Am Mittwoch, 16. September, erlebte Leipzigs Stadtrat tatsächlich so etwas wie eine Sternstunde - oder einen Blackout. Zwei Anträge der Linksfraktion standen zur Abstimmung, einer davon betraf direkt die drohende Einstellung der Linie 9 nach Markkleeberg im Dezember. Ein Thema, das mindestens 11.500 Leipziger brennend interessierte, denn sie hatten die Petition gegen die Einstellung unterschrieben. Und dann?

Dann wurde auf fast schon erschreckende Weise sichtbar, wie sehr der Stadtrat längst seine gestaltende Rolle in der Leipziger Nahverkehrspolitik eingebüßt hat. Ein Wink mit dem Zaunpfahl, die Gelder für den Erhalt der Strecke wären im Leipziger Haushalt für 2016 gar nicht eingeplant, so der OBM, und der Antrag wurde abgeschmettert.

Zu den Zahlen kommen wir noch. In aller Ruhe. Denn eines gab es am Mittwoch ganz bestimmt nicht: Eine Diskussion über die wirklichen Fahrgastzahlen und Kosten.

Die Linksfraktion war entsprechend frustriert, denn das hatte sie in den vergangenen neun Jahren auch noch nicht erlebt.

Die verkehrspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Franziska Riekewald, war regelrecht verwundert: „Die Grünen zeigen einmal mehr, dass ihre ökologischen Grundsätze nicht mehr gelten, wenn sie Geld kosten.“

Aber die Stimmen der Grünen allein hätten auch nicht gereicht. Die SPD hätte mit genügend Sachverstand auch mitmachen müssen.

Aber hat sie den noch? Immerhin haben die Ratsfraktionen selbst jahrelang den OBM-Kurs unterstützt, die Stadtholding LVV, zu der die LVB gehören, zu einer echten Management-Holding zu machen. Das Ergebnis ist: Der Stadtrat hat einen Großteil seiner Kontrolle über die Stadtbetriebe abgegeben. Und so konnte OBM Burkhard Jung am Mittwoch mit Zahlen hantieren, die mit der Realität wenig zu tun haben.

„Sehr verwunderlich sind die von OBM Jung in der Diskussion erklärten, hohen zusätzlichen Summen zur Betreibung, Instandhaltung der Linie 9 im Abschnitt Connewitz Kreuz – Wildpark bzw. Endstelle Markkleeberg und der Verweis auf den bestätigten Haushalt 2016. Bei Einbringung des Doppelhaushaltes 2015/2016 gab es keinerlei Information zur Streichung der Linie 9“, stellt Riekewald fest. „Auch ein Hinweis der LVV bzw. LVB hinsichtlich der mittelfristigen Wirtschaftspläne fehlte komplett. Transparenz sowie Glaubwürdigkeit sind mehr als zweifelhaft. Bis heute musste von einem Weiterbetrieb der Linie 9 im Jahr 2015/2016 zweifelsfrei ausgegangen werden. Dazu fordern wir sofortige klare und belastbare Aussagen der Stadtverwaltung.“

Und im Vorfeld der Abstimmung schwankten dann wieder viele Fähnchen im Wind. Riekewald: „Fraktionen wie SPD und Grüne, die in der Diskussion Zustimmung zum Antrag signalisierten, änderten ihr Abstimmungsverhältnis nach Intervention des Oberbürgermeisters komplett. Das ist schon ein eigenartiges Demokratieverständnis.“

Bevor wir aber zu den Zahlen kommen, nehmen wir einfach auch mal einen Leserbrief herein, dessen Autor in diesem Fall lieber nicht genannt werden möchte. Aber die wesentlichen Unstimmigkeiten dessen, was am Mittwoch passiert ist, greift er auf.

Franziska Riekewald (Die Linke). Foto: Alexander Böhm
Franziska Riekewald (Die Linke). Foto: Alexander Böhm

Der Leserbrief:

„Die heutige Stadtratssitzung, besser die letzten 24 Stunden vor der Entscheidung zum Antrag der Fraktion DIE LINKE, war wieder mal eine Sternstunde der Demokratie. Wer bestrebt ist, dass die Bürger nicht mehr zur Wahl gehen, die Parteien und ihr Aussagen nicht mehr ernst genommen werden, dass die Bürger sich nicht mehr in die Politik einmischen, konnte in den letzten Wochen, Tagen, aber insbesondere in den letzten 24 Stunden anhand der Debatte um die Linie 9 erleben wie dies alles, Schritt für Schritt umgesetzt werden kann.

