Wie bewegen sich die Bewohner einer Stadt so tagtäglich durchs Gewimmel? - Dazu gibt es schon allerlei Daten. Manche rein auf lokaler Ebene, manche mit eigenem Raster. Aber wenn man die Entwicklung übergreifend betrachten will, braucht man Daten aus vielen Städten - mehr als 100 zum Beispiel. Deswegen bekommen einige ausgewählte Leipziger Haushalte dieser Tage wieder Post.

Im Auftrag der Stadt werden sie nach ihrem Verhalten in Sachen Mobilität und Verkehr befragt. Damit gehört Leipzig zu den mehr als 100 deutschen Städten und Gemeinden, die bis Dezember im Forschungsprojekt “Mobilität in Städten” nach der Methodik des Systems repräsentativer Verkehrsbefragungen (SrV) zeitgleich untersucht werden.

Aktuelle Erkenntnisse über Veränderungen im Verkehrsverhalten der Leipzigerinnen und Leipziger, etwa bei der Wahl der Verkehrsmittel, sind für die Stadt- und Verkehrsplanung von großer Bedeutung, erklärt zumindest das Verkehrs- und Tiefbauamt der Stadt dazu, auch wenn die Sache eigentlich beim “Forschungsprojekt Mobilität in Städten” an der TU Dresden zusammenläuft. Denn es geht nicht nur um Leipzig. Es geht um eine Langzeiterhebung zum Mobilitätsverhalten der Städter, die große Draufsicht also, die auch Trends sichtbar macht, die überall ähnlich wirken.

Könnte für die große Politik wichtig sein, wenn diese über ihr übliches Kleinklein hinauskäme und anfinge, Trends, die sowieso schon da sind, auch zu stärken und zu stützen. Aber manches Ministerium begreift seine Aufgabe eher darin, Trends zu blockieren, auszubremsen oder zu ignorieren.

Zumindest ist das Leipziger Verkehrs- und Tiefbauamt sich sicher, dass die Ergebnisse der Befragung “eine entscheidende Voraussetzung für geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität des Verkehrs, zur Verhinderung von Staus sowie zur Erreichung der Ziele, die sich Leipzig bei der Luftreinhaltung und beim Klimaschutz gesteckt hat”, sind. Außerdem sei regelmäßig zu überprüfen, ob zum Beispiel verkehrsplanerische Maßnahmen tatsächlich zu den gewünschten Ergebnissen geführt haben.

Aber schon der Versuch, die Sache zu interpretieren, zeigt ja, wie widerstreitend die Anliegen sind, wenn es um Verkehr in einer Stadt geht. Und dass das federführende Amt gleich nach der Floskel “Verbesserung der Qualität des Verkehrs” (was immer das heißen mag) als erstes Kriterium “Verhinderung von Staus” nennt (die in Leipzig nun wirklich kein Problem sind, egal, wie oft sich der Freitagabendverkehr am Tröndlinring gegenseitig blockiert), dann sagt das zumindest einiges aus über die Sichtweise der Stadt auf die zu organisierende Mobilität der Leipziger.

Eigentlich ist man auch in Leipzigs Verwaltung schon weiter. Erst im Dezember wurde vom Dezernat Stadtentwicklung und Bau eine erste Bilanz des Bürgerwettbewerbs “Ideen für den Stadtverkehr” gezogen.

“Wir haben uns mit diesem Wettbewerb am Forschungsvorhaben ?Pilotprojekte der Nationalen Stadtentwicklung’ des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung beteiligt, weil wir darin eine gute Möglichkeit sahen, die Bürger stärker in Planungsprozesse zum Thema Verkehr, konkret: in die Fortschreibung des Stadtentwicklungsplanes ?Verkehr und öffentlicher Raum’ einzubeziehen”, erklärte Baubürgermeister Martin zur Nedden bei der Gelegenheit. “Das Ergebnis hat unsere Erwartungen übertroffen. Das gilt sowohl für die Resonanz in der Bürgerschaft als auch die thematische Breite und die Qualität der eingereichten Beiträge.”Der Wettbewerbsjury lagen 382 Einreichungen vor, die es auszuwerten galt. Teilweise wurden mehrere Ideen in einem Beitrag formuliert. Insgesamt enthielten die Beiträge 618 Ideen. Diese verteilen sich auf die drei Kategorien stadtweite Ideen, Stadtteilkonzepte und kleinteilige Ideen. Insgesamt 17 Einsendungen wurden von der Jury ausgewählt. Sie decken einen weiten Bereich ab: Von “Gehwegnasen” und Streetart – originelle Aufkleber, die auf die nächste LVB-Haltestelle hinweisen -, Carsharing in Schleußig und der Entwicklung des Parkbogens Ost bis zu abschließbaren Fahrradboxen in der Innenstadt oder zu Pflanzungen von Bäumen auf Stadtplätzen und Kreuzungsbereichen nach dem Vorbild der Bülowlinde im Bülowviertel.

