Im Laufe der ersten März-Woche sind sie ein ganzes Stück klarer geworden, die Verkehrsleistungen, die im Mitteldeutschen S-Bahn-Netz (MDSB) in den ersten Betriebsjahren erbracht werden sollen, wenn der Start mit dem Kernelement City-Tunnel Leipzig im Dezember 2013 glückt.

Zum einen erhielt Abellio, eine Tochtergesellschaft der Niederländischen Bahn (Nederlandse Spoorwegen/NS), am Freitag den Zuschlag für den zweiten Teil des Mitteldeutschen S-Bahn-Netzes (MDSB II), der ab Dezember 2015 gefahren wird und der im vorigen Schlaglicht beleuchtet wurde. Zum anderen zurrte die Verbandsversammlung des Zweckverbandes für den Nahverkehrsraum Leipzig (ZVNL) die Bestellung für den Jahresfahrplan 2013/14 fest.

Und das heißt, alle Linien, die in der Startphase durch den City-Tunnel führen sollen, sind vom Umfang und der konkreten Taktgestaltung her nunmehr beschlossen. Es heißt aber auch, dass die Deutsche Bahn mit ihrer Regionalverkehrstochter DB Regio auf absehbare Zeit keinen so großen Leistungsumfang im Mitteldeutschen S-Bahn-Netz wieder fahren wird wie in den ersten beiden Betriebsjahren zwischen Dezember 2013 und Dezember 2015.

Denn der Vertrag, den die mitteldeutsche Tochter der Niederländer nun für die S 2 Gaschwitz – Bitterfeld – Dessau/Lutherstadt Wittenberg bekommen soll, läuft 15 Jahre lang, bis Dezember 2030.

Abellio ist fast am Ziel. Nur noch eine Hürde muss genommen werden: Wie in jedem Vergabeverfahren liegt zwischen der Vergabeentscheidung und der Vertragsunterzeichnung eine Frist von zehn Tagen, in der unterlegene Bieter Einspruch gegen die Entscheidung erheben können. Es dürfte klar sein, dass der Zweitplatzierte – DB Regio – von seinem Recht Gebrauch macht. Denn die Deutsche Bahn wird von der Entscheidung für Abellio, die federführend von der Nahverkehrsservice Sachsen-Anhalt GmbH (NASA) getragen wurde, hart getroffen. Erstmals muss die DB ein Stück vom S-Bahn-Kuchen abgeben.

Seit dem Beginn der Bahnreform vor knapp 20 Jahren herrscht Wettbewerb auf der Schiene, vor allem im regionalen Personenverkehr. Eine ganze Reihe mehr oder weniger privater Bahngesellschaften rangen dem einstigen Monopolisten Deutsche Bahn immer mehr der ausgeschriebenen Teilnetze ab. Regionalbahnen und regionale Expressverbindungen fielen an neue Betreiber, die aus ganz Europa und mittlerweile weit darüber hinaus angelockt wurden.

In den großen Ballungsräumen (Berlin, Hamburg, München, Nordrhein-Westfalen, Rhein-Main) begegnen die verkehrsroten Fahrzeuge von DB Regio immer mehr “bunten Zügen” der kecken Wettbewerber. Doch so nahe sich die ungleichen Leistungserbringer bisher auf benachbarten oder manchmal sogar denselben Gleisen auch kommen – in den deutschen S-Bahn-Netzen hatte bisher die Deutsche Bahn mit ihren einschlägigen Töchtern das Sagen.

Das wird sich bald ändern, falls DB Regio in Sachen MDSB II in Einspruch gehen und unterliegen sollte. Wenn das passiert, wird das Beispiel Abellio sicher weit über Mitteldeutschland hinaus höchst aufmerksam registriert. Denn offenbar hat am 8. März 2013 die Neujustierung des Kräfteverhältnisses in den deutschen S-Bahn-Netzen begonnen. Ein neuer Wettbewerber stellt den Fuß in die S-Bahn-Tür, im City-Tunnel Leipzig.

Ausschreibungsunterlagen für regionale Bahnnetze sind technische, fahrplanarchitektonische und juristische Text-Massive. Seit 1994 haben sie sich mittlerweile vom Umfang her auf jeweils rund 700 Seiten nahezu verdoppelt.

