tagebau Profen macht die Kalkulationen sehr eng.

Aber Michel bringt auch noch die Haltung des Dow-Mutterkonzern ins Spiel: „In den USA hat sich der Mutterkonzern von DowDuPont bereits teilweise von den fossilen Energieträgern abgewandt. Trotz reichlicher Vorkommen an Erdgas und Braunkohle im Bundesstaat Texas wurde im März 2015 zur Versorgung der Dow-Betriebsstätte in der Stadt Freeport ein Bezugsvertrag über 200 MW aus einem eigens errichteten Windpark abgeschlossen.“

Und Sachsen-Anhalt hat schon 4,9 GW Windkraftkapazität installiert, einen guten Teil davon direkt im Umfeld von Schkopau.

„Das Kraftwerk Schkopau könnte sich demzufolge in wenigen Jahren rechnerisch erübrigen und den Chemiestandort erheblich entkarbonisieren“, stellt Michel in seinem ausführlichen Beitrag für „Libell“, das Periodikum der Grünen Liga Brandenburg, fest. Und die Debatte wird sich dort schon in den nächsten Jahren zuspitzen, denn der Liefervertrag mit der Mibrag für das Kraftwerk Schkopau läuft 2021 aus.

Das heißt: Gerade die beiden Tagebaugebiete in Mitteldeutschland stehen vor großen Entscheidungen. Laufen die wichtigsten Verträge 2021 und 2023 aus oder werden sie noch einmal um ein paar Jahre verlängert?

Das wird sich in jedem Fall mit der Frage entscheiden, ob die benötigten Energielieferungen alternativ abzusichern sind. Und natürlich auch, ob die betroffenen Kommunen den Mut haben, den Strukturwandel zeitnah zu wagen – oder ob sie zaudern und das Ganze noch einmal vertagen für ein paar Jahre. Denn Konzepte, die betroffenen Arbeitsplätze zu ersetzen und die strukturschwachen Regionen zu stabilisieren, hat man noch nicht.

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