Für FreikäuferAm Ende kam dann wieder so eine typische LVZ-Überschrift dabei heraus: „Leipzigs Wirtschaft fordert neuen Citytunnel und besseres Tangentensystem“ als Fazit der Vorstellung des Aktionsplans Mobilität Leipzig 700plus der Leipziger Wirtschaftsverbände, den das Wirtschaftsbündnis am Donnerstag, 24. August, vorgestellt hatte. Aber liegt Leipzigs Zukunft tatsächlich in Tunneln? Der ADFC Leipzig bezweifelt das.

Die Verkehrsprobleme der heutigen Großstädte sind vielschichtig. Ihre Straßen sind nicht für 100.000e Kraftfahrzeuge gebaut, von denen die meisten den Straßenraum auch noch als geparkte Immobilität beschneiden. Was übrigens am 24. August ein Hauptthema in der Pressekonferenz zum Aktionsplan war: die immer mehr verengten Straßenräume. Doch nicht in den geparkten Karossen sieht man den Grund für die bedrängten Verkehrsräume, sondern im Radverkehr.

Den möchte man gern auf parallele separate Radwege verlagern. Als wäre es eine Verkehrsart, die mit Wirtschaftsverkehr nichts zu tun hat.

Der Schein trügt. Es gibt zwar keine wirklichen Erhebungen zum realen Wirtschaftsverkehr in Leipzig. Aber den Berufsverkehr im Pkw zählt die IHK zu Leipzig ganz selbstverständlich mit zum wirtschaftsbedingten Verkehr.

Er macht aber nur 43 Prozent aller Verkehrsmittelnutzungen auf dem Weg zur Arbeit aus. Weitere 28 Prozent entfallen auf den ÖPNV (Tendenz wachsend) und 29 Prozent auf Fußgänger und Radfahrer. Insbesondere der Anteil der Radfahrer im Berufsverkehr wächst seit 2010 in Leipzig massiv. Vielleicht nicht gerade im Leipziger Norden, wo die neuen Industriearbeitsplätze entstanden sind. Aber der größte Teil der Leipziger Arbeitsplätze befindet sich im Innenstadtbereich – in Quartieren, die mit dem Rad gut erreichbar sind.

Deswegen findet der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club (ADFC), dass der „vorgestellte Aktionsplan zur Mobilität in Leipzig (…) zu großen Teilen ein Rückfall auf Verkehrskonzepte der Vergangenheit“ ist.

„Die Forderung nach dem Ausbau des Ring- und Tangentensystems im Stile der 1960er Jahre führt geradewegs in die Staufallen, die es für Leipzig zu vermeiden gilt“, stellt Dr. Christoph Waack, Vorsitzender des ADFC Leipzig, fest. Die auf dem Pressegespräch vorgestellten, aus Sicht der Initiative positiven Beispiele Köln und München, zeigten eigentlich alles andere als eine positive Perspektive, denn beide Städte leiden aufgrund eines massiv ausgebauten Straßennetzes auch deutlich stärker als Leipzig unter Staus. Wer Straßen säe, werde Staus ernten, kommentiert das der ADFC. Leider sei die Initiative von IHK Leipzig, Handwerkskammer Leipzig und Ingenieurkammer Sachsen nicht auf der Höhe der Zeit, wenn sie nun fragwürdige Tunnellösungen für den Autoverkehr ins Spiel bringe.

Die Initiative setzt zwar auch auf den Ausbau von ÖPNV und Radverkehr, jedoch soll der Radverkehr – ausschließlich – auf Nebenstraßen gedrängt werden. Der Aktionsplan spricht von einer Verlagerung des Radverkehrs.

Aber das macht aus Sicht des ADFC keinen Sinn.

„Der ADFC lehnt das Abdrängen des Radverkehrs ins Nebenstraßennetz ab. Alle Ziele im Hauptstraßennetz müssen zügig, sicher und bequem für Radfahrende erreichbar sein“, betont Dr. Christoph Waack.

Ein Schnellwegesystem zusätzlich zu den gerade im Berufsverkehr stark belasteten Straßen macht natürlich Sinn, bestätigt Waack. Denn wenn es mehr sichere Radwege gibt, die auch dahin führen, wo die Menschen wohnen und arbeiten, lädt das ja geradezu ein, vom Auto aufs Rad umzusteigen. Auch im Berufsverkehr.

Der am Mittwoch vorgestellte Entwurf zum Integrierten Stadtentwicklungskonzept (INSEK) der Stadt thematisiert das übrigens. Denn die Leipziger Verkehrsplaner haben mittlerweile erkannt, dass das augenblickliche Radwegesystem den kommenden Herausforderungen nicht genügen wird.

So findet man dort stichpunktartig: „Qualifizierung/Ausbau durchgängiges und zusammenhängendes Radverkehrsnetz als System: Sachsennetz Rad, Einrichtung von Radschnellwegen (z. B. Markkleeberg – Leipzig – Halle), Einordnung von Fahrradstraßen, Radfahr-, Schutzstreifen, Radwegen, sichere Aufstellflächen an LSA, Wegweisung“. LSA sind Lichtsignalanlagen. Alles sehr vorsichtig formuliert, weil am Radsverkehrsentwicklungsplan noch immer gearbeitet wird.

Viel zu langsam aus Radfahrersicht, denn der aktuell gültige „Radverkehrsentwicklungsplans 2010 – 2020“ hat den aktuellen Rad-Boom in Leipzig überhaupt noch nicht im Blick gehabt. Auch nicht die massiv wachsende Rolle des Radverkehrs gerade im innerstädtischen Bereich. Aus Sicht von regelmäßigen Radfahrern wird nach wie vor zu wenig für den Radverkehr in Leipzig getan. Sie spüren täglich, wie oft Radverkehrsanlagen noch immer eine in den Verkehrsraum gequetschte Notlösung sind und wie es gerade beim Bau einer richtigen Radfahrerstadt in Leipzig klemmt. Dass dann mögliche Direktrouten auf alten Gleistrassen immer noch reine Utopie sind, gehört zu den Fehlstellen im Bild einer wirklich nachhaltigen Mobilität, die Leipzigs „Zukunftsstrategie 2030“ eigentlich anstrebt.

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