Eigentlich ist die Entwicklung positiv, sagt Frank Gurke, bei der Polizeidirektion Leipzig zuständig fürs Verkehrsunfallgeschehen: Die Unfallzahlen sinken seit 2015. Im gesamten Direktionsbezirk genauso wie in Leipzig – von 13.409 im Jahr 2017 auf nunmehr 13.006 im vergangenen Jahr. Auch die Anzahl der Schwerverletzten ist von 425 auf 384 gesunken. Und dann das dicke Aber: Allerdings ist die Zahl der Verkehrstoten von neun auf 14 gestiegen, auch der Trend bei Unfällen mit Radfahrern ist gegenläufig.

Die Ursache ist klar: Immer mehr Leipziger sind mit dem Rad unterwegs. Außerdem, so Gurke, wird das Verkehrsgeschehen in der wachsenden Großstadt immer dichter und unübersichtlicher. Neue Verkehrsmittel wie E-Bikes und E-Roller sorgen für zusätzliche Unübersichtlichkeit.

Da klingen die Sorgen des Verkehrspolizisten an, der jahrelang mit viel zu wenigen Kollegen arbeiten musste. „Mehr Personal wurde uns hier in Leipzig vor drei Jahren versprochen“, sagt Gurke. „Die Kollegen werden in den nächsten Jahren auch kommen.“ Und er weiß auch, wo sie zuallererst eingesetzt werden: bei verstärkten Verkehrskontrollen – auch bei Radfahrern. Denn ganz schuldlos sind manche Radfahrer an den Unfällen nicht.

Und bevor hier wieder der falsche Groschen fällt: Sie verhalten sich nicht anders als andere Verkehrsteilnehmer in Leipzig, rücksichtsloser, aggressiver, mit „schwindender Normenakzeptanz“, wie Frank Gurke betont. Das gelte für Radfahrer genauso wie für Autofahrer und Fußgänger. Aber augenscheinlich ist ihnen nicht bewusst, dass sie dabei immer von schwächerer Partie sind. Während Autofahrer im Stadtverkehr meist mit Blechschaden davonkommen, enden Verkehrsunfälle für Fußgänger und Radfahrer als schwächere Verkehrsteilnehmer meist mit Verletzungen. Oder schlimmer.

Sechs der 14 Verkehrstoten waren Radfahrer.

Kein Wunder also, wenn Radfahrer auch bei vielen Arbeitsschwerpunkten der Verkehrsunfallkommission im Zentrum stehen. Auch weil Unfallhäufungen mit Verletzten sehr schnell in die Aufmerksamkeit der Kommission rutschen.

Über 30 Maßnahmen wurden im vergangenen Jahr von der Verkehrsunfallkommission umgesetzt, um die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer zu erhöhen. Auf der Schwerpunktliste, die diese gemeinsame Kommission von Stadt und Polizei bearbeitet, stehen derzeit 103 Unfallschwerpunkte. Und der Chef des Verkehrs- und Tiefbauamtes sieht keinen Grund für Entspannung.

„Die Situation ist weiterhin bedrückend“, sagt Michael Jana, der Leiter des Verkehrs- und Tiefbauamtes. So erfolgte bei der Gesamtzahl der Unfälle mit Radfahrerbeteiligung eine Steigerung um zwölf Prozent – von 1.171 im Jahr 2017 auf 1.286. Sechs Radfahrer kamen 2018 ums Leben. Gründe für den Anstieg dieser Unfälle können der zunehmende Radverkehr in Leipzig und auch das zum Radfahren einladende Wetter sein. Aber sie erklären nicht wirklich, warum sich bestimmte Unfälle an bestimmten Stellen im Straßennetz häufen.

