Es passt hinten und vorne nicht, nicht nur in Leipzig, sondern in ganz Deutschland. 1,5 Millionen bezahlbare Wohnungen sollten in der aktuellen Legislaturperiode bis 2021 entstehen. Vollmundig hatte es die Regierungskoalition verkündet. Doch der zuständige Minister hat völlig fehlgesteuert. Selbst die Zahlen, die Bundesbauminister Horst Seehofer jetzt in einer Antwort auf eine Grünen-Anfrage im Bundestag herausgab, sind geschönt. Von der Aktion „Impulse für den Wohnungsbau“ wird er dafür heftig kritisiert.

Der Umgang des Bundesbauministerium mit dem 1,5-Millionen-Ziel beim Wohnungsneubau sorgt in Kreisen der Bau- und Immobilienbranche für Unmut.

„Gut ein Jahr vor der Bundestagswahl wird es eng: Keiner in der Branche erwartet, dass die Bundesregierung mit dem Kernziel ihrer Wohnraumoffensive noch Erfolg haben wird. Das Vorhaben der Großen Koalition, anderthalb Millionen Wohnungen bis 2021 neu zu schaffen, ist schon jetzt zum Scheitern verurteilt.

Anstatt dies jedoch einzugestehen und die Ursachen dafür zu beseitigen, rechnet das Bundesbauministerium die Zahlen schön: Es zählt die tatsächlich gebauten Wohnungen und den Bauüberhang – also die Baugenehmigungen – zusammen. Das stößt in der Branche übel auf“, sagt Dr. Ronald Rast. Er reagiert damit auf die jüngste Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen zum „Stand der Umsetzung des Neubauziels im Wohnungsbau“.

Rast ist auch Koordinator der Aktion „Impulse für den Wohnungsbau“. In dem Bündnis haben sich mehr als 30 Organisationen und Verbände der Bau- und Immobilienwirtschaft zusammengeschlossen, darunter der Deutsche Mieterbund und die IG BAU.

Wer alles die Aktion unterstützt, kann man auf dieser Website sehen.

Für Verärgerung sorge insbesondere, dass das Bundesbauministerium in seiner Antwort an die Grünen von „guten und verlässlichen Rahmenbedingungen“ für den Wohnungsbau spreche.

Die Antwort des Bundesbauministeriums an die Grünen.

„Seit Jahren werden erheblich mehr Wohnungen genehmigt als gebaut. Das hat dazu geführt, dass wir aktuell einen Bauüberhang von 740.000 Wohnungen haben – den Höchststand seit mehr als zwanzig Jahren. Es würde mit den vorhandenen Kapazitäten zweieinhalb Jahre dauern, um allein diesen Berg abzubauen“, rechnet Rast vor. Verantwortlich dafür seien – anders als von der Bundesregierung behauptet – schlechte Rahmenbedingungen, die den Aufbau notwendiger Kapazitäten in der Bauwirtschaft bislang verhindert hätten.

Seit Jahren mahnten maßgebliche Akteure des Bauens und Wohnens in Deutschland – allen voran die 30 Organisationen und Verbände der Aktion „Impulse für den Wohnungsbau“ – bessere Konditionen und damit auch eine Perspektive mit wirtschaftlicher Verlässlichkeit für den Wohnungsbau an.

„Nur so kann es gelingen, Investitionen anzuschieben, die die Bauwirtschaft dringend braucht, um aus Wohnungen auf dem Papier tatsächlich gebaute Wohnungen in den Städten werden zu lassen. Um die Überhänge also abzubauen. Kommen die nicht, passiert auch nichts“, sagt Dr. Ronald Rast.

Allein die Hartnäckigkeit, mit der die Bundesregierung seit Jahren den lauten Ruf der Bau- und Immobilienwirtschaft nach einer generellen, sachgerechten Erhöhung der linearen Abschreibung (AfA) ignoriert habe, sei symptomatisch für den Umgang der Bundespolitik mit dem Wohnungsneubau – und damit letztlich auch mit dem Wohnungsmangel in Deutschland.

