In den vergangenen zwei Jahren ist endlich das ins Rollen gekommen, was auf deutschen Straßen seit über zehn Jahren erwartet worden war: Endlich stieg die Zahl elektrischer Fahrzeuge deutlich an. Auch in Leipzig, wo mittlerweile 2.950 vollelektrische Fahrzeuge unterwegs sind und 9 637 Plug-in-Hybride. Doch jetzt stockt es bei der Leipziger Ladeinfrastruktur. Das war am 15. Juni Thema im Stadtrat.

Die Zahlen gelten übrigens für Dezember 2021. Die Grünen-Fraktion hatte die Sache mit der Ladeinfrastruktur wieder auf den Tisch gebracht, nachdem in einer Anfrage aus dem vergangenen Jahr deutlich geworden war, dass Leipzig seinen Ausbauzielen bei der Ladestruktur gewaltig hinterherhinkt.

Grüne: Reduzierung von Stellflächen ist unproblematisch

„Vor allem aber ist zahlreichen Menschen in von Mehrfamilienhäusern dominierten Quartieren der Umstieg auf vollelektrische Pkw quasi versperrt, weil die öffentliche Ladeinfrastruktur nicht oder nur extrem unzureichend gegeben ist“, hatten die Grünen in ihrem Antrag festgestellt.

„Die dazu notwendigen Ladestellplätze müssen selbstverständlich den bislang allen Pkw zugänglichen Stellplätzen entzogen werden. Vor dem Hintergrund der beabsichtigten Mobilitätswende, wonach ohnehin durch eine Attraktivierung des ÖPNV und des Carsharings immer mehr Menschen, gerade in dicht besiedelten Gegenden mit hohem Stellplatzdruck, nach und nach auf ein eigenes Fahrzeug verzichten, und der immer geringer werdenden Anzahl an Pkw mit Verbrennungsmotoren, sollte dies unproblematisch möglich sein. Im Gegenteil kann der Ausbau der Ladeinfrastruktur sowie der Entzug an bislang vorgefundenen Privilegien für Verbrennungsfahrzeuge den Umstieg in eine CO₂-arme und lokal emissionsfreie Mobilität beschleunigen.“

E-Ladestationen gehören eigentlich in jede Straße

Ein Thema, das die Stadt eigentlich seit 2020 ernst nehmen sollte. Aber – die SPD-Fraktion hat mehrfach darauf hingewiesen – auch bei Straßenneubauten werden solche Ladepunkte von den Planern noch immer vergessen. Es ist noch längst nicht in den Köpfen, wie Straßen eigentlich aussehen müssten, die die Mobilitätswende ernst nehmen. Und E-Fahrzeuge gehören nun einmal dazu. Eigentlich sollte das Ladeinfrastrukturkonzept von 2020 das eigentlich darstellen.

„Im Konzept von 2020 entspricht das Trendszenario einem Wachstum von rund 137.000 E-Fahrzeugen zum Jahresanfang 2020 auf rund 770.000 reine E-Pkw bis 2023 und rund 1,5 Mio. E-Pkw bis 2025. Die bundesweiten Steigerungsraten wurden auf Leipzig übertragen. Bis zum zweiten Quartal 2025 bedeutet dies eine Steigerung von (damals, d. Red.) aktuell 743 auf dann ca. 6.700 rein elektrisch betriebene Pkw sowie rund 3.400 Plugin-Hybrid-Pkw“, heißt es im Grünen-Antrag.

Grünen-Stadtrat Michael Schmidt spricht zum Grünen-Antrag „Elektromobilität auf die Überholspur bringen“. Foto: Livestream der Stadt Leipzig, Screenshot: LZ
Grünen-Stadtrat Michael Schmidt spricht zum Grünen-Antrag „Elektromobilität auf die Überholspur bringen“. Foto: Livestream der Stadt Leipzig, Screenshot: LZ

Und: „In der Realität sind jedoch bereits im Oktober 2021 deutschlandweit über 600.000 zugelassene Elektrofahrzeuge in Deutschland registriert gewesen. Für Leipzig sind uns noch keine aktuellen Zahlen bekannt. In der Antwort auf unsere Anfrage 4900 jedoch wurde ausgesagt, dass in Leipzig bereits zum 1.1.2021 1.358 Elektro-Pkw und 5.772 Hybrid-Pkw, davon 1.136 Plug-in-Hybrid zugelassen waren.

