Der Corona-Shutdown und das damit veränderte Mobilitätsverhalten der Leipziger/-innen wetterleuchtet noch immer in den täglichen Einsatzplänen der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB). Von einer Rückkehr in einen normalen Betriebsablauf kann noch lange keine Rede sein. Im Gegenteil: Die LVB rechnen auch für den Rest des Jahres damit, dass sie den Fahrplan einem veränderten Fahrgastaufkommen, gar einem neuen Shutdown anpassen müssen. Aber das wollen sie nicht jedes Mal neu beantragen müssen.

Dazu hat jetzt das Dezernat Planung und Bau eine durchaus ungewöhnliche Vorlage für den Stadtrat verfasst, die dieser nach der Sommerpause befürworten kann. Der Grundtenor: „Die Ratsversammlung beschließt für die Verkehrsleistung der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) GmbH einen neuen Basisfahrplan mit insgesamt 23,3 Mio. Fahrplankilometern p. a. (davon 12,5 Mio. Fahrplankilometer im Straßenbahnbereich und 10,8 Mio. Fahrplankilometer im Busbereich) und damit gleichzeitig die Erhöhung des Verkehrsangebotes im Busbereich.“

Das klingt erst einmal gut. Aber: Was hat das in dieser Vorlage zu suchen, in der es zuallererst um Punkt 2 geht: „Die LVB wird unter Einhaltung der Vorgaben des europäischen Beihilfenrechts ermächtigt, während der Corona-Pandemie-Situation abweichend von den Vorgaben der Leipziger Betrauung gemäß Ratsbeschluss vom 28.10.2009 das Fahrplanangebot in eigener Verantwortung flexibel zu gestalten.

Bei prozentualen Änderungen des Fahrplanangebotes gegenüber dem Basisfahrplan, welche durch pandemiebedingte Anpassungen des Fahrplanes erforderlich werden, ist abweichend von der Regelung im ,Betrauungsbeschluss zur Betrauung der LVB – Konkretisierung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen im Öffentlichen Personennahverkehr‘ keine Zustimmung der Stadt erforderlich. Die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen des bisherigen Betrauungsbeschlusses und der im Verkehrsleistungsfinanzierungsvertrag festgelegte Gesamtbetrag bleiben unberührt.“

Denn auch nur für diesen Punkt gilt: „Die unter Beschlusspunkt 2 aufgeführte Ausnahmeregelung ist begrenzt bis zum 31.12.2020 und bezieht sich ausschließlich auf das Fahrplanangebot für das Jahr 2020.“

Heißt im Klartext: 2020 wird das Angebot gar nicht erweitert. Denn was im Busbereich mehr gefahren werden soll, entfällt dafür im Straßenbahnbereich. Denn bisher galt: „Laut den Vorgaben der Leipziger Betrauung bedürfen über eine bestimmte Größenordnung hinausgehende Angebotsveränderungen in Bezug auf einen festgelegten Basisfahrplan der Zustimmung durch die Stadt.

Zuletzt hat die Ratsversammlung am 28. Oktober 2015 einen Basisfahrplan mit insgesamt 22,9 Mio. Fahrplankilometern p. a., davon 12,5 Mio. Fahrplankilometern im Straßenbahnbereich und 10,4 Mio. Fahrplankilometern im Busbereich beschlossen. Die zuvor genannte Regelung umfasst dabei alle Änderungen, die seit Inkrafttreten des Basisfahrplans, auch unabhängig voneinander bzw. einzeln, vorgenommen wurden.“

Und ob selbst die neu festgesetzten Werte erreicht werden, ist offen. Die Vorlage betont dazu: „Eine zuverlässige Prognose für den Jahreswert des Fahrplanangebotes der Leipziger Verkehrsbetriebe lässt sich aufgrund der beschriebenen Unwägbarkeiten für die weitere Entwicklung derzeit nicht abgeben, da in der aktuellen Situation nicht absehbar ist, ab wann wieder der vollständige Regelfahrplan angeboten werden kann oder ob zu späteren Zeitpunkten erneut Reduzierungen erforderlich werden könnten, z. B. infolge eines erhöhten Krankenstandes oder einer weiteren größeren Infektionswelle. Allerdings kann bereits jetzt prognostiziert werden, dass mit den bereits bekannten Einschränkungen der Basisfahrplan Straßenbahn bis zum Jahresende unterschritten wird.“

Schon im Vorjahr wurde der Basisfahrplan massiv unterschritten: 2016 erreichten die Straßenbahnen der LVB 12,7 Millionen Kilometer, ein Wert, der 2019 durch Fahrermangel und ausgedünntes Fahrplanangebot auf 12,2 Millionen Kilometer absank.