Da wird in der Stadt Markkleeberg öffentlich ein neues Verkehrskonzept ohne Linie 9 vorgestellt, obwohl vorab in einer Bürgerumfrage sehr viele Bürger für die Beibehaltung der Linie 9 gestimmt haben.

In Leipzig wurde nicht im geringsten eine öffentliche Bürgerversammlung zum Thema angestrebt noch durchgeführt und dass obwohl viele Leipziger eine Petition zum Erhalt der Linie 9 im Südabschnitt unterstützt haben und diese Stadt – insbesondere das Dezernat Stadtentwicklung und Bau – sonst so sehr auf Bürgerdialog setzt. Selbst diese Petition wurde den Stadträten heute vor der Beschlussfassung nicht mal offiziell als Dokument übergeben und läuft nun “ins Leere”.

Der Vorsitzende des Petitionsausschuss hatte stattdessen nichts Besseres zu tun, die abweichende Meinung der Fraktion Bündnis 90 /Grüne von der offiziellen Parteimeinung zu begründen. Dabei hätte doch ein Satz gereicht: “Unsere Bürgermeisterin will das nicht!”

(Vielleicht sollte man den sogenannten “Grünen” auch das Umweltdezernat übertragen, dann gibt es bald keine Umweltzone, keinen Eisvogel mehr….)

Der OBM spielt heute wieder “Basta”-Politik nachdem ein Aussitzen selbst in seiner eigenen Fraktion nicht mehr funktionierte. Wagt es doch die SPD-Fraktion mittels Änderungsantrag die Fortführung der Linie 9 bis zur Beschlussfassung des Nahverkehrsplanes im Jahr …. (es wäre ein Wunder, wenn der neue Plan wirklich nächstes Jahr beschlossen würde!) zu stellen.

Die Stellungnahme der Verwaltung zum Antrag der Linken war daher eher eine hilflose, teilweise die Wahrheit verdrehender Versuch eine Mehrheit für den Antrag zu verhindern. Wieso die Wahrheit verdrehen? Im Gegenteil, zu den Ausführungen wurde am 09.12.2009 eben nicht beschlossen, dass die Linie 9 mit der Eröffnung des City-Tunnels im Südabschnitt eingestellt wird. Im Gegenteil schon damals nahm der OBM einen Auftrag an, rechtzeitig alle Fakten Pro und Contra der Einstellung des Straßenbahnverkehrs vorzulegen und diese mit Leipziger Bürger zu diskutieren. Umgesetzt wurde jedoch nichts!

Zum Glück hatte der OBM aber noch ein Ass im Ärmel – den beschlossenen Haushaltsplan 2015/16! Es stehen keine finanziellen Mittel zur Fortführung zur Verfügung! Das hat gezogen! Die SPD-Fraktion fiel um! Welche finanziellen Mittel hat die LVB seitens der Stadt in diesem Jahr mehr für den Betrieb der Straßenbahn  bis zur Stadtgrenze Forsthaus Raschwitz bekommen? Wurde der VLFV geändert und die LVB bekommt planmäßig im nächsten Jahr weniger als 45 Mio. € für ihre Leistungen? Oder meinte der OBM die Betriebskosten vom Forsthaus Raschwitz bis zur Schleife Parkstraße? Bestimmt handelt es sich hier um Millionenbeträge! Oder hätte die Stadt Leipzig etwa die Investitionskosten für die Ertüchtigung der Gleisanlagen der LVB gezahlt? Geld, welches eigentlich über Jahre hinweg seitens der LVB angespart hätte werden müssen, aber für andere Dinge – wie z.B. für ÖPNV-Leistung für den 45 Mio. Betrag aufgewendet wurde.

Na gut, der Stadtrat wird nun mit dem neuen Nahverkehrsplan hierüber nochmals beraten!

