Es gab einen großen Medienhype um den „Autogipfel“, der am Dienstag, 5. Mai, stattfand und in dem sich die Bosse der deutschen Autoindustrie von der Bundesregierung so etwas wie eine neue „Abwrackprämie“ wünschten. Doch die Telefonkonferenz ging eher nicht nach ihren Wünschen aus. Die Kanzlerin wolle sich erst einmal mit dem Fraktionspartner beraten, hieß es. Was man tun wolle, werde man wohl im Juni mitteilen. Der Gegenwind gegen die Wünsche der Autoindustrie zeigte Wirkung.

Denn der Corona-Shutdown ließ zwar den Umsatz der Autoindustrie im März um 38 Prozent einbrechen. Damit gerät die schlägkräftigste deutsche Industriebranche in ein schweres Fahrwasser, das sie so noch nicht erlebt hat. Aber die Coronaauszeit zeigte auch noch etwas anderes: Dass Mobilität gerade in großen Städten auch ohne Auto funktioniert. Sofern die Radinfrastrukturen nur einigermaßen ausgebaut sind.

„Die Regierung lässt die Chefs von BMW, Daimler, Volkswagen und Ford Deutschland jedoch erst einmal zappeln“, schrieb der „Spiegel“ zum Ausgang des „Autogipfels“.

Denn dass die Deutschen weniger Autos kaufen, hat ja nicht nur mit Corona zu tun. Gerade die jüngeren Bundesbürger verzichten auch aus pragmatischen und Umweltschutzgründen immer öfter auf die Anschaffung eines Autos. Und wenn man ehrlich ist, dann steht die Autoindustrie genauso vor einem Legitimationsproblem wie die Flugzeugindustrie, die Kreuzschifffahrt und die Kohleindustrie. Diese vier Branchen stehen genau für jene hohe Umweltbelastung, die sich nicht mit den in Paris beschlossenen Klimazielen vereinbaren lässt.

Sie stehen – genauso wie die globalisierten Handelsströme – für eine Wirtschaftsform, die vor aller Augen ihre katastrophalen Folgen zeigt. Und deren Ende wir alle erleben. Die Frage ist nur: Wird es ein katastrophales Ende sein, das der Menschheit ein tatsächlich finsteres Zeitalter beschert, in dem sie nichts mehr gestalten kann? Oder wird es ein von der Menschheit klug vorbereitetes Zeitalter? Aber dabei muss das alte Machbarkeitsdenken ersetzt werden durch eines, in dem Politik dafür sorgt, dass sich menschliches Leben wieder in den Grenzen abspielt, in denen es naturverträglich ist.

Was unter anderem auch mit einem völlig anderen Mobilitätsverhalten einhergehen muss.

Proteste gegen den „Autogipfel“

Die Verhandlungen wurden deshalb am Dienstag, 5. Mai, von Protesten auf dem Platz der Republik und direkt vor dem Kanzlerinnenamt begleitet. Unter anderem hatten die Gruppen Sand im Getriebe, Interventionistische Linke Berlin sowie Potsdam Autofrei zu einer Kundgebung aufgerufen.

„Der Politik geht es offenbar vor allem darum, den Profiteur/-innen dieses autozentrierten Verkehrssystems ein ‚Weiter-so‘ zu ermöglichen. Dabei könnten Städte jetzt auf klimafreundliche, gemeinschaftliche und gerechte Mobilität umgestellt werden!“, kritisiert die Initiative Potsdam Autofrei den Versuch der Autoindustrie, noch einmal auf Steuerzahlerkosten gerettet zu werden, ohne wirklich umzusteuern.

„Jetzt riesige Geldsummen an die verbrecherischen Autokonzerne zu verteilen, wäre ein Schlag ins Gesicht all derjenigen, die in einem unterfinanzierten Gesundheitswesen und in schlecht bezahlten Pflegeberufen arbeiten und tagtäglich um ihre Existenz fürchten müssen. Statt Steuergeldern sollten vor allem die Milliardenprofite der Eigentümer herangezogen werden, um mögliche soziale Folgen für die Beschäftigten in der Autoindustrie abzufedern“, betont Ana Romero von der IL Berlin.

