Die Leipziger CDU-Fraktion hat nun schon mehrere Vorstöße im Stadtrat hinter sich, mit denen sie versucht hat, die Entwicklung hin zu einem umweltfreundlichen Verkehr zu bremsen oder ganz zu verhindern. Obwohl schon ganze Stadtviertel am geparkten Blech ersticken. Jetzt hat sich die Partei der motorisierten Ignoranz den Entwurf für das neue Integrierte Stadtentwicklungskonzept (INSEK) vorgeknöpft.

Dort gibt es das Fachkonzept „Nachhaltige Mobilität“. Das heißt so, weil es darum geht, den Verkehr in Leipzig auch künftig noch stadtverträglich zu gestalten. Dazu muss er umweltfreundlicher werden, dazu müssen Angebote im ÖPNV und Radverkehr deutlich verbessert werden. Dazu muss es auch umweltfreundlichere Antriebe geben. Das alles ist in dem Kapitel gesammelt.

Und natürlich baut das Ganze auf dem heiß umstrittenen STEP Verkehr und öffentlicher Raum auf, der eine Änderung des Modal Split hin zu mehr Rad- und Fußverkehr und ÖPNV vorsieht – dafür weniger Autos.

Aber die aktuelle CDU-Faktion ist eine Fraktion, die keine umweltfreundliche Stadt will. Stur torpediert sie jede Vorlage, die mehr ÖPNV und mehr Radverkehr begründet. Denn augenscheinlich sind in dieser Fraktion Leute maßgeblich, die nur eine Fortbewegungsart als menschenwürdig ansehen: Die mit vier Rädern, Verbrennungsmotor und 100 PS unter der Haube.

Egal, wie schräg dann der Antrag klingt, mit dem die Autofahrer-Fraktion just das versucht, was sie dem Rest der Gesellschaft vorwirft: Bevormundung.

Dazu hat sich die CDU-Fraktion einen einzigen Satz im Abschnitt 2.2. (Seite C 2.7 – 6), 4. Absatz im dicken INSEK herausgepickt. Es ist der dritte Satz, den die CDU-Fraktion gern auf diesen am Ende völlig leeren Inhalt zusammenstreichen möchte: „Mit Hilfe von neuen Technologien, der Vielfalt und Ausweitung alternativer und individueller Fahrzeugkonzepte kann es gelingen, das Bedürfnis nach individueller und motorisierter bzw. elektrifizierter Mobilität zu befriedigen.“

Leerer geht es gar nicht.

Ursprünglich war der Satz die Begründung dafür, ein wesentliches Ziel zu ereichen, nämlich „das Ziel, den privaten Pkw-Besitz und damit auch den Motorisierungsgrad langfristig zu senken.“

Hier steht das Wörtchen langfristig. Den Leipziger Planern ist sehr wohl bewusst, dass man Gewohnheiten und Verhaltensweisen von Menschen nicht von heute auf morgen ändert. Und auch nicht mit der Brechstange, sondern nur über alternative Angebote. Erst so macht der Satz überhaupt Sinn. Denn in der „Ausweitung alternativer und individueller Fahrzeugkonzepte“ stecken zum Beispiel auch all die Mobilitätskonzepte, die heute schon von vielen Leipzigern nachgefragt werden: Carsharing, Leih-Fahrräder, Fahrgemeinschaften … Alles Konzepte, die es den einzelnen ermöglichen, jederzeit einen fahrbaren Untersatz zu bekommen, ohne dafür ein eigenes Auto kaufen zu müssen.

Das empfinden junge Leipziger, die ihre Mobilität gern flexibel gestalten möchten, als Freiheit.

Aber augenscheinlich kämpft Leipzigs CDU mittlerweile um eine Wählerschaft, die die Veränderungen der Welt nicht mehr begreifen will und jede Veränderung hin zu einem stadtfreundlicheren Verkehrsmix als Angriff auf ihre Königsrolle am Mercedes-Lenker betrachtet.

Was die CDU in den Satz hineinliest, dürfte in den anderen Stadtratsfraktionen nur noch gelindes Kopfschütteln verursachen: „Es kann nicht Sinn und Zweck eines Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes sein, Zielvorgaben für den privaten Besitz langlebiger Konsumgüter wie Pkw zu machen, zumal nicht in einer inzwischen so vom Automobilbau geprägten Stadt wie Leipzig. Solche vormundschaftlichen Zielvorgaben widersprechen unserem Leitbild vom mündigen Bürger, Verbraucher und Verkehrsteilnehmer. Auch in Zukunft wird es einen hohen Bedarf an selbstbestimmter wetterunabhängiger Mobilität mittels stets verfügbarer Privatfahrzeuge geben.“

Wirklich?