Bestimmt stehen dann die Chancen für eine neue schienengebundene Anbindung des Wildparks und des Cospudener Sees viel höher!

Die vorhandene Gleis- und Oberleitungstrasse wird dann aber wahrscheinlich nicht mehr nutzbar sein! Schon bei der Einstellung der Linie 24 konnte man erleben, dass gerade die Oberleitung wenige Stunden nach der letzten Bahn nicht mehr vorhanden war. Warum sollte es hier anders sein.

Apropos, Oberleitung – die Stadt Leipzig stellt wieder mal ein bewährtes Verkehrsmittel der Elektromobilität ein – das versprochen E-Bus-Netz in Markkleeberg wird es nicht geben, genauso wenig wie eine O-Bus-Linie 70 stattdessen – dafür werden zukünftig viele wichtige Personen mit einen der 50 neuen  BMW i3 fahren und sich dabei brüsten, ganz besonders “umweltgerecht” zu bewegen.

Glückwunsch zu so viel vorausschauender Politik!“

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Es gibt 4 Kommentare

Aus Kostengründen ist bei einer Auslastung von 25 Prozent die Stilllegung für mich nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar war das Abstimmungsverhalten am Mittwoch und da gebe ich Stefan Recht, so fördert man Politikverdrossenheit.
Jede Fraktion, die in TOP 15.7 einer Einstellung, aber in Punkt 15.8 einer Prüfung der schienengebundenen Anbindung an den Cospudener See zustimmte muss sich fragen was das soll. Da sitzt man auch als Journalist hilflos in der Ratsversammlung und weiß nicht, wie man das irgendwie vermitteln soll. Es bleibt zwischen den Zeilen andeuten, dass das seltsame Beschlüsse waren.

Bitte bei dieser Diskussion nicht vergessen, die Stadt Markkleeberg hat sich an der Finanzierung zu beteiligen. Das ist jedoch nicht der Fall. Deshalb ist die Entscheidung der Stadt Leipzig nachvollziehbar.

Im Nahverkehrsforum Leipzig werden mittlerweile Vorschläge gemacht, wo man welche Linienäste noch stilllegen kann.

Z.B. braucht man die Linie 11 ja nicht unbedingt bis Schkeuditz führen, es gibt ja die S-Bahn.
Endstelle Wahren (Gleisschleife vorhanden), und Geld wird frei.

Na, Herr OBM Jung, wäre das was?!?

Verkehrspolitisch ist die Leipziger SPD mittlerweile auch zu nichts mehr zu gebrauchen (sorry, Mathias), und die Grünen sind nach einer leider recht kurzen echt-grünen Durchgangsphase schon auf dem Weg zu einer FDP für junge (potente) Leute.

Dass OBM Jung mit Verfahrenstricks gearbeitet (Haushalt 2016 schon beschlossen) und droht (Veto), zeigt, dass Stadtverwaltung und Stadtrat dem öffentlichen Stadtverkehr keine Bedeutung mehr zumessen, außer vielleicht noch als Bewegungmittel für Prekäre und sonstwie Gescheiterte. Für einen professionellen Stadtverkehr, der von Berufstätigen in allen Einkommensschichten genutzt, ja geradezu überrannt werden würde, kein Interesse und kein Gedanke.

Wahrlich überrannt wird nur die neue S-Bahn, aber damit hat die Stadt Leipzig (zum Glück) nichts zu tun.

Der OBM und die Stadtverwaltung haben schon seit mindestens zwei Jahren scheinheilig gehandelt. Die Stilllegung war schon intern beschlossene Sache, die Diskussionsrunden nach Möglichkeiten einer Finanzierung waren ein einziges Potemkinsches Dorf.

Dass es gerade beim Thema Stadtverkehr politisches Scharmützel (oben genannte Verfahrenstricks) gab, ist schon auf ganz eigenartige Weise irritierend. Kenne ich so nur von der CDU in Hessen (gegen die ist die Leipziger CDU-Ortsgruppe ja noch richtig herzig).

OBM, SPD und Stadtverwaltung haben der Leipziger Stadtgesellschaft einen schweren Schlag versetzt.
Bald, wenn die IHK dann richtig durchstartet, wird es richtig langweilig hier.

Eine schwarze Stunde der Demokratie.

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