Zur Ratsversammlung im Juni stellte der Leipziger Tim Tauer einmal eine etwas ungewöhnlichere Frage. Denn während einige Medien immer wieder das große Geheul anstimmen, Leipzigs Verkehrspolitik richte sich immer nur gegen die Autofahrer, hat er als passionierter Radfahrer einen völlig anderen Eindruck. Denn er fühlt sich in für Kraftfahrzeuge gebauten Straßen immer wieder an den Rand gedrängt. „Warum immer für den Verkehr, und nicht einmal gegen ihn?“

„Die Stadt Leipzig denkt über verschiedene Lösungen für den immer weiter steigenden Autoverkehr nach. Wir möchten also viel Geld in die Hand nehmen, um zum Beispiel mit Tunneln, selbigen weiterhin fließen zu lassen“, stellte er in seiner Einwohneranfrage an OBM Burkhard Jung fest.

„Ist es aber nicht an der Zeit, mal zu agieren und ausnahmsweise einmal viel Geld in die Hand zu nehmen um den Autoverkehr zu vermindern oder zu deckeln? Sicherlich kann man auch dadurch Aufträge erteilen und Arbeitsplätze sichern, vielleicht würden nur die üblichen Empfänger wechseln oder aber auch nicht, denn Fahrradwege, Fußwege und Straßenrückbau braucht ja auch unsere Baufirmen. Ihrer knappen Zeit entsprechend absichtlich kurzgehalten.“

Er hätte also noch viel mehr zum Thema schreiben können. Etwa zum Mittleren Ring, dessen Ostteil die Stadt zur Förderung bei der Kohlekommission eingereicht hat, obwohl diese neue Straße nichts mit Kohleausstieg zu tun hat und vom Stadtrat ganz bewusst bis 2023 auf Eis gelegt wurde. Auch weil sie mehr Verkehr in bislang noch verschonte Wohngebiete, Parks und Grünanlagen bringen würde.

Die Antwort für Tim Tauer hat dann das Dezernat Stadtentwicklung und Bau geliefert, das sich darin sichtlich bemüht, nicht weiterzugehen in seinen Aussagen, als es der Stadtratsbeschluss zum Nachhaltigkeitskonzept in der Mobilität vorgibt.

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„Sehr geehrter Herr Tauer,

Verkehr, dass ist die Realisierung von Mobilitätsbedürfnissen und -notwendigkeiten. Also, dass sich Bürger um zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Erholen an den See zu kommen, von A nach B bewegen müssen. Und dass Waren und Güter zu transportieren sind. Wenn das geschieht, entsteht Verkehr. Verkehr ist somit untrennbar mit unserem ganzen Leben verbunden. Wie viel Verkehr aber entsteht und mit welchen Verkehrsmitteln ein Mobilitätsbedarf befriedigt wird, darüber entscheiden ganz viele Einflüsse.

Die Stadt Leipzig hat das Ziel, die Mobilität sicher, zuverlässig, sauber, bezahlbar und als Teilhabemöglichkeit für alle Bevölkerungsgruppen zu gestalten – so hat es auch der Stadtrat im letzten Jahr mit der Mobilitätsstrategie 2030 für Leipzig beschlossen, in der er sich für ein nachhaltiges Verkehrsszenario entschieden hat. Dabei hat das Bewusstsein eine zentrale Rolle gespielt, dass der Kfz-Verkehr aus der Stadt nicht wegzudenken und Teil des Gesamtsystems ist – an diesem aber nur einen Anteil haben sollte, bei dem sein Nutzen nicht von den Nachteilen erdrückt und die oben genannten Ziele erreicht werden. Sie können die Mobilitätsstrategie –ebenso wie z. B. den Stadtentwicklungsplan Verkehr und öffentlicher Raum oder ganz aktuell den neuen Nahverkehrsplan – auch auf der Internetseite der Stadt finden.

Welche konkreten Maßnahmen dafür in den nächsten Jahren umgesetzt werden müssen und finanziert werden können, ist derzeit Gegenstand der Erarbeitung eines Planes, den Ende diesen Jahres wiederum der Stadtrat vorgelegt bekommen soll. Für einen Teil der Stadt wird zudem das ,Stadtraumkonzept Erweiterte Innenstadt‘ erarbeitet, dass sich z. B. auch mit städtebaulichen und verkehrlichen Optionen für den Innenstadtring und einen Teil der Jahnallee beschäftigt.

Für beide Arbeitsprozesse werden eine Vielzahl von Ideen und Vorschlägen, die in den letzten Jahren auch aus der Bürgerschaft und der Politik gemacht wurden, geprüft. Was sich davon als kompatibel mit den Zielen und der Mobilitätsstratgie erweist und finanzierbar und umsetzungsfähig ist, dass muss sich erst noch zeigen.

