„Die Verlegung des Radfahrverkehrs vom Gehweg zurück auf die Fahrbahn der Karl-Heine-Straße hat eine bedeutende Aufwertung des öffentlichen Raums erwirkt“, sagt Bertram Weisshaar, der die Ortsgruppe Leipzig des Fachverbandes Fußverkehr Deutschland (FUSS e.V.) vertritt. „Diese Maßnahme war dabei schon lange dringend geboten, hat sich doch diese Straße zu einer der am stärksten frequentierten Flaniermeilen Leipzigs entwickelt.“

Die Karl-Heine-Straße gehört zu jenen Straßen in Leipzig, in denen der Wandel des Verständnisses von Stadtraum sichtbar wird. Denn zukunftsfähig ist eine Vorstellung von Stadt, in der der Großteil des Raumes von motorisiertem Verkehr belegt wird, nicht wirklich.„Wie so viele Straßen – jedoch diese ganz besonders – ist die Karl-Heine-Straße nicht dazu da, lediglich so schnell als möglich hindurchzueilen. Die Möglichkeit, ungestört zu schlendern, herumzustehen, zu plaudern, bummeln, schauen – all dies macht eine Straße erst wirklich liebenswert“, sagt Weisshaar und benennt damit die Punkte, die letztlich auch eine Änderung in der Aufteilung des Verkehrsraums zwingend machen. „Und dies ist hier nun möglich, ohne mit den zahlreichen Radfahrenden zu kollidieren.“

Der Fachverband Fußverkehr, kurz: FUSS e. V., begrüße die Rückgewinnung des Gehweges für die zu Fuß Gehenden ausdrücklich und werbe bei allen Verkehrsteilnehmern dafür um Verständnis.

„Die Karl-Heine-Straße einmal auf und ab zu schlendern genügt, um die
rückgewonnene Qualität sofort zu erkennen. Hingegen kommentieren einige Leserbriefe die Situation nur aus der flüchtigen Perspektive von hinter der Lenkstange oder dem Lenkrad“, so Weisshaar.

Aber die neue Situation kann mit der vorherigen verglichen werden in einem YouTube Video, welches erst vor wenigen Wochen entstand. In diesem „Talk Walk“ unternimmt der
Spaziergangsforscher Bertram Weisshaar einen filmischen Spaziergang mit dem
Fußwegeverantwortlichen der Stadt Leipzig Friedemann Goerl. Darin werden neben der Karl-Heine-Straße noch weitere Orte und Aspekte der fußgängerfreundlichen Stadt „unter die Füße genommen“ – etwa die Anlage neuer Fußgängerüberwege, Spaziergänge mit
Oberbürgermeister Burkhard Jung, die gerechte Aufteilung der Verkehrsflächen und nicht
zuletzt der Sinn einer stadtweiten Fußverkehrsstrategie.

Talk Walk mit Friedemann Goerl, Fußverkehrsverantwortlicher der Stadt Leipzig

In dem erst kürzlich gestarteten YouTube Kanal „Talk Walks“ dreht sich im Kern alles um das Gehen, um das zu Fuß unterwegs sein. Monatlich berichtet Bertram Weisshaar aus einer anderen Stadt. Jeder „Talk Walk“ wird dabei von einem örtlichen Talk Gast begleitet. Entlang der Straßen, Plätzen und Parks entwickelt sich ein Gespräch und Gedankengang zur Qualität des öffentlichen Raums in der besuchten Stadt.

In Kassel begleitet der Verkehrsplaner Andreas Schmitz den Spaziergang durch die
umgebaute Goethestraße – einem überregional beachtenswert gelungenen Beispiel für die Rückgewinnung des öffentlichen Raums in einer vormals vierspurigen Verkehrsstraße.

