Irgendetwas ist da wirklich schiefgelaufen. Ob erst in der jüngeren Diskussion um Bildungsticket und einen abgestimmten sachsenweiten Nahverkehr oder schon viel früher, als die diversen Verkehrsverbünde in Sachsen geschaffen wurden. Alles viel zu knapp finanziert. Und seit geraumer Weile kracht es richtig. Und die Region Leipzig geht jetzt ebenfalls geschlossen in Opposition zur geplanten Landesgesellschaft.

Die doch aber eigentlich nötig wäre, um endlich mal die landesübergreifende Nahverkehrsorganisation hinzukriegen. So sah es Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) im Ergebnis der ÖPNV-Strategiekomission und den gescheiterten Verhandlungen mit den Landräten, die in den Regionen verantwortlich sind für Verkehrszweckgesellschaften und Nahverkehrsverbünde.

Davon gibt es ganz schön viele in Sachsen. Stimmt schon.

„Wer einen modernen und bezahlbaren Nahverkehr in Sachsen möchte, muss nach den gescheiterten Gesprächen mit den Vorsitzenden der Zweckverbände jetzt neue Wege gehen. Das bedeutet, die Gründung einer Landesverkehrsgesellschaft voranzutreiben. Unser Ziel bleibt ein sachsenweit gültiges Bildungsticket für Schüler und Azubis, der Plus-Bus und ein einheitlicher Sachsentarif“, warf sich am 14. November Thomas Baum, Sprecher für Verkehrspolitik der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, ins Getümmel.

„Ich erwarte von den Landräten, die zugleich Vorsitzende der Zweckverbände in Sachsen sind, dass sie diesen Prozess nicht weiter ausbremsen. Deren öffentliche Aussagen sind mittlerweile an Widersprüchlichkeit kaum mehr zu überbieten. Man könnte meinen, sie finden sich in ihrem eigenen Argumente-Dschungel nicht mehr zurecht. Ob sie da noch ein Ohr für die Bedürfnisse der Fahrgäste haben, darf bezweifelt werden.“

Es deutet vieles darauf hin, dass in den 20 Jahren, in denen die Nahverkehrsverbände sich auf regionaler Ebene organisiert haben, viele Strukturen und Arbeitsebenen entstanden sind, die sich im Lokalen bewährt haben und die die zuständigen Landräte auch nicht aufgeben wollen, schon gar nicht abgeben an eine Landesgesellschaft, die ihnen vor Ort nun wieder Ressourcen zu entziehen droht.

Wie aber sähe dann eine funktionierende Arbeitsebene aus, in der sich beides wiederfindet?

Die gibt es augenscheinlich noch nicht.

„Um es deutlich zu machen: Wo sind denn die konkreten Vorschläge der Verbandsvorsitzenden, mit denen die Empfehlungen der ÖPNV-Strategiekommission umgesetzt werden sollen? Weshalb liegen diese Vorschläge den Fachpolitikern der Koalition eigentlich nicht vor? Und wie kommt ein Landrat zu der Aussage, dass er finanziellen Schaden von seinem Landkreis abwenden wolle, wenn doch im Haushaltsentwurf der Staatsregierung wohlgemerkt zusätzlich 75 Millionen Euro für die Umsetzung der Empfehlungen eingeplant sind?“, fragte Thomas Baum.

„Das Fazit nach anderthalb Wochen Diskussion über das Thema Landesverkehrsgesellschaft: Die Landräte halten an ihrer lange eingeübten Kleinstaaterei fest und sperren sich gegen notwendige Veränderungen, die den Bürgern des Freistaates zugute kommen sollen. Dass die Verkehrsverbünde gern Geld vom Bund sowie diverse Landesmittel erhalten wollen, ohne dem Gesetzgeber ein Mitspracherecht einzuräumen, verwundert da nicht mehr. Diese gelebte Praxis ist überholt. Ein solches Durchreichen wird es in der Zukunft so nicht mehr geben.“

Das klingt schon nach einem gewaltigen Crash.

Und der Vorwurf der Kleinstaaterei trifft auch Leipzig.

Auf seiner jüngsten Tagung im Torgauer Schloss Hartenfels hat der Regionalkonvent, dem die Landräte Kai Emanuel (Nordsachsen), Henry Graichen (Landkreis Leipzig) und der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung angehören, nämlich noch einmal seine Bedenken gegenüber den Plänen von Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) angemeldet, eine Landesverkehrsgesellschaft zu gründen, um damit den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zentral zu steuern.

„Bei der Entwicklung und Stärkung der Metropolregion Mitteldeutschland um das Ballungszentrum Leipzig-Halle können wir auf keinen Fall in Stadt-, Kreis- oder Landesgrenzen denken“, lässt sich Leipzigs OBM Burkhard Jung (SPD) zitieren.