Dabei geht es immer um Lösungen, die dem innerstädtischen Verkehrsfluss aller Verkehrsarten zugute kommen. Für die Stadtverwaltung steht im Vordergrund, dass sich die entsprechenden Vorhaben in die Mobilitätsstrategie einfügen und den Anforderungen des dort beschlossenen Nachhaltigkeitsszenarios genügen.“

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Was zumindest so klingt, als dürften neue Ringstraßen und Tunnel eher keine Chancen haben – auch weil sie teure Großprojekte sind, die wieder jene Millionen Euro binden würden, die eigentlich überfällig sind, ins Straßenbahnsystem gesteckt zu werden.

Die Beethovenstraße ist jetzt offiziell Fahrradstraße. Foto: Ralf Julke
Die Beethovenstraße ist jetzt offiziell Fahrradstraße. Foto: Ralf Julke

Die preiswerteste Art, Mobilität zu fördern, wäre natürlich endlich die Umsetzung eines richtigen Radwegekonzepts, das Radfahrern wirklich sichere Routen schafft. Kleine Vorboten einer etwas fahrradfreundlicheren Stadt sieht man ja schon, wenn endlich ein paar Straßen mehr zu Fahrradstraßen werden. Und das erwähnte Konzept „Erweiterte Innenstadt“ muss ja auch endlich eine Lösung für den zusammengestückelten Radring liefern, ein Ring, der nicht als Ring funktioniert und jede Fahrt durch die Mitte der Stadt für Radfahrer zu einem atemberaubenden Abenteuer macht. Oder zu einer unliebsamen Begegnung mit Polizei und Ordnungsamt, die ja extra das Personal aufgestockt haben, um die Radfahrer besser kontrollieren zu können. In Leipzig zäumt man den Drahtesel eben gern von hinten auf. Und vertröstet die Verärgerten dann auf Konzepte, die irgendwann in der Zukunft noch ausgebrütet werden.

Ins oben eingeklinkte Bild genommen haben wir jetzt die frisch aufgestellte Warnanlage am Cottaweg, mit der die stadteinwärtsfahrenden Radfahrer darauf aufmerksam gemacht werden sollen, dass die Überfahrt über den Cottaweg immer wieder Opfer kostet. Und dass sie hier eigentlich, stvo-mäßig betrachtet, nichts zu suchen haben. Und trotzdem fahren nach Zählungen der Stadt jeden Tag über 5.000 Radfahrer auf diesem Gehweg, die einen stadteinwärts, die anderen Richtung Lindenau. Und allein die Zahl deutet darauf hin, dass hier an der Straßenanlage irgendetwas grundsätzlich nicht stimmt, das tausende Radfahrer zu stvo-widrigem Verhalten zwingt. Nicht die einzige Situation dieser Art im Stadtgebiet, aber zurzeit für Radfahrer die gefährlichste.

Die Frage, die Tim Tauer gestellt hat, ist also mehr als berechtigt. Denn eigentlich zielt sie auf die Tatsache, dass Leipzig – anders als im Radverkehrskonzept 2010-2020 versprochen – noch längst keine radfahrerfreundliche Stadt geworden ist.

Die KarLi kann noch nicht zur Fahrradstraße werden

Die KarLi kann noch nicht zur Fahrradstraße werden

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“…das tausende Radfahrer zu stvo-widrigem Verhalten zwingt.”

Dem inhaltlichen Aspekt des Artikels stimme ich gern zu, die obige Aussage ist aber nicht korrekt. Niemand zwingt die / uns Radfahrer zu widrigem Verhalten.
Natürlich gibt es die offizielle Lösung, jene andere “richtige” Straßenseite zu benutzen.
Das ist superumständlich und gefühlt “supergemein”; dürfen doch PKW in jeder Richtung gleich auf je 2 Streifen fahren.
Es ist ermüdend, immense Anstrengungen für kleine Erfolge erfüllen und “bereits laufende Planungen” immer wieder abwarten zu müssen.
Obwohl die Häufung von Unfällen bereits die tödliche Eskalation einer lang bekannten Problematik darstellt.

Die Politik ermunterte einst uns alle: Fahrt doch wieder einmal Rad!
Das man aber auch die Verkehrspolitik darauf ausrichten muss, vergaß man.
Verkehrspolitik ist bis heute das Versprechen auf Besitz und unbeschränkte Nutzung des eigenen PKW.

Darum gefällt mir die Anfrage.
Leider zeigt die Antwort der Verwaltung wieder einmal vor allem eines:
Eine Verwaltung verwaltet so lange es geht – möglichst ohne Störgrößen.
Und die werden immer mehr in Leipzig.
Ein Glück.

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