In Bamberg schildert Silke Klotzek, Mitarbeiterin aus dem Stadtplanungsamt Bamberg, die
Umgestaltung einer niedergehenden Geschäftsstraße zu einem nun sehr belebten
Verkehrsberuhigten Bereich. Im August folgt ein Video-Spaziergang in Koblenz, entstanden im Rahmen eines öffentlichen geführten Spaziergangs zum Thema Viertelstundenstadt.

Die Intension der Video-Spaziergänge, so Weisshaar: „Durch das, was man in dem Video jeweils erfährt, wird man anschließend selbst bei eigenen Spaziergängen mehr sehen und erkennen.“

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Es gibt 10 Kommentare

Das Video aus Kassel… obwohl jetzt kein radikaler Umbau, noch sehr autolastig geblieben… aber der Verkehrsplaner über das Thema spricht, wie frühzeitig Bürgerbeteiligung stattfindet, was noch kommen müsste: für Leipzig eine ferne Welt…

Im hochinteressanten Fußgängervideo mit Weisshaar und Goerl sieht man schon bei ca. 02:50 einen Rüpel von Autofahrer in geringem Abstand und ohne jede Vorsichtsbremsung hinter den beiden Herren auf den breiten Fuß- und Radweg vor der Ringbebauung einkurven.

Für die Freisitz(nicht)fans gibt es ab 16:00 ein paar Aussagen.

Das Schlusswort von Goerl macht deutlich, dass überhaupt erst ein Bewusstsein für den Fußverkehr geweckt werden muss.

Mir scheint, dass die Leipziger Verkehrsplaner bis vor kurzem hier bewusstlos gewesen waren. Es hält sich auch das Gerücht, dass die Einrichtung eines Fußverkehrsbeauftragten jahrelang von der Verwaltung und ihrem Oberchef bekämpft wurde.

Hallo Knut, also ich als häufiger Fußgänger habe auch schlechte Erfahrungen mit den Freisitzen gemacht und erlebe dies immer noch fast täglich. Eigentlich finde ich diese Freisitze okay, aber sie nehmen einfach wirklich mancherorts den halben Fußweg und mehr ein. Das ist in der ganzen Stadt so, nicht nur in Plagwitz. Ich kenne zwei Fußwege in jeweils zwei anderen Stadtteilen, da nehmen die Freisitze von Gaststätten den kompletten Fußweg in Beschlag und wir Fußgänger können da nur auf der (zum Glück verkehrsberuhigten) Straße langlaufen, wenn nicht gerade doch ein Auto kommt. Irgendwie ist das nicht schön. Und irgendwie ist es auch logisch, dass, wenn die Fußgänger wegen der Freisitze ausweichen, die Radfahrer ausweichen bzw. es hier zu Konflikten kommt. Also Freisitze sind schon schön, aber wenn sie zuviel werden, nerven sie eben auch andere Verkehrsteilnehmer. Problem ist hier keine Hackordnung und auch kein Egoismus, sondern ein Zuviel einer Sache an einer ungeeigneten Stelle.

Hatte das Vergnügen einen direkten Vergleich zu machen. Einmal im vorherigen Zustand stadteinwärts.
Durchschnittsgeschwindigkeit ca 10kmh mit Rücksicht auf permanent querende Fußgänger, teilweise geschuldet der großzügigen und gemütlichen Freisitze.
Die Querung der sehr schmalen Seitenstraßen war damit verbunden auf vorhandene FG zu achten, zusätzlich noch mit Rücksicht gegenüber den abbiegenden PKW die sich verständlicherweise auf Gegenverkehr konzentrieren mussten.

Beim zweiten Mal stadtauswärts.
Entspanntes dahingleiten auf Höhe der Öffis und des PKW Verkehrs Durchschnittsgeschwindigkeit ca 23-25kmh. Keine Konflikte mit Fußgängern oder PKW…
Ja schön wäre ein baulich getrennter Radweg, aber die Markierungsarbeiten sind die aktuell am schnellste umsetzbare Lösung, bauliche Änderungen hätten jahrelange Planung in Anspruch genommen ( Schleußiger Weg nicht vor 2030 )
Ich bin Recht zufrieden mit dem Ergebnis, jetzt noch das Stück zwischen EZA und FK …

Die vorangehenden Kommentare zeigen mir nur eins. Die RadfahrerInnen verhalten sich in der Hackordnung gegenüber den FussgängerInnen oder Freisitzenden wie die AutofahrerInnen gegenüber den RadfahrerInnen. Sicherheit wird nur auf Kosten der Sicherheit der anderen gedacht.