Den Nutzen aus der Detailbesessenheit sollen die Bahnbenutzer haben. Penibel vorgeschrieben wird jeder Ausrüstungsgegenstand von der Anordnung und dem Abstand der Fahrgastsitze über die Laptop-Steckdose und die Position der Kleiderhaken bis hin zur elektronischen Anzeige und der Außenfarbe der Wagenkästen. Silbergrau sollen letztere bekanntlich bei der Mitteldeutschen S-Bahn sein – mit grünen Türen in den Fahrzeugen von DB Regio und roten Türen (eine feine Ironie?) in den typgleichen Fahrzeugen von Abellio.

Doch wenn unabhängig von der Bahngesellschaft die eingesetzten Fahrzeuge, die von einer absolut überschaubaren Zahl von Herstellern kommen, bis ins kleinste technische Detail vorgeschrieben und geregelt sind, wo sollen dann die Wettbewerbsvorteile der unterschiedlichen Bahngesellschaften noch herrühren? Bei derart unflexiblen Fixkosten gibt es keine Alternative, als im variablen Kostenblock um Centbeträge zu feilschen, die in der Gesamtsumme allerdings zu hübschen Gewinnen auflaufen.

Der Wettbewerb spielt sich hinter der roten Tür ab. Viel mehr als die Personalkosten bleibt nicht, um das günstigste Angebot abzugeben. “Entsprechend der Beauftragung hat der Auftragnehmer seine Mitarbeiter nach den Anforderungen eines branchenüblichen Tarifvertrages zu bezahlen”, heißt es deshalb beschwichtigend in der entsprechenden Pressemitteilung der NASA, mit der die Vergabeentscheidung für Abellio begründet wurde. Die Manager des deutschen Ablegers der Niederländischen Bahn werden wissen, wie sie Tarifverträge im Detail so ausgestalten können, dass der Einstieg in das Mitteldeutsche S-Bahn-Netz für den neuen Betreiber zum lukrativen Geschäft wird.

Entsprechend groß ist der Unmut über die jüngste Entscheidung für Abellio im Kreis von mitteldeutschen Betriebseisenbahnern, die namentlich nicht genannt sein wollen. Haben sie bei DB Regio ausreichend dienstliche Erfahrung, wissen sie selbst am besten, wie gering die Kostenspielräume in hart umkämpften Schienennahverkehrsmarkt sind und wo überhaupt noch “Potenzial” herauszuquetschen ist. Mit der Entscheidung pro Abellio seien fachliche Aspekte in den Hintergrund getreten und die zuständigen Gremien hätten politisch geurteilt, heißt es.

Für Abellio, den Ableger der Niederländischen Bahn, ist der Zuschlag für das MDSB II innerhalb kurzer Zeit der zweite Paukenschlag in ihrem neuen, vorwiegend sachsen-anhaltischen Verkehrsgebiet. Erst Ende 2012 bekamen sie von der federführenden NASA den Zuschlag für das Elektronetz Saale-Thüringen-Südharz (STS), mit dem sie ebenfalls ab Dezember 2015 DB Regio ablösen werden. Gemessen an den bisherigen deutschen Schienennahverkehrsaktivitäten von Abellio, die sich auf Nordrhein-Westfalen beschränken, bringt allein das Elektronetz Saale-Thüringen-Südharz für die Niederländer eine Verdreifachung auf einen Schlag.

Für den Großraum Leipzig ist relevant, dass dann ein neuer Leistungserbringer zwischen der Messestadt und Naumburg auf die Strecke gehen wird. Und damit ist auch der Bogen zur künftigen S 1 auf der Linie Leipzig-Miltitzer Allee – Leipzig-Stötteritz (- Wurzen) geschlagen. Ab Dezember 2015 werden sich im Streckenabschnitt Leipzig-Leutzsch – Leipzig Hauptbahnhof die Züge der S 1 von DB Regio und die Regionalzüge von Abellio begegnen, die von und nach Naumburg unterwegs sind. Im City-Tunnel sorgen dann Verknüpfungen mit der S 2 für weitere deutsch-niederländische Kontakte.

Wie der Leipziger S-Bahn-Verkehr zwischen dem Hauptbahnhof und Leutzsch bzw. Grünau ab 2015 im Einzelnen getaktet sein wird, ist (über die Finanzierung hinaus) vor allem eine Frage der Inbetriebnahme der ICE-Neubaustrecke nach Erfurt, die ebenfalls für Dezember 2015 vorgesehen ist. Erst dann werden auf der im dichten Mischbetrieb gefahrenen Strecke im Westen des Leipziger Stadtgebiets zusätzliche Trassen für die Mitteldeutsche S-Bahn frei. Darüber wird noch zu berichten sein.

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