Ein Rekord ist dem Mitteldeutschen S-Bahn-Netz, das als Bündel aus sechs Linien durch den City-Tunnel führen soll, schon jetzt sicher: Mit 188 Kilometern Länge wird die künftige S 4 zwischen Geithain und Hoyerswerda die längste deutsche S-Bahn-Linie sein. Fahrgäste zum Beispiel aus Frohburg oder Petergrube, die tagsüber dringende Angelegenheiten in Schwarzkollm oder Hosena zu erledigen haben, sollen ab dem 15. Dezember 2013 in den unvergleichlichen Genuss kommen, umsteigefrei ihr fernes Reiseziel auf der Schiene zu erreichen.

Indes, der erfahrene Bahn-Benutzer gerät ins Grübeln. Das soll eine S-Bahn sein? Mit 188 Kilometern Linienverlauf? Schließlich entfallen allein in Gestalt der S 4 rund 44 Prozent der gesamten, 430 Kilometer messenden Netzlänge der kommenden Mitteldeutschen S-Bahn auf nur eine Linie. In die verbleibenden 56 Prozent teilen sich fünf Linien.

In der Tat zeigt ein Vergleich mit der gängigen Begriffsbestimmung einer S-Bahn, dass die S 4 nur wenig Ähnlichkeit mit einer Stadtschnellbahn aufweist. Auf dem längsten Außenast des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes kann (und muss) von dichter Zugfolge – einem wesentlichen S-Bahn-Charakteristikum – nicht die Rede sein. Der geplante Stundentakt weist vielmehr auf die Herkunft dieser Linie aus dem Kreis der RegionalExpress-Verbindungen hin. Wenn die S 4 dereinst ihr Ziel im strukturschwachen fernen Osten des Freistaates Sachsen in der 38.000-Einwohner-Stadt Hoyerswerda (vor 30 Jahren 72.000 Einwohner) erreichen wird, hat sie zwischendurch sogar den Südzipfel Brandenburgs durchquert.

Um das zu verstehen, ist ein Blick in die fast zwanzigjährige Historie des City-Tunnel-Betriebskonzepts ratsam. Von Beginn an und recht lange Zeit war vorgesehen, mehrere S-Bahn-Linien (gedacht war an vier) sowie eine Reihe von RegionalExpress-Verbindungen gleichberechtigt durch den City-Tunnel zu führen. Bei der finalen Abstimmung mit den vielen Beteiligten und der Festlegung des Netzes blieben davon sechs S-Bahn-Linien übrig.Fahrgäste hätten nach dem ursprünglichen Konzept ab der Station Leipzig Hbf (tief) eine S-Bahn zum geplanten Endpunkt in Taucha nehmen und dort in den RegionalExpress nach Hoyerswerda umsteigen müssen, der im Hauptbahnhof weiterhin oberirdisch geplant war. Dieser Wechsel des Zuges in Taucha für die verbleibenden 130 Kilometer Reiseweg ist nach dem revidierten Netzkonzept nun nicht mehr erforderlich.

Die Praxis wird zeigen, ob sich am Endpunkt der künftigen S 4 in Geithain viele Fahrgäste von der Ansage animiert fühlen “Wir begrüßen Sie in den Zügen der Mitteldeutschen S-Bahn und wünschen Ihnen eine angenehme Fahrt nach Hoyerswerda”, um die Linie in voller Länge zu testen. Wahrscheinlich wird wohl auf dieser aus zwei verschiedenen Streckenästen zusammengefügten Verbindung in den unterirdischen Leipziger Stationen ein kompletter Fahrgastwechsel stattfinden.

Die S 4 ist von Anfang bis Ende ein typischer verkehrspolitisch-finanzierungstechnisch-betrieblicher Kompromiss. Eine wahre Bewährungsprobe steht auf dieser Linie den Triebzügen der Mitteldeutschen S-Bahn bevor, die aus der Talent-2-Familie des Herstellers Bombardier stammen. Andere Talent-“Familienmitglieder” kommen ja seit rund zehn Wochen auf ausgewählten mitteldeutschen RegionalExpress-Verbindungen der Deutschen Bahn zum Einsatz. Sehr zum Leidwesen bahnerprobter Fahrgäste übrigens. Unzureichendes Sitzplatzangebot, unbequeme Sitzgestaltung und spärliche Mitnahmemöglichkeiten von Reisegepäck sind seither Gegenstand heftiger Kritik.

Es bleibt dabei: Die “Talente” sind typische Kurzstreckenfahrzeuge. Als wirkliche S-Bahnen mit nur wenigen Minuten Fahrzeit eingesetzt, verlieren die teuren Neubauten ihren Schrecken, der sowohl Kinderkrankheiten als auch eindeutigen Konstruktionsmängeln geschuldet ist. Ob das allerdings auch auf ganzer Linie für die Fast-200-Kilometer-Strecke der mitteldeutschen S 4 gelten wird?

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