Rast verweist auf die Forderungen der Aktion „Impulse für den Wohnungsbau“, der bundesweit größten Allianz für das Bauen und Wohnen in Deutschland. Deren Positionspapier sei die aktuelle To-do-Liste für die Wohnungsbaupolitik.

Eine zentrale Kernforderung war von Anfang an eine ausreichende Finanzierung des Sozialen Wohnungsbaus, ohne den gerade in den Großstädten nicht genug bezahlbare Wohnungen entstehen können.

Im Papier kann man dazu lesen: „Der Bestand an Sozialmietwohnungen sinkt seit Jahren kontinuierlich. Allein 2018 war ein Rückgang von 50.000 Wohnungen mit Belegungsbindung zu verzeichnen. Die Situation dürfte sich aktuell noch verschärfen, denn die Bundesmittel für die soziale Wohnraumförderung sind 2020 um 500 Millionen auf gut 1 Milliarde Euro gesunken. Um den Sozialwohnungsbestand zumindest zu stabilisieren, wäre die Errichtung von mindestens 80.000 neuen Sozialmietwohnungen pro Jahr erforderlich.“

Aber auch die Förderung energetischer Sanierungen gehört zum Forderungskatalog. Denn die existierenden Förderinstrumente decken nur einen Teil der in den vergangenen Jahren immer weiter verschärften Anforderungen an Klimaschutz beim Bauen ab. Das treibt logischerweise die Mieten in die Höhe und macht Wohnbauprojekte oft unrentabel. So werden sie dort, wo sich keine kostendeckenden Mieten erzielen lassen, schlicht unterlassen.

„Die Neubau-Rechnung der Bundesregierung geht nicht auf: Das Ziel der Großen Koalition und damit der Auftrag der GroKo an den Bundesbauminister war es, in dieser Legislaturperiode mindestens 1,5 Millionen neue Wohnungen zu bauen. Sich jetzt – gut ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl – damit retten zu wollen, die Zahl der tatsächlich gebauten Wohnungen und die Zahl der Baugenehmigungen zu addieren, ist nicht in Ordnung“, sagt Dr. Ronald Rast.

Es ist der Bund selbst, der für permanente Unsicherheit am Bau sorge.

Der Bau lasse sich eben nicht per politischem Knopfdruck zu Beginn einer Legislaturperiode beliebig an- und danach wieder abschalten,so Rast. Wer Fachkräfte ausbildet, der will sie nach der Ausbildung auch weiterbeschäftigen: Bauunternehmer und Baubeschäftigte brauchen eine Perspektive. Wer Maschinen in der Baustoffproduktion oder für die Baustellen anschafft, der braucht eine Perspektive für deren Auslastung.

Das Problem? Die Kurzatmigkeit, die nicht nur Horst Seehofer als Innenminister an den Tag legt.

Die Branche warte seit Jahren vergeblich auf eine Wohnungsbaupolitik, die der Bau- und Immobilienwirtschaft über die jeweilige Legislaturperiode hinweg Perspektive und damit Planungssicherheit gebe, so Rast. Dazu gehörten vor allem klare, mittel- bis langfristige Zusagen für die Förderung des sozialen und bezahlbaren Wohnungsbaus. Und ebenso u. a. auch die seit Jahren von den Verbänden und Organisationen der Bau- und Immobilienwirtschaft geforderte dauerhafte Verbesserung der Abschreibungsbedingungen – Stichwort: Erhöhung der linearen AfA von 2 auf 3 Prozent – so, wie es dem tatsächlichen Werteverzehr von heutigen Wohnungsbauten entspricht.

Ronald Rast: „Die Branche vermisst klare politische Signale und vor allem einen ‚Masterplan Wohnungsbau‘ für das laufende Jahrzehnt – mit wichtigen Positionen wie dem sozialen und bezahlbaren Wohnungsbau, der energetischen Sanierung, dem seniorengerechten Wohnen und dem Ersatzneubau. Gerade in der Zeit der Post-Corona-Krise wird Deutschland auf den Bau als Lokomotive für die Binnenkonjunktur dringend angewiesen sein.“

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