Somit sind 2.495 Fahrzeuge zu Beginn des Jahres 2021 auf Ladeinfrastruktur angewiesen gewesen, sofern sie nicht über eigene Lademöglichkeiten verfügen. Dies entspricht einem sehr hohen Anstieg zum Vorjahr um rund 80 %. Man kann davon ausgehen, dass sich diese Zahl bis heute weiter stark erhöht hat. Bis 2030 sollen nach den Plänen der neuen Bundesregierung mindestens 15 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen unterwegs ein – das wäre etwa ein Drittel des gesamten heutigen Pkw-Bestandes.“

Aber dazu reicht das gegenwärtige Ausbautempo bei Ladepunkten nicht. Weshalb die Grünen beantragten: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, die Voraussetzungen zum Umstieg auf vollelektrische individuelle Mobilität dergestalt zu gewährleisten, indem die Stadtwerke Leipzig sowie interessierte Partner, insbesondere aus Energie- und Immobilien- und Automobilwirtschaft, die Schaffung frei zugänglicher Ladeinfrastruktur in dicht besiedelten Quartieren mit Mehrfamilienhäusern realisieren.“

Ein Punkt, den auch die Stadtverwaltung so teilen konnte.

Bauschmerzen mit pauschalen 5 Prozent

Bauchschmerzen hatte sie – genauso wie Freibeuter und SPD-Fraktion – mit Punkt 2 des Antrags: „Hierzu werden zunächst bis spätestens 2025 5 % aller im öffentlichen Raum befindlichen (bewirtschafteten und unbewirtschafteten) Pkw-Stellplätze in Mehrfamilienhausquartieren als Ladestellplätze schrittweise mit mindestens Normalladesäulen (11/22kW) ausgestattet und möglichst einem einheitlichen Abrechnungssystem unterworfen.“

Man hört regelrecht, wie da ein paar Verantwortliche heftig ausgeatmet haben. Denn das hätte in praktisch jeder innerstädtischen Straße bedeutet, dass eine ganze Reihe von Stellplätzen nur für E-Fahrzeuge umgerüstet worden wären.

Eine Ahnung, welch ein Geschrei dann losgebrochen wäre, kann man in der kurzen Diskussion anhand des letztlich völlig sinnfreien Beitrags von AfD-Stadtrat Siegbert Droese bekommen, der den Grünen, die nun schon einige Dutzend Anträge zur E-Mobilität gestellt haben, hier meinte vorwerfen zu können, sie würden auf einmal für das Automobil sprechen.

Die Abstimmung später zeigte, dass es der AfD gar nicht darum geht. Sie hat nicht einmal Interesse an E-Mobilität überhaupt und hat – genauso wie die CDU-Fraktion – selbst gegen den zurückhaltenden Vorschlag der Verwaltung gestimmt.

Die hatte nämlich darauf aufmerksam gemacht, dass der Ausbau der Ladeinfrastruktur ganz und gar nicht so einfach ist, wie selbst noch 2020 gedacht: „Mit Stand vom 01.02.2022 sind in Leipzig bereits ca. 500 Ladepunkte an ca. 180 Standorten für E-Fahrzeuge vorhanden, ca. 150 mehr als im Vorjahr. Weitere Anträge liegen vor. Neben dem Engagement der Leipziger Stadtwerke ist hier vor allem die Entwicklung im halböffentlichen Bereich (z. B. Supermarktparkplatz) als wesentlicher Faktor zu nennen. Die Stadt Leipzig rechnet damit, dass sich Schnellladestationen an Tankstellen, hochfrequentierten Straßen und an Autobahnen durchsetzen. In Kombination mit leistungsfähigeren Fahrzeugen kann dies den Bedarf an Ladesäulen im dezentralen öffentlichen Stadtraum der Stadt beeinflussen.“