Verschiedene Akteur/-innen der Verkehrswende- und Klimabewegung hatten zuletzt wiederholt die Stoßrichtung der Diskussion kritisiert. Anstatt einer Kaufprämie für Autos mit Verbrennungs- oder Elektromotor halten sie einen radikalen Umbau des Mobilitätssektors für notwendig. Dazu gehört aus ihrer Sicht auch eine deutliche Schrumpfung der Autoindustrie und eine Umstellung der Produktion auf „Verkehrswendemittel“ wie Straßenbahnen, elektrische Busse und Lieferwagen oder Lastenräder. Dieser Forderung wurde am Dienstag auch durch weitere dezentrale Protestaktionen an verschiedenen Orten Nachdruck verliehen, unter anderem in Kassel, Aachen und Wolfsburg.

Dazu erklärt Marie Klee, Sprecherin von Sand im Getriebe: „Die Vielfalt der Proteste zeigt, dass viele Menschen ein Festhalten am überholten, sozial und ökologisch verantwortungslosen Geschäftsmodell der Autokonzerne nicht länger akzeptieren. Statt mit öffentlichem Geld den Verkauf von Privatautos weiter anzukurbeln, muss jetzt der Umbau der Industrie im Sinne einer radikalen Verkehrswende forciert werden. Die Politik ist orientierungslos und lässt sich von der Lobby auf der Nase herumtanzen – das zeigt uns, wie wichtig unser Protest ist. Der Widerstand gegen das ‚business as usual‘ des fossilen Verkehrssystems wird weiter zunehmen!“

Auch Sachsen braucht eine Mobilitätswende

Zur Diskussion um eine staatliche Kaufprämie für Neufahrzeuge erklärte auch Marco Böhme, klimaschutz- und mobilitätspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag am Dienstag: „Eine Kaufprämie für den Absatz für Neuwagen ist nicht nur zu kurz gesprungen, wie Wirtschaftsminister Martin Dulig dem Ministerpräsidenten Michael Kretschmer vorwirft. Sie ist aus meiner Sicht sogar der völlig falsche Weg. Das Mobilitätsverhalten der Menschen in Sachsen ändert sich, vor allem in den Großstädten.

Private Autos sind für die meisten Menschen schon lange kein Statussymbol mehr und auch das Nutzungsverhalten ändert sich hin zu nachhaltigen Mobilitätsformen. Genau dort sollte der Freistaat ansetzen. Sachsen sollte mit einer Reparaturprämie für (Lasten-)Fahrräder bundesweit vorangehen. Frankreich macht das gerade vor. Bei uns wurde bisher noch nicht einmal die 2018 beschlossene Förderrichtlinie für Lastenfahrräder umgesetzt. Millionen Euro wurden deshalb noch nicht ausgezahlt, wie eine Kleine Anfrage von mir aufgedeckt hat.“

Doch Duligs Problem ist: Die Staatsregierung unterstützt die von Verkehrsminister Martin Dulig angesprochene Verkehrs- und Technologiewende in Sachsen derzeit nicht.

„Es gibt bisher keine Unterstützung für ÖPNV-Verkehrsdienstleister, die durch das Wegbrechen von Fahrgeldeinnahmen infolge der Corona-Pandemie angeschlagen sind“, so Böhme. „Dabei müsste gerade jetzt der öffentliche Nahverkehr massiv ausgebaut werden. Wenn es also milliardenschwere Staatshilfen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gibt, sollten diese auch in Technologien investiert werden, die langfristig überlebensfähig und innovativ sind und den gewaltigen Aufgaben des Klimaschutzes gerecht werden.“

Und auch Holger Mann, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, sah den „Autogipfel“ kritisch: „Der sogenannte Autogipfel heute hätte besser als Zukunftsgipfel Mobilität angesetzt werden sollen. Erneut Abwrackprämien auszureichen, geht an den Herausforderungen der Zeit vorbei. Neue Förderungen des Staates sollten auf nachhaltige Antriebssysteme und moderne Mobilitätskonzepte ausgerichtet sein. So könnten Zuschüsse für Investitionen in ressourcenschonende und umweltfreundliche Technologien Hersteller wie Zulieferer nachhaltig unterstützen und zugleich Brücken in Mobilitätsangebote jenseits des Individualverkehrs bauen.“

Stephan Kühn, sächsischer Bundestagsabgeordneter und Sprecher für Verkehrspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, hatte sich schon am Montag kritisch geäußert: „Wir brauchen einen Rettungsplan für die gesamte Mobilitätsbranche. Es darf kein Windhundrennen geben, bei dem nach Milliarden-Hilfen für die Lufthansa und die Autoindustrie die ebenso schwer angeschlagenen Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs auf der Strecke bleiben.“

Dass gerade das Umsteuern der Autoindustrie besonders schwer wird, ist ihm bewusst: „Der Automobilbau gehört zu den beschäftigungs- und umsatzstärksten Branchen in Sachsen. Viele kleinere und mittlere Zulieferbetriebe, der Automobilhandel und Industrien wie die Stahlproduktion und der Maschinenbau sind von den Autobauern stark abhängig und können längere Umsatzeinbrüche nicht abfedern. Ein Nachfrageeinbruch bei den Automobilherstellern erschwert notwendige Investitionen in Zukunftstechnologien.