Mit den Corona-Folgen dürfte er 2020 noch weiter sinken.

„Bezüglich der Reduzierung des Fahrplanangebotes wurden zunächst nach Bekanntgabe der Schulschließungen ab 18. März 2020 die reinen Schülerverkehre eingestellt“, heißt es in einer ersten Bilanz des ersten Halbjahrs. „Ab dem 23. März 2020 wurden alle Straßenbahnlinien in einem erweiterten Sonntagsfahrplan betrieben. Dies bedeutete, dass die Straßenbahnlinien werktags von 06:00 bis 19:00 Uhr im 15 Minuten-Takt, statt des bisherigen 10 Minuten-Taktes verkehrten. Ab dem 30. März 2020 verkehrten auch die innerstädtischen Buslinien im 15 Minuten-Takt und im regionalen Bediengebiet wurde nach Ferienfahrplan gefahren. Nach der politischen Entscheidung zur schrittweisen Lockerung der staatlichen Maßnahmen und mit der teilweisen Wiederaufnahme des Schulbetriebes für Abschlussklassen verkehren alle Buslinien der LVB seit dem 20. April 2020 wieder nach dem Regelfahrplan an Schultagen.

Ferner werden ab diesem Zeitpunkt punktuelle Verstärkerfahrten im Straßenbahnbereich angeboten. Die reinen Schülerverkehre wurden bedarfsgerecht ab 13. Mai 2020 teilweise wieder aufgenommen und werden seit dem 20. Mai 2020 wieder komplett gefahren. Mit Beginn der Baumaßnahme Rosa-Luxemburg-Straße ab dem 2. Juni 2020 werden die Straßenbahnlinien 7, 11 und 15 montags bis freitags von 06:00 bis 19:00 Uhr wieder im 10 Minuten-Takt verkehren. Alle anderen Straßenbahnlinien sollen vorerst im 15 Minuten-Takt verbleiben.“

Heißt: Das Angebot bleibt eingeschränkt.

Und zwar vor allem, um die Einnahmeausfälle durch den Rückgang der Fahrgastzahlen zu kompensieren. Dazu liest man in der Vorlage: „Damit kann neben einer größtmöglichen Flexibilität beim Reagieren auf aktuelle Anforderungen der Corona-Situation auch angesichts der starken Einnahmerückgänge ein Beitrag zum wirtschaftlichen Bestand des Unternehmens durch Kostendämpfungen erzielt werden. Denn die LVB erbringt in enger Abstimmung mit der Aufgabenträgerin zur Absicherung einer flächendeckenden Mindest-Mobilität für alle, insbesondere auch und gerade in Krisenzeiten, mehr Verkehrsleistungen, als sie nach rein betriebswirtschaftlichen Grundsätzen infolge des massiven Nachfrageeinbruchs eigentlich anbieten müsste.“

So fühlt es sich aus Fahrgastsicht auch an.

Wir hatten das vor zwei Wochen auch schon einmal bei den Leipziger Verkehrsbetrieben nachgefragt und von Pressesprecher Marc Backhaus die Antwort erhalten: „Grundsätzlich haben die Leipziger Verkehrsbetriebe in der aktuellen Situation einen erheblichen Fahrgastrückgang festzustellen. Mit Blick auf die bisherigen wirtschaftlichen Auswirkungen und die weiter unterdurchschnittliche Nachfrage versucht das Unternehmen bedarfsgerechte Angebote zu machen.

So sind unter anderem alle Buslinien im ,Normalangebot‘ unterwegs und auf 3 Straßenbahnlinien mit entsprechender Nachfrage gilt der 10-Minuten-Takt. Da es auch hier vorkommen kann, dass ein Mindestabstand nicht eingehalten werden kann, empfehlen die LVB Mund und Nase entsprechend der Landesverordnung zu bedecken.