Mehr Ladepunkte – aber vor allem dort, wo Nachfrage ist

Es wird also mehr Ladepunkte geben. Aber die generelle Abmarkierung von 5 % aller Stellplätze funktioniere so nicht. Das war dann auch die Sicht von Heiko Bär aus der SPD-Fraktion, der erklärte, warum der Grünen-Antrag auch in den Ausschüssen umstritten war. Denn noch ist es so, dass weite Stadtgebiete keinen Bedarf an E-Ladestationen haben (oder gemeldet haben), während dieser in einigen Stadtquartieren (insbesondere innerstädtischen) schon deutlich erhöht ist. Der Kauf eines E-Autos ist nun einmal auch eine Preisfrage. Neue Ladestationen sollten also – so sah es ja die Stadt – vor allem da entstehen, wo die Bedarfe steigen.

Die Freibeuter-Fraktion stieg dann noch mit einem Thema ein, das vor drei Jahren mal auch von der Stadt gehypt worden ist: dem vermehrten Umbau von Straßenlaternen zu parallel nutzbaren Ladesäulen. Aber was in der ersten Begeisterung so sinnvoll schien – stehen doch tausende Straßenlaternen am Straßenrand – erweist sich in der Praxis als viel zu aufwändig. Denn der Strom, mit dem die Laternen betrieben werden, reicht nicht ansatzweise, um ein Auto schnell zu laden. Es müsste die ganze Nacht dort stehen, um einmal vollzutanken.

Was kaum einer macht.

Die Laternen müssten also genauso eine komplette Neuausstattung bekommen, wie die Ladesäulen selbst.

Trotzdem solle man das prüfen, wünschte sich in der Stadtratsdebatte Sascha Matzke. Beantragt hatte seine Fraktion: „Der Oberbürgermeister prüft, ob in Leipzig flächendeckend oder in einzelnen Gebieten die technischen und kapazitiven Möglichkeiten bestehen, Ladestationen für Elektrofahrzeuge an der Straßenbeleuchtung in Abstimmung mit dem VTA (Verkehrs- und Tiefbauamt, d. Red.) und den Stadtwerken Leipzig einzurichten.“

Stadt will Ausbau der Ladeinfrastruktur forcieren

Und auch wenn der Grünen-Antrag in den Ausschusssitzungen keine Mehrheiten fand, was Grünen-Stadtrat Michael Schmidt bedauerte, bestätigte auch der Beitrag von Heiko Bär, dass das Grundanliegen von der Mehrheit der Ratsversammlung geteilt wird: Leipzig braucht deutlich schneller mehr Ladepunkte für E-Fahrzeuge.

Aber – und das war wohl der wichtigste Einwurf – das könne man nicht pauschal beschließen, wenn man die Leipziger Stadtwerke, die hier hauptsächlich aktiv sind, nicht überfordern wolle.

Sodass es dann auch logisch war, dass die Mehrheit der Stadträt/-innen dem Verwaltungsstandpunkt zustimmte, der um den Freibeuter-Antrag ergänzt worden war.

Und der lautete: „Der weitere Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Fahrzeuge wird mit Marktteilnehmern, insbesondere den Stadtwerken Leipzig verstärkt: Dazu vereinfacht die Stadtverwaltung den Prozess, schärft und veröffentlicht verbindliche Kriterien für die Bewertung von potenziellen Ladeinfrastrukturstandorten und prüft die Digitalisierung des Antragsprozesses.

Das Ladeinfrastrukturkonzept wird bis 1. Quartal 2023 evaluiert.“

Den Bedarf vorab erkennen und handeln

Was ja im Grunde das Grünen-Anliegen spiegelt: endlich wieder eine Übersicht zu bekommen, wo Ladeinfrastruktur gebraucht wird und die dann auch zu bauen, bevor die erwarteten 10.000 E-Autos in Leipzig 2025 rollen. Oder gar mehr, da ja an den Zapfsäulen die Preise immer weiter steigen werden zum Verdruss all der Leute, die sich nur schweren Herzens von ihrem Verbrenner trennen können.

Der Verwaltungssstandpunkt bekam dann auch die deutliche Mehrheit mit 36:19 Stimmen.

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