In der zweiten Phase des Wettbewerbs, der Konzeptphase, die im Januar 2013 beginnt, werden die ausgewählten Ideen bis März in moderierten und fachlich begleiteten Workshops vertieft. Vor allem folgende Themen sollen weiterentwickelt werden:

– zukünftige Gestaltung des Promenadenrings,

– Verkehrskonzept für Stötteritz/Mölkau,

– Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs,

– Aufwertung des öffentlichen Raums und

– Parken in Quartieren am Beispiel von Schleußig.

Die Ergebnisse der Workshops werden dann wiederum dem Runden Tisch Verkehr vorgelegt. “Generell aber”, so Martin zur Nedden, “gilt für den Wettbewerb: Keine Idee geht verloren. So bekommen alle Einreicher in den nächsten Monaten von der Verwaltung noch eine Antwort auf ihre Vorschläge. Gute Vorschläge sollen in die Fortschreibung des Stadtentwicklungsplans Verkehr und öffentlicher Raum einfließen, der im nächsten Jahr als Entwurf vorgestellt werden soll.”

Im Rahmen einer weiteren Veranstaltung im Frühjahr sollen zudem die vielen eingereichten Beiträge von Kinder und Schulen gewürdigt werden. Die öffentliche Preisverleihung findet im Frühjahr 2013 nach der vertieften Diskussion am Runden Tisch Verkehr im Januar und März statt. Dazu werden alle Einreicher eingeladen.

Man sieht also, dass die Planer die Ergebnisse aus der Befragung der TU Dresden nicht wirklich brauchen, um ihre Verkehrspolitik zu justieren. Die Mobilitätsbefragung kann nur zeigen, wie die Bürger mit dem Vorhandenen umgehen. Sie zeigen den mobilen Bürger als Ergebnis der Umstände, nicht als Gestalter des Verkehrsraums.

Denn Fahrzeugausstattung, Stellplatznutzung, Fahrkartennutzung im ÖPNV, Wegehäufigkeit der Personen und so weiter sind alles schon Reaktionen auf vorgefundene Strukturen. Was im vorhandenen Verkehrsraum keinen Sinn macht, wird sich auch bei den Verkehrsteilnehmern eher nicht finden. Ohne eine übergreifende Vision dessen, was für einen Verkehrsmix man eigentlich als Stadtgesellschaft haben will, geht es nicht.

Federführend bei der jetzigen Befragung ist die Technische Universität Dresden, mit der Durchführung wurde das Leipziger Institut omnitrend GmbH beauftragt. Dort werden alle Daten erfasst, anonymisiert und zur Auswertung an die TU Dresden übergeben. Die Einhaltung der Bestimmungen des Datenschutzes ist gewährleistet.

Die Adressen der zu befragenden Haushalte wurden aus dem Einwohnermelderegister per Zufallsverfahren gezogen. Diese Haushalte erhalten ein Ankündigungsschreiben, in dem sie über die Befragung informiert und um ihre Mitwirkung gebeten werden. Die Teilnahme an der Erhebung ist freiwillig.

Die Stadtverwaltung Leipzig und die TU Dresden bitten alle ausgewählten Haushalte, sich an der Befragung zu beteiligen. “Nur durch die aktive Mitwirkung möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger können repräsentative Daten gewonnen werden”, betont das Verkehrs- und Tiefbauamt und fügt den Nachsatz an, “die für eine bedarfsgerechte Verkehrsplanung unerlässlich sind.”

Sind sie aber nicht. Siehe oben. Sie zeigen nur, was ist. Nicht, was sein sollte. Oder gar: was möglich ist.

Weitere Informationen zum SrV 2013 findet man unter: www.tu-dresden.de/srv2013

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