LZ/Auszug aus Ausgabe 55Die Mieten in Leipzig steigen. Darüber wird endlich immer mehr diskutiert. Doch leider ist die Debatte noch stark von Halbwahrheiten und Missverständnissen geprägt. Dies gilt für mediale Darstellungen ebenso wie für manche Äußerungen von Politikern – wobei in diesem Fall hinter der einen oder anderen Vereinfachung durchaus eine Agenda stehen dürfte. Dass die betroffenen Normalverbraucher, welche in Leipzig mit ca. 87 % Mieter-Haushalten die große Mehrheit darstellen, oft auch nicht verstehen, was geschieht, ist unter diesen Umständen verständlich. Diese neue Reihe soll deshalb dabei helfen, Wohnungsmarkt und Wohnungspolitik besser zu verstehen – und auf gewisse Mythen nicht mehr reinfallen zu müssen.

So wird von der Immobilienlobby und ihren Vertretern in der Politik beispielsweise gerne behauptet, die Mietpreise in Leipzig seien ja noch „vergleichsweise“ tief. Man solle doch bloß nach München schauen! Das ist ein argumentativer Taschenspielertrick der billigsten Sorte: Absolute Zahlen miteinander zu vergleichen, sagt überhaupt nichts aus, weil das Einkommensniveau nicht berücksichtigt wird. In München gilt eine Kaltmiete von monatlich 10 Euro pro Quadratmeter als günstig, weil ein höherer Anteil der Haushalte sich eine solche tatsächlich leisten kann.

In New York ist man mit umgerechnet 20 Euro schon sehr froh, in vielen Städten der „Dritten Welt“ wären schon 2 Euro für die Mehrheit unbezahlbar – dort „behilft“ man sich mit dem Zusammenrücken auf engstem Raum oder dem Bau informeller Siedlungen.

Setzt man die angeblich niedrigen Leipziger Mieten zum hiesigen durchschnittlichen Haushaltseinkommen von gerade mal ca. 1.700 Euro ins Verhältnis, so ist die Wohnkostenbelastung – das ist der relevante Wert – ähnlich hoch wie in anderen deutschen Großstädten.

Weil die Frage teuer oder günstig also nur relativ beantwortet werden kann, ist auch das in diesem Zusammenhang gerne verwendete Adjektiv „bezahlbar“ tückisch, worauf Rainald Grebe schon vor Jahren in seinem Prenzlauer-Berg-Song lakonisch hingewiesen hat: „Die Mieten hier sind bezahlbar, denn ich kann sie ja zahlen.“ Man würde meinen, dass diese Logik dem Bereich der Satire vorbehalten bliebe, doch angesichts von Mieter-Demonstrationen in Leipzig, Berlin und anderswo genierten sich jüngst manche Kommentatoren aus der FDP-, CDU- und Springer-Sphäre tatsächlich nicht, den Protestierenden den Rat mitzugeben, sie müssten halt mehr verdienen.

„Sag das meinem Arbeitgeber“, denken sich dazu Rettungssanitäterinnen, Kindergärtner, Pfleger und andere, die für das städtische und gesellschaftliche Leben unentbehrliche, aber bescheiden bezahlte Tätigkeiten ausüben. Insofern drückt auch der Slogan „Mieten runter, Löhne rauf“ einen wichtigen Zusammenhang aus.

Aber wie kommen eigentlich Miethöhen zustande?

Gilt hier das angebliche „Gesetz“ von Angebot und Nachfrage, gemäß der kapitalismuskritischen Sicht simplerer Art, dass gierige Vermieter in jedem Fall einfach so viel verlangen, wie irgendwer bereit ist, zu zahlen, wodurch – so die marktgläubige Perspektive – bei hohen Mietpreisen ein Anreiz besteht, in Wohnungsbau zu investieren, sodass sich der Markt wieder „entspannt“ und die Preise sinken? Nein. Eine solche Darstellung übersieht die verschiedenen Eigenheiten, die Wohnraum zu einem besonderen, mit Keksen, T-Shirts oder Geschirrspülmaschinen kaum vergleichbaren Wirtschaftsgut machen.