Die Kommission hatte daher im Stadtgebiet zum Stichtag März 2019 insgesamt 103 sogenannte Unfallhäufungsstellen im Blick. Für 36 von ihnen wurden erste Maßnahmen zur Verbesserung der Situation vor Ort umgesetzt, die derzeit evaluiert werden. Dazu zählen beispielsweise der Ranstädter Steinweg und die Jahnallee als markantestes Beispiel: In einer ersten Stufe wurde hier aus Lärmschutzgründen die Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h beschränkt und das Parken in der Inneren Jahnallee untersagt. Derzeit prüft das Verkehrs- und Tiefbauamt zudem, ab der Funkenburgstraße einen Radfahrstreifen auf der Jahnallee zu markieren.

Anlass und Beginn der Debatte um die „Innere Jahnallee": Eine Häufung von Unfällen unter anderem für Radfahrer. Hier der vom Mai 2018. Foto: L-IZ.de
Anlass und Beginn der Debatte um die „Innere Jahnallee”: Eine Häufung von Unfällen unter anderem für Radfahrer. Hier der vom Mai 2018. Foto: L-IZ.de

Zunächst aufgrund von Bürgerhinweisen reagierte die Kommission an der Kreuzung vor dem Felsenkeller: Radfahrer stürzten hier häufig beim Überfahren der Schienen. Gemerkt hat es ein in der Nähe tätiger Arzt, bei dem sich die Radfahrer mit Unfallblessuren häuften. Die Radfahrer stürzten beim Versuch, von der östlichen Seite der Karl-Heine-Straße die Kreuzung zu überqueren – sie rutschten an den nach rechts abbiegenden Schienen der Straßenbahn ab, die sich beim Vor-Ort-Termin der Verkehrsunfallkommission als völlig abgefahren erwiesen, die Führungsschiene ragt deutlich über die Fahrschiene hinaus.

Die Räder rutschten bei diesem schrägen Auffahren ab, die Radfahrer stürzen. „Wahrscheinlich gibt es sogar eine erhebliche Dunkelziffer“, sagt Thomas Schulze, Abteilungsleiter der Straßenverkehrsbehörde. Um schnell eine Lösung für das Problem zu finden, wurden kleine Rillen in die Schienen gefräst, an denen die Vorderräder mehr Halt finden sollen. Auch ein Verkehrszeichen gibt nun Hinweise, die Gleise stumpfwinkliger zu kreuzen, Radfahrer werden entsprechend geführt.

Er ist froh, wenn man für wenig Geld eine schnelle Lösung für solche Probleme finden kann. Das klappt nicht immer. Man hat zwar durch elektronische Auslesung alle aktuellen Unfallschwerpunkte parat. Aber um eine Lösung zu finden, muss die Verkehrsunfallkommission erst vor Ort genau anschauen, welche Fehler die Verkehrsteilnehmer immer wieder machen. Das deutet dann darauf hin, dass die Verkehrsanlage diese Fehler bedingt, auch wenn sie auf den ersten Anschein hin ganz in Ordnung ist.

So wie die Straßenkreuzung von Gohliser Straße und Nordplatz/Roscherstraße, die als Unfallschwerpunkt kaum im Blickfeld war. Erst die elektronische Auswertung ergab hier: 10 Unfälle in fünf Jahren, neun davon mit Radfahrer- und Fußgängerbeteiligung. Das Problem wird erst bei starkem Verkehrsaufkommen sichtbar, dann verdecken Kraftfahrer, die aus der Roscherstraße kommen, anderen Kraftfahrern die Sicht auf die Radfahrer, die hier STVO-gerecht in die Gohliser Straße einbiegen wollen.

Was man hier schnell tun kann, so Schulze, ist die Verringerung der Fahrbahnzahl und eine komplette Rotmarkierung der Radstreifen. Später soll es auch eine zusätzliche Signalanlage geben. „Aber die gibt es erst, wenn die LVB ihre Haltestelle am Nordplatz barrierefrei umbauen“, so Schulze. „Wir können es den Bürgern nicht erklären, wenn wir jetzt eine teure Lichtsignalanlage hinstellen, die dann in wenigen Jahren wieder abgebaut werden soll, weil eine neue direkt an der Haltestelle gebaut wird.“

Das nächste Beispiel gibt’s an der Prager Straße: Wegen auftretender Unfälle zwischen Rechtsabbiegern auf der Prager Straße in die Kommandant-Prendel-Allee und Radfahrern in die gleiche Richtung, wurde die Ampelschaltung geändert, dass dieser Konflikt zumindest signaltechnisch ausgeschlossen ist.