Zielvorgaben stehen in dem Satz überhaupt keine – nur der mittlerweile durch mehrere Verkehrskonzepte untersetzte Wunsch, das Segment alternativer Mobilitätsangebote in Leipzig zu stärken. Umsteigen müssen, dürfen oder können Autobesitzer dann in eigener freier Entscheidung. Sie dürfen auch bei den 30 Prozent bleiben, die künftig noch Auto fahren. Autofahren wird ja in Leipzig nicht verboten. Das ganze Mobilitätsprogramm in Leipzig baut auf der Schaffung von Angeboten auf. Mehr alternative Angebote sollen Autofahrer dazu animieren, vielleicht doch mal umzusteigen.

Das ist eine völlig freie Entscheidung.

Dass die CDU das als Bevormundung betrachtet, erzählt eine Menge über ihr Verständnis vom „mündigen Bürger“. Der ist in dieser Partei augenscheinlich nur der autobesitzende Bürger, der auch dann noch an seinem Auto festhält, wenn er im täglichen Stau feststeckt.

Dass die CDU gerade den Teil mit der „Senkung des Motorisierungsgrades“ streichen lassen will, spricht Bände und passt natürlich zum jüngsten Antrag, die Diskussion um die Mobilitätskonzepte der Stadt einfach zu beenden. Augenscheinlich will in dieser Fraktion niemand mehr darüber nachdenken, wie der Verkehr in einer wachsenden Stadt gestaltet werden kann, damit er auch in zehn oder 15 Jahren noch überall rollt.

Wer den Motorisierungsgrad nicht senkt, sorgt nämlich in einer wachsenden Stadt direkt dafür, dass noch mehr Autos auf den Straßen sind und noch mehr Staus entstehen.

Vielleicht mögen das die mündigen Wähler der CDU: Jeden Tag mit ihrem eigenen Privatfahrzeug im Stau zu stehen.

Ist Leipzigs CDU-Fraktion im Denken der vergangenen Jahrzehnte hängengeblieben? + 3 Updates

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Es gibt 6 Kommentare

@Frank: War auch provokant formuliert, klar. Aber m. E. liegt da der Hund begraben: Die CDU schreit “Vielfalt! PKW nicht behindern!” meint aber genau das Gegenteil: Freie Fahrt für freie Bürger (mit dem PKW, ÖPNV ist uns Wurscht, der kann verrecken).

@Frank: Das Geschrei muss groß sein, sonst macht Streik ja gar keinen Sinn! Vor 100 Jahren hätte es sicher auch Solidaritätsstreiks gegeben, schon deshalb, weil Niemand auf Arbeit gekommen wäre. Aber in der Ich-Gesellschaft (welch widersinniges Wort) bauen selbst Gewerkschaften scheinbar nicht mehr auf Solidarität.
Zum Artikel: die CDU diskreditiert sich selbst – so ignorant zu sein, muss man erst einmal schaffen!

@Mathias
“ÖPNV gleich ganz abschaffen” war nicht meine Aussage. Kommunikation ist alles und wie schrieb doch LVB Direkt: “Eingeschränkter Linienbetrieb” eingestellter Linienbetrieb wäre besser gewesen. Ob man ÖPNV nutzt muss jeder selbst entscheiden und es war eine gute Darstellung dessen was passiert wenn man sich nur auf eine Option verlässt. Es müsste eher sowas wie bei uns geben. Das nennt sich Versorgungssicherheit, denn wenn wir über 8 Stunden dicht machen, ist das Geschrei groß.

An einem Streiktag kommen wahrscheinlich auch Autofahrer zu spät, weil die Straßen dann total dicht sind. DAS wäre dann übrigens die Zukunft.
Ich weiß auch gar nicht, was die CDU da immer zu motzen hat, wenn möglichst viele auf die Öffentlichen umsteigen können die CDUler doch die dadurch leereren Straßen gern mit ihren dicken Autos nutzen. Sollte doch ganz in deren Sinn sein. Oder gehts eher um diverse Posten in der Wirtschaft, die man sich mit dem Kampf FÜRS Auto warmhalten will? Hat sich da mal einer die Verbindungen diverser CDUler in die Autokonzerne angesehen? Bei dem ganzen Lobbykram heutzutage blickt doch eh kaum noch einer durch.

@Frank: Im Ernst: “keine Option”? Weil es an einem Tag nicht funktioniert? Und was heißt das dann, ÖPNV gleich ganz abschaffen?

Das ist aber ein ganz schlechter Tag für den Artikel. Der heutige Tag zeigt das der ÖPNV keine verlässliche Option für den Weg zur Arbeit ist. Den die die ihr Auto abgeschafft haben, die waren heute ganz schlecht dran. Carsharing ausgebucht, kein Fahrrad, kein Anschluß an die S-Bahn. Entweder Taxi, falls man eins bekommen hat oder laufen. Im schlechtesten Fall noch eine Abmahnung wegen zu spät auf Arbeit. So sieht dann die Zukunft aus.

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