Und Landrat Kai Emanuel (parteilos) pflichtet dem bei: „Der Slogan, Ein Land – ein Verbund‘ ist für die Mitteldeutsche Metropolregion kontraproduktiv. Dann hätten wir zwar ein Verbundticket zum Beispiel von Leipzig nach Niesky, aber nicht mehr nach Halle in Sachsen-Anhalt oder nach Altenburg in Thüringen.“

Ein solches Herangehen würde den tatsächlichen Verkehrsströmen des regionalen ÖPNV nicht gerecht und hätte erhebliche Auswirkungen auf den Mitteldeutschen Verkehrsverbund (MDV), kritisiert Emanuel: „Kleinstaaterei durch Freistaaterei können wir uns in der Metropolregion nicht leisten.“

So sieht es auch Landrat Henry Graichen (CDU): „Der MDV hat sich in den 20 Jahren seines Bestehens gut entwickelt. Darum wird er 2019 auch bedarfsgerecht weiter wachsen und den Schienenpersonennahverkehr der Landkreise Anhalt-Bitterfeld, Wittenberg und Dessau-Roßlau in sein Verbundgebiet aufnehmen – denn das endet nicht an der Landesgrenze.“

Womit der MDV, der die ganze Region Leipzig/Halle mit rund 20 Verkehrsunternehmen in drei Bundesländern und 1,7 Millionen Einwohnern auf mehr als 7.500 Quadratkilometern umfasst, eine Ausnahmestellung einnimmt unter den sächsischen Verkehrsverbünden. Und eigentlich ist er ein Beleg dafür, dass Nahverkehr noch viel größer gedacht werden muss als nur auf Landesebene. Wobei die Aufgabe ja hier umrissen ist: Ein Landesverbundsystem zu schaffen und trotzdem die Verbindungen über die Landesgrenzen hinweg mit aufzunehmen.

Wobei es Martin Dulig nicht nur um die Verkehrsverbünde ging, sondern vorrangig um die Zweckverbände (im Raum Leipzig ist das der ZVNL).

Was er konkret erwartet, hat er am 1. November schon formuliert: „Meine Schlussfolgerung ist: Einen zukunftsfähigen ÖPNV werden wir nur erhalten, wenn wir lokale Egoismen überwinden und der Freistaat die Verantwortung wieder selbst übernimmt, indem er die Zuständigkeiten in eine Landesverkehrsgesellschaft überführt. Sie soll für den SPNV, ein Busnetz mit landesweiter Bedeutung, die Umsetzung des Sachsentarifs als Dachtarif und die Verwaltung der Mittel für das landesweite Bildungsticket zuständig sein. Dazu werden wir die Regionalisierungsmittel künftig zweckgebunden direkt an die Landesverkehrsgesellschaft übertragen.“

Und die Regionalisierungsmittel fließen nun einmal an die Zweckgesellschaften für den Schienengebundenen Nahverkehr (SPNV).

Da gibt es, wie es aussieht, noch sehr viel Gesprächsbedarf, bis auch nur eine dieser Ideen einer Lösung nahekommt.

Allein Bildungsticket und Ausbildungsverkehr würden in Sachsen 110 Millionen Euro zusätzlich brauchen

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Es gibt 5 Kommentare

Wären die Leistungen sachfremd –
Warum kontrolliert das keiner?

Ich vermute:
Weil das Land dies genau so tut…
(Diese Kritik gibt’s schon ewig…)

@Frank
Korrekt: genau darum geht es.
Eigene Herrschafts- und Einflussbereiche möglichst sichern und ja nix abgeben müssen.

Die Kritik von Martin Dulig ist gerechtfertigt. Wie sich die Zweckverbände dazu äußern ist beschämend. Da denkt jeder nur an seine Pfünde und die Konstrukte mit dem man die Ausgabe der Regionalisierungsmittel für sachfremde Leistungen begründet sind schon abenteuerlich.

Und was wäre, wenn beide Recht hätten, mit ihrer Kritik am jeweils anderen? Würde mich kein Bißchen überraschen.

Da scheinen die Kritiker der Umwandlung der Zweckverbände in eine Landesverkehrsgesellschaft nicht zu wissen, wovon sie reden. Die Einen tun so, als ob in Sachse-Anhalt und Thüringen auf dem Lande keine Busse fahren, andere unterstellen dem Minister, er wolle nur einen Verkehrsverbund in Sachsen, wieder ohne die Realität in den Nachbarländern zu betrachten. Aus meiner Sicht wollen diese Kritiker lediglich bei den jetzigen Verhältnissen bleiben und nach wie vor Teile der vom Bund an Sachsen gezahlten Regionalisierugsmittel für sachfremde Leistungen, also nicht für SPNV ausgeben.

Da bellen sie schön zusammen auf, die getroffenen Hunde…
Während sie sonst auf Basis der Freiwilligkeit und mäßig getrieben vom gelegentlichen Aufmurren der unzufriedenen Bevölkerung wenig gemeinsam vollbracht haben, sind sie sich überraschenderweise bei DEM Thema spontan einig:
Einen Teil der Zügel nicht an eine übergeordnete Struktur abgeben zu müssen.

Da werden die aberwitzigsten Argumente und Lobhudeleien für die Kleinstaaterei aufgefahren; vergessen sind zu volle S-Bahnen, Takte von 30min, fehlende Haltestellen, Rückbau von Strecken oder ein durchgehendes bezahlbares Ticket innerhalb des eigentlichen Bundeslandes.

“Bedarfsgerecht” (Graichen) und “grenzenlos” (Jung) sieht ja wohl anders aus.

Oder haben die kläffenden Verteidiger gar keine Ahnung von ihrem Arbeitsgebiet?

Und ständig wird bei offensichtlichen ÖPNV-Lücken mit dem Argument ‘Geld’ gewunken, gar mit dem bösen Finger Richtung Dresden gezeigt.

Dann ist dies nun der Lackmus-Test für die (leider noch eine zusätzliche) neue Struktur seitens der Landesregierung!
Hoffen wir, dass es nicht nur eine parteigetriggerte Aktion war…

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