Entsprechend der weiteren Nachfrageentwicklung und dem weiteren Pandemieverlauf werden wir erst am Ende des Jahres die wirtschaftlichen und verkehrlichen Auswirkungen beziffern können. Entsprechend der aktuellen Nachfrage sind die Mitarbeitenden der LSVB weiterhin in Kurzarbeit, bei einem Ausgleich auf 100 Prozent durch die Leipziger Gruppe. Mit Blick auf das LVB-Angebot im Herbst informiert das Unternehmen nach den entsprechenden Nachfragebewertungen auf den bekannten Wegen.“

LSVB sind die LVB-Tochter Leipziger Stadtverkehrsbetriebe, die die 650 Fahrer/-innen für die Straßenbahnen zur Verfügung stellen.

Aber genaue Zahlen zum Rückgang des Fahrgastaufkommens bekamen wir (noch) nicht. Und Zahlen zu den möglichen Umsatzeinbußen haben auch die LVB noch nicht. Deswegen kann das städtische Unternehmen auch noch nicht sagen, ob es zum Jahresende noch einen zusätzlichen Finanzausgleich braucht, auch wenn der Verband der Deutschen Verkehrsbände (VDV) im Frühjahr schon richtig Tamtam gemacht hat zu den befürchteten Einnahmeausfällen.

In der Vorlage klingt das deutlich zurückhaltender: „Im Zusammenhang mit der Finanzierung von anfallenden Einnahmeverlusten und Mehraufwendungen infolge zusätzlicher Sicherheits- und Hygienemaßnahmen ist bis zum jetzigen Zeitpunkt allerdings in weiten Teilen noch unklar, ob und wenn ja in welchem Umfang konkret diesbezügliche coronainduzierte Mehrbelastungen bzw. Mindereinnahmen ausgeglichen werden. Der Beschluss der Bundesregierung vom 03.06.2020, sich mit insgesamt 2,5 Milliarden Euro an einem ÖPNV-Rettungsschirm zu beteiligen, bietet einen ersten Anhaltspunkt, konkrete Regelungen, wofür und an wen die Gelder ausgezahlt werden, gibt es aber noch nicht. Auch seitens des Freistaates Sachsen existieren aktuell noch keine verbindlichen Aussagen zu ergänzenden Zusatz- bzw. Co-Finanzierungen.“

Wie sollte so ein Plan auch schon existieren, wenn noch nicht einmal vage Schätzungen zu den möglichen Mindereinnahmen existieren? Oder besser: Zur verbleibenden Differenz, wenn man sie mit dem eingeschränkten Angebot verrechnet? Was bleibt da übrig?

Und ebenso bleibt unklar, welche flexiblen Fahrplananpassungen die LVB eigentlich planen.

Der einzige Passus in der Vorlage, der darauf Bezug nimmt, beschreibt tatsächlich nur den Fall eines möglichen zweiten Shutdowns, den Epidemiologen für den Herbst durchaus für möglich halten, weil sich nun einmal ein Teil der Menschen nach Aufhebung der meisten Einschränkungen wieder genauso rücksichtslos benimmt wie vorher.

Die Befürchtung, dass auch Leipzig im Herbst den Betrieb wieder herunterfahren muss, ist nur zu berechtigt. Das steckt in dieser Aussage: „In der Betrauung selbst ist keine Regelung enthalten, welche es den Leipziger Verkehrsbetrieben ermöglichen würde, in unvorhergesehenen Situationen, welche zu Beschränkungen des öffentlichen Lebens führen, mit der Anpassung ihres Verkehrsangebotes eigenverantwortlich und flexibel zu reagieren.

Zur Gewährleistung der erforderlichen Flexibilität bei der operativen Angebotsgestaltung sollen die Leipziger Verkehrsbetriebe aufgrund der Pandemie-Situation deshalb ermächtigt werden, abweichend von den Vorgaben der Leipziger Betrauung das Fahrplanangebot in eigener Verantwortung zu gestalten, ohne dass die Zustimmung der Stadt eingeholt werden muss.“

Selbst die Kapazitätserweiterung auf LVB-Hauptlinien bis 2024 wird sportlich

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