Es gab auch schon einige Projekte, die wirklich einen deutlichen Rückgang im Unfallgeschehen bewirkten: So habe der Bau des Kreisverkehrs am heutigen Herzliya-Platz die Unfallzahlen in der Tauchnitzstraße deutlich sinken lassen, sagt Schulze. Das Einführen von Fahrradstraßen wie zuletzt im Zentrum-Süd, die Markierung der Zebrastreifen am Herzliya-Platz oder der neue Radfahrstreifen auf der Dresdner Straße sollen ebenfalls die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer erhöhen.

Am Cottaweg, der nun schon seit ein paar Jahren im Visier der Unfallkommission ist, versucht man jetzt durch Schilder wenigstens die Radfahrer zu warnen, dass dieser Radweg gefährlich ist. Die Autofahrer im Cottaweg haben schon seit Jahren Warnzeichen vor der Nase – ein fettes Stopp-Schild, ein fettes Warndreieck auf der Straße und ein Hinweisschild, dass hier Radfahrer in beiden Richtungen queren. Trotzdem achten Kraftfahrer immer wieder nicht auf die von rechts kommenden Radfahrer.

„Die da gar nicht sein dürften“, betont Thomas Schulze. Das stadteinwärtige Fahren auf dem Fußweg ist eigentlich verboten. Trotzdem fahren hier jeden Tag hunderte Radfahrer Richtung Stadt. Was eben auch heißt, dass die Organisation der ganzen Kreuzung kurz vor der Angerbrücke nicht stimmig ist.

„Aber dieses Thema können wir nur langfristig anpacken“, sagt Michael Jana. „Das erfordert erhebliche Umbauten und entsprechende Planungsvorläufe. Und eine Menge Geld.“

Weitere 67 Unfallhäufungsstellen sind aktuell in Arbeit. Hier müssen beispielsweise bauliche Veränderungen umgesetzt oder Ampelschaltungen umgeplant werden, die längeren Vorlauf benötigen. Deshalb dauert es oft Jahre vom Identifizieren eines Unfallschwerpunkts über die Suche nach einer Lösung in der Verkehrsunfallkommission bis hin zur Umsetzung. Die kostet meist Geld, muss also erst einmal geplant und genehmigt werden. Da können schnell vier Jahre und mehr vergehen.

Tödliche Unfälle lassen sich allerdings allein mit technischen und verkehrsorganisatorischen Maßnahmen nicht verhindern, betont Jana noch. Die Stadt bereitet daher auch eine Verkehrssicherheitskampagne für mehr gegenseitigen Respekt und Rücksichtnahme vor.

Ein Thema, das auch Frank Gurke wichtig ist. Er hat so das Gefühl, dass die Leipziger in den vergangenen Jahren deutlich aggressiver und rücksichtsloser geworden sind. Was im Verkehr nun einmal oft drastische Folgen hat. Und Sorgen bereiten ihm die ganzen neuen Medien: Autofahrer, die während der Fahrt ihr Handy benutzen, Radfahrer und Fußgänger mit Stöpseln im Ohr. Oder gleich gar mit dicken Ohrhörern, sodass sie gar keine Verkehrsgeräusche mehr wahrnehmen. Wenn jetzt immer mehr Elektrofahrzeuge unterwegs sind, die man so schon kaum hört, wird es brandgefährlich.

Stadt will keinen Grund sehen, in der Inneren Jahnallee Radfahrstreifen anlegen zu müssen

Stadt will keinen Grund sehen, in der Inneren Jahnallee Radfahrstreifen anlegen zu müssen

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