Die Corona-Krise ist eine Zeit der großen Chancen. Doch die meisten Chancen werden gar nicht erkannt, weil das Lamento über die Einschränkungen der alten Bequemlichkeiten größer ist. Auch in Leipzig. Viele Leipziger sind mit Beginn der Ausgangsbeschränkungen sofort aufs Fahrrad umgestiegen, um auf dem Weg zur Arbeit sich selbst und andere nicht zu gefährden. Und viele waren dabei entsetzt, wie lückenhaft und gefährlich das Leipziger Radwegenetz im ganz normalen Alltag ist. Der ADFC Sachsen mahnt.

Denn andere Städte haben die Chance ergriffen, den Radfahrenden deutlich mehr Platz einzuräumen.

Seit dem Ausbruch der Corona-Krise empfehlen Ärzte und Behörden, für die notwendigen Wege möglichst das Fahrrad zu nutzen. Die nicht ungefährliche Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln soll so vermieden werden. Gleichzeitig hält Bewegung an der frischen Luft den Kreislauf in Schwung und erhöht die körperliche Fitness.

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Sachsen plädiert jetzt dafür, dass den Empfehlungen der Ärzte und Fachleute, auf das Fahrrad zu steigen, nun auch Taten an der Infrastruktur folgen. Nach Bogotá, New York und Kopenhagen hat nun mit Berlin die erste deutsche Stadt entlang einzelner großer Hauptstraßen Autospuren zu Radspuren umgewidmet.

Oft merken nun auch Sachsen, die zuvor mit anderen Verkehrsmitteln unterwegs waren, dass der Ausbau der Radnetze in vielen Kommunen über Jahre vertrödelt wurde.

„In den letzten Tagen erreichen mich viele Berichte von Personen, die zum ersten Mal ihren Arbeitsweg mit dem Rad bestreiten. Wir müssen in dieser Krise den Menschen schnellstmöglich eine gute Infrastruktur anbieten und Lücken im Netz provisorisch schließen, damit sie das Rad nutzen“, sagt Konrad Krause, Geschäftsführer des ADFC Sachsen. Der ADFC fordert daher, Autospuren zu Radspuren umzuwidmen, wenn mehr als eine Autospur pro Richtung zur Verfügung steht. Im Idealfall sind diese Radspuren wie in Berlin mit Pollern geschützt.

„Mehr Platz für das Rad bedeutet auch, dass sich die Radfahrenden stärker verteilen und auch nicht mit Fußgängern in Konflikt kommen. Das minimiert nicht nur Unfälle, sondern auch das Infektionsrisiko“, sagt Krause. Zusätzlich wurden in Berlin an vielen Kreuzungen auch die Aufstellflächen für Radfahrende vergrößert. Auch so kann verhindert werden, dass sich zu große Pulks von Radfahrenden bilden.

Drei Tage lagen in Berlin zwischen Planung und der Umwidmung der Fahrspuren. Die blitzschnellen Anpassungen zeigen, wie akut der Handlungsdruck ist. Die Umwidmung von Fahrspuren zu Radwegen ist zudem auch unproblematisch, da sich der Autoverkehr in den letzten Tagen ohnehin deutlich verringert hat, teils um mehr als zwei Drittel. Die Berliner Senatsverwaltung hat Rad- und Autoverkehr dabei mit Markierungen, Piktogrammen und Baken voneinander getrennt. Weitere Anpassungen sind geplant.

Der Floßplatz: vierspurig für den Kfz-Verkehr, aber kein Platz für Radfahrer. Foto: Ralf Julke
Der Floßplatz: Vierspurig für den Kfz-Verkehr, aber kein Platz für Radfahrer. Foto: Ralf Julke

Und in Leipzig? – Alexander John vom ADFC Leipzig: „Die Corona-Pandemie führt dazu, dass das Fahrrad in Leipzig auch von Menschen für den Weg zur Arbeit genutzt wird, die sonst anders mobil sind. Gleichzeitig hat der Kfz-Verkehr in Leipzig sehr stark abgenommen. Diese Situation bietet die Möglichkeit, kurzfristig umsetzbare Maßnahmen anzugehen, die sowohl den Radverkehr fördern als auch die Ausbreitung der Coronaviren verringert.

So könnte auf mehrspurigen Straßen ohne Radverkehrsanlagen die rechte Fahrspur für den Radverkehr abgetrennt werden – bspw. im Straßenzug Harkortstraße – Floßplatz – Dufourstraße, wo viele Radfahrende auf dem Gehweg fahren, weil sie sich nicht auf die Fahrbahn trauen.“

Um die Corona-Krise auch im Straßenverkehr zu bekämpfen, fordert der ADFC Sachsen jetzt Sofortmaßnahmen der Städte. Diese können Autospuren zu Radwegen umwidmen und vor Kreuzungen größere Aufstellflächen für Radfahrer schaffen. Daneben müssen dringend auch Tast-Ampeln abgeschaltet werden. Viele Ampeln schalten für den Rad- und Fußverkehr nur auf Grün, wenn ein Taster betätigt wird. Und in Leipzig kommen dann noch elend lange Wartezeiten dazu, sodass sich an diesen Ampeln ganze Pulks aus Radfahrern, Fußgängern und auch Joggern bilden. Meist bekommen die Nutzer dieser Ampeln nicht einmal die nächste fällige Grünphase.

„Die sogenannten Betteltaster sind absolut unnötige Infektionsschleudern, die sehr einfach eliminiert werden können“, sagt Krause. „Die Straßenbaubehörden sind hier in der Pflicht, Ampeln für Fußgänger und Radfahrer einfach in jeder Umlaufphase auf ,grün‘ zu schalten“, so Konrad Krause vom ADFC.

Hinweis der Redaktion in eigener Sache

Natürlich werden auch die L-IZ.de und die LEIPZIGER ZEITUNG in den kommenden Tagen und Wochen von den anstehenden Entwicklungen nicht unberührt bleiben. Ausfälle wegen Erkrankungen, Werbekunden, die keine Anzeigen mehr schalten, allgemeine Unsicherheiten bis hin zu Steuerlasten bei zurückgehenden Einnahmen sind auch bei unseren Zeitungen L-IZ.de und LZ zu befürchten.

Doch Aufgeben oder Bangemachen gilt nicht 😉 Selbstverständlich werden wir weiter für Sie berichten. Und wir haben bereits vor Tagen unser gesamtes Archiv für alle Leser geöffnet – es gibt also derzeit auch für Nichtabonnenten unter anderem alle Artikel der LEIPZIGER ZEITUNG aus den letzten Jahren zusätzlich auf L-IZ.de ganz ohne Paywall zu entdecken.

Unterstützen Sie lokalen/regionalen Journalismus und so unsere selbstverständlich weitergehende Arbeit vor Ort in Leipzig. Mit dem Abschluss eines Freikäufer-Abonnements (zur Abonnentenseite) sichern Sie den täglichen, frei verfügbaren Zugang zu wichtigen Informationen in Leipzig und unsere Arbeit für Sie.

Vielen Dank dafür.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar