Schon zwei Mal berichtete die IHK von einer Verkehrsstudie, mit der sie den Anteil des Wirtschaftsverkehrs am Leipziger Kfz-Verkehr ermittelt hat. Die Kammer hat daraus mehrere Forderungen vor allem zum Ausbau neuer Straßen als Fazit gezogen. Aber es ist keine Überraschung, dass man die Zahlen auch völlig anders lesen kann. So, wie es Alexander John vom ADFC gemacht hat.

Seine Analyse hat er im Blog des Leipziger ADFC veröffentlicht. Und er ist nicht ohne Grund konsequenter Radfahrer. Da fällt schon auf, dass da in der Verkehrsbefragung der IHK der größte Teil der Verkehrsarten fehlt.

„Befragt wurden FahrerInnen von Kfz auf Einfallstraßen. Nicht befragt wurden Radfahrende, NutzerInnen des ÖPNV oder Zufußgehende“, stellt John fest. „Nicht befragt wurden Kfz-FahrerInnen in den zentralen Bereichen der Stadt – also dort, wo es am ehesten zu Verkehrsproblemen kommt. Den Kfz-Fahrerinnen hat man hier die Möglichkeit eingeräumt, auf eine Frage á la ‚darf’s für den Kfz-Verkehr auch etwas mehr Fläche sein‘ mit Ja zu antworten – wer wird denn da schon nein sagen.

Dass die beschriebenen Probleme letztlich eher im Bereich „Luxusprobleme“ verortet sind, zeigt der INRIX Global Traffic Scorecard sehr deutlich. In nahezu keiner anderen Großstadt hat der Kfz-Verkehr so wenig mit Stau(erscheinungen) zu kämpfen wie in Leipzig. Während man in München gut 48 Stunden/Jahr im Stau sitzt, sind es in Leipzig lediglich 14 Stunden/Jahr –  trotz der massiven Bauaktivitäten. Selbst in Koblenz (15 Stunden), Ingolstadt (15 Stunden), Lübeck (19 Stunden), Chemnitz (19 Stunden) und Wuppertal (23 Stunden) bringt man mehr Zeit im Stau zu, obwohl diese Städte deutlich kleiner sind – sie sind jedoch auch deutlich autoaffiner.“

Nur um die Vergleichszahlen aus der „Bürgerumfrage 2015“ nachzureichen: 48 Prozent der Leipziger fahren mit dem Auto zur Arbeit. Und das vor allem, weil viele Arbeitsplätze außerhalb der Stadt liegen und mit Pkw leichter zu erreichen sind als mit ÖPNV.

Wenn aber Arbeitsplätze im Stadtinneren liegen, lohnen sich alle anderen Verkehrsarten: 23 Prozent der Leipziger nehmen mittlerweile das Fahrrad, um zur Arbeit zu kommen, 21 Prozent nutzen den ÖPNV, 6 Prozent schaffen es sogar zu Fuß.

Aber das Thema, das die IHK beschäftigte, war natürlich die Frage: Wie viel Wirtschaftsverkehr rollt eigentlich auf Leipzigs Straßen?

„Berufsverkehr ist kein Wirtschaftsverkehr und hat auch keinen (besonderen) wirtschaftlichen Hintergrund“, betont John.

„59 Prozent aller Kfz-Fahrten im gesamten Stadtgebiet Leipzig haben einen wirtschaftlichen Hintergrund“, hatte die IHK formuliert. „31 Prozent sind Wirtschaftsverkehr (Güterverkehr, Personenwirtschaftsverkehr) und 28 Prozent dem Berufsverkehr zuzuordnen. Mit Blick auf die wichtigen Leipziger Ein- und Ausfallstraßen erhöht sich der Anteil der Kfz-Fahrten mit wirtschaftlichem Hintergrund auf 76 Prozent (27 Prozent Wirtschaftsverkehr, 49 Prozent Berufsverkehr).“

Was Alexander John zu einer ganz anderen Beantwortung der Frage bringt, wie Verkehr künftig organisiert sein soll.

„Die Lösung liegt insbesondere beim Berufsverkehr im Umweltverbund, also Bahn, Bus, Rad- und Fußverkehr“, schreibt er.

Ein gut Teil der 49 Prozent Berufsverkehr auf den Ausfallstraßen kann durch mehr und bessere ÖPNV-Angebote ersetzt werden. Das bringt nicht nur deutlich leistungsfähigere Transportkapazitäten, denn jeder S-Bahn-Zug kann 100 Mal mehr Menschen ans Ziel bringen als jedes Auto. Es schafft auch wieder Freiräume auf der Straße, die der Wirtschaftsverkehr braucht, um flüssig zu bleiben, also Güterverkehr, Logistik aller Art, Botendienste, Handwerker, Baufahrzeuge usw.

Die Zahlen zeigen also eher, welche Potenziale für den Umweltverbund noch existieren. Wenn der aufnahmefähig ist, dann steigert er auch seine Zahlen.

„Allein die LVB transportierten 2016 somit mehr als 400.000 Fahrgäste täglich und da wäre mit deutlich weniger (finanziellem) Aufwand als neuen oder größeren Straßen auch eine weitere starke Steigerung möglich, die letztlich positive Auswirkungen auf den motorisierten Wirtschaftsverkehr hätten“, merkt Alexander John an. „Bisher sind allerdings die meisten Gewerbegebiete nur schlecht bis mäßig mit den Öffis erreichbar.“

Das ist die eigentliche Botschaft für die anstehende Diskussion um den neuen Nahverkehrsplan: Je weiter man sich vom City-Ring entfernt, umso großer werden die Löcher im ÖPNV-Netz. Von den Löchern in der MDV-Politik ganz zu schweigen, wo die Botschaft, dass der Berufsverkehr zur Hälfte aus motorisiertem Pendlerverkehr besteht, noch nicht so richtig angekommen ist.

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