Eine Autokauf-Prämie könnte dabei helfen, Investitionen in klimafreundliche Antriebe und Kraftstoffe in der Krise abzusichern. Es wäre klima- und industriepolitisch aber kontraproduktiv, jetzt erneut Verbrennungsmotoren mit Steuermilliarden zu fördern. Die Kaufprämie muss deshalb auf Elektroautos und die effizientesten Plug-in-Hybride begrenzt sein, damit die Prämie die bereits bestehenden Förderinstrumente für die Elektromobilität verstärkt.

Eine Kaufprämie muss an harte Bedingungen geknüpft sein: Sie muss einhergehen mit einer ökologischen Reform der Kfz-Steuer und dem schrittweisen Abbau der milliardenschweren Steuersubventionen für Dieselkraftstoff, sodass die Konjunkturmaßnahme auf mittlere Sicht gegenfinanziert werden kann.“

Jetzt wäre der Zeitpunkt, wirklich umweltfreundliche Mobilität voranzubringen

Auch der Fahrgastverband PRO BAHN sprach sich am Montag gegen eine Prämie für Neuwagen aus. Stattdessen sollten Prämien für alle Verkehrsmittel gegeben werden. Der Verband spricht sich sogar sehr deutlich dagegen aus, die bereits vor der Krise kränkelnde Automobilwirtschaft künstlich am Leben zu erhalten. Er fordert durch Infrastrukturausbau und die Bestellung von ICE-Zügen die wachsende Bahnindustrie weiter zu fördern, um die schrumpfenden Automobilhersteller auszugleichen.

Bereits vor der Coronakrise schwächelten die Betriebe, Zulieferer meldeten reihenweise Konkurs an oder bemühten sich um Kurzarbeit. Auch ließ die Branche Innovationskraft vermissen.

„Wer sich die deutschen Elektroautos genauer ansieht, merkt schnell, dass diese bei den elektronischen Systemen weit hinter der Konkurrenz hinterherhängen – die Verzögerungen beim ID3 von Volkswagen stehen stellvertretend für eine ganze Industrie“, erläutert Informatiker Lukas Iffländer, stellvertretender Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands.

„Wenn eine Prämie gezahlt werden soll, um den Konsum anzukurbeln, dann muss diese verkehrsmittelneutral angeboten werden“, ist für den Ehrenvorsitzenden Karl-Peter Naumann klar. Gemeinsam mit weiteren Verbänden, wie unter anderem der Allianz pro Schiene, dem VCD, dem ADFC und der Verbraucherzentrale Bundesverband, hatte der Fahrgastverband entsprechende Forderungen aufgestellt.

„Alleine eine Konsumprämie ist aber keine nachhaltige Förderung irgendeiner Wirtschaft“, betonte Iffländer. Stattdessen fordern die Fahrgastvertreter, gezielt die deutsche Bahnindustrie, die bereits vor der Krise gewachsen ist, zu fördern, um wegbrechende Arbeitsplätze in der Automobilindustrie abzufangen. Dazu sollen Züge inklusive langfristiger Wartung beschafft und Infrastruktur ausgebaut werden. Vorbild sei dabei Österreich während und nach der letzten Finanzkrise – anstelle kurzsichtig eine Automobilindustrie zu fördern, die jetzt wieder darniederliegt, habe Österreich in den Ausbau barrierefreier Infrastruktur investiert.

Dabei habe man sich insbesondere auf ländliche Regionen fokussiert, um das regionale Handwerk zu fördern. Auch für den geplanten Deutschlandtakt sind gut hundert zusätzliche 300 km/h schnelle Züge notwendig. Diese können sich aktuell weder die Deutsche Bahn noch deren Konkurrenten leisten. Der Fahrgastverband PRO BAHN schlägt daher vor, diese durch den Bund inklusive Wartung durch die Hersteller zu beschaffen und den Unternehmen – DB und Wettbewerber – zur Verfügung zu stellen.

Ohne echte Konzepte im Nahverkehr gibt es keine Verkehrswende

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