Da hat man mal einen luxuriös breiten Gehweg mit genügend Platz für einen Radweg und dies wird nun aufgehoben. Warum werden immer noch Radwege auf der Fahrbahn einfach abmarkiert? Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger wünscht sich subjektiv sichere, vom Autoverkehr getrennte Radwege. Die neue Regelung stellt daher einen Rückschritt dar im Hinblick auf nutzerfreundliche Radwege, insbesondere auch für Kinder und Ältere. Mit derartigen Lösungen wird man den Radverkehrsanteil in Leipzig nicht signifikant erhöhen.
Und dabei hätte Leipzig aufgrund der Topographie und (im Vergleich zu anderen Städten) breiten Straßenquerschnitte das Zeug dazu, bundesweite Vorreiterin beim Radverkehr zu werden. Schade.
Schaut man sich die relevanten Hauptstraßen im Stadtgebiet an, wo ein Radweg fehlt, ergäbe sich bei gutem Willen in den allermeisten Fällen eine Lösung für getrennte Radwege. Und dabei müssten nicht unbedingt immer Stellplätze wegfallen, wenn man offen wäre, Abbiegespuren, welche nur von wenigen Autos genutzt werden, zum Radweg umzuwidmen, wenn man offen wäre für Zweirichtungsradwege, welche Platz sparen und in anderen Staaten längst gang und gäbe sind, und wenn man offen wäre, überbreite Fußwege dem Radverkehr zugute kommen zu lassen.

Ich kann – als leidenschaftlicher Radfahrer – diese Maßnahme auch nicht gutheißen. Die Konfliktträchtigkeit auf der Borde resultierte meines Erachtens nicht aus der gemeinsamen Nutzung des Geh- und Radwegs, sondern in der Limitierung des Platzes für den Gehweg durch überbordende Freisitznutzung. Ähnlich verhält es sich am Ostplatz in stadteinwärtiger Richtung; die Bürger sind nahezu genötigt den dortigen Radweg als Gehbahn zu nutzen, weil auf der eigentlichen Gehbahn Bänke, Tische, Stühle etc. stehen.

Das stimmt schon. Als jemand, dem die Verlegung des Radweges mit dem Argument der Erhöhung der Radfahrsicherheit verkauft wird, und soweit ich das richtig in Erinnerung habe, auch aus dem so benannten Fördertopf bezahlt wird, sehe ich das aus Sicht der Lenkstange.
Erst gestern Abend wieder. Mir sprang zwar keine Autotüre entgegen, ich wurde auch nicht von einem Auto haarscharf überholt (tatsächlich war es gestern ein Rennradler, der quasi an meiner Schulter vorbeischliff – geschenkt), aber tatsächlich war es dann an der roten Ampel soweit, dass ich die Vorzüge der neuen Radweglage so richtig in Ruhe genießen konnte.

Ich hab vier Jahre in der Ecke gearbeitet und kenne die Karl-Heine-Straße seit 2012 auch als Fußgänger. Da konnte man immer “schlendern”, Eis beim Italiener essen, ins Schaufenster von “wo bleibt mein Fahrrad?” schauen, oder einfach nur das Rad mal schieben statt wie üblich nur durchzufahren.

Und der jetzige Raumgewinn wird solange für optische Freiluft sorgen, bis die Tische und Stühle den Fußwegbereich wieder bis auf einen Meter geschrumpft haben. Mal sehen, was dann die Ideen sind, um das “schlendern” wieder zu ermöglichen…

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