Wohnraum ist immobil, das heißt, er lässt sich in einer Mangelsituation nicht mal eben herbeischaffen. Wohnraum ist auf Bauland angewiesen, und Boden lässt sich zwar unterschiedlich dicht bebauen, aber selbst nicht vermehren – Wohnraum ist folglich natürlicherweise immer (potentiell) knapp.

Wohnraum wird im Gegensatz zu Keksen durch Konsum auch nicht vernichtet (oder, wenn man die durch Instandhaltung vorzubeugende Abnutzung so verstehen will: nur sehr langsam). Das Wohnungsangebot ist deshalb stets zum überwiegenden Teil durch den Bestand geprägt, mit Neubau lässt sich somit nur sehr begrenzt und vergleichsweise langsam auf Wohnungsmangel reagieren.

Wer Wohnraum, egal ob profitgetriebene Briefkastenfirma oder gemeinwohlorientierte Genossenschaft, anbieten möchte, bewegt sich also keineswegs im luftleeren Raum eines idealen „freien Marktes“. Sondern ist gezwungen, all diese Umstände zu berücksichtigen. Der Mietpreis wird dabei maßgeblich von den Herstellungs- und Erwerbskosten bestimmt, die jeder Anbieter wieder einspielen muss, wenn er oder sie nicht früher oder später insolvent sein will. Diese Kosten kommen im Wesentlichen durch zwei große Brocken zustande: Den Grundstücks- bzw. Gebäudekauf und den Bau- bzw. Sanierungsaufwand.

Die sich so ergebende Summe X haben die (prospektiven) Wohnungsanbieter in aller Regel nicht mal so eben herumliegen; Wohnungsbau- oder -sanierungsvorhaben in der Größenordnung eines Mehrfamilienhauses werden meist zu ca. 80 % aus Fremdkapital, sprich Bankkrediten, finanziert.

Für diese fallen Kapitalkosten an (Zinsen und Tilgung). Zusammen mit Instandhaltungsrücklagen, Verwaltungskosten und Mietausfallreserven ergibt sich eine Summe Y, die das fertige Haus jährlich an Mieteinnahmen mindestens einspielen muss.

Die aktuelle Situation

Bei den momentan zu veranschlagenden Parametern, namentlich Zinssätzen, beträgt Y etwa 6 % von X. Damit hätte der Vermieter seinen Eigenkapitalanteil ähnlich hoch bzw. tief verzinst wie die Bankkredite, aber noch nicht wirklich Geld verdient. Das heißt: Wer beispielsweise ein unsaniertes Haus mit 1.000 Quadratmetern vermietbarer Fläche für 900.000 Euro kauft (und das wäre in Leipzig mittlerweile ein Schnäppchen) und weitere 700.000 Euro ausgibt, um es wieder bewohnbar zu machen (und das wäre eine eher niedrigschwellige Sanierung), der muss als reine „Kostenmiete“ monatlich mindestens 8 Euro kalt pro Quadratmeter verlangen.

Es sei denn, die öffentliche Hand überbrückt mit Fördermitteln die Lücke zu einer niedrigeren Miete.

Darin zeigt sich, wie insbesondere die rasant steigenden Grundstückspreise direkt die Miethöhen beeinflussen. Besonders perfide wirkt dieser Mechanismus beim Verkauf bewohnter Häuser, zumal sich die dabei verlangten Preise in der momentanen Marktlage nicht vom Ist-Mietertrag ableiten, sondern das „Mietsteigerungspotential“ bereits mit einkalkuliert wird. Das zeigt sich wieder am Verhältnis von X zu Y: Betrüge der Kaufpreis etwa das 15-fache des jährlichen reinen Mietertrages, so wäre ein Kauf inklusive Kaufnebenkosten ohne Sanierungskosten beim aktuellen Zinsniveau noch mehr oder weniger ohne Mieterhöhung refinanzierbar. Der Ertrag würde dann weiterhin ungefähr jene 6 % der Gesamtkosten der Käuferseite ausmachen.

Dieser „Vervielfältiger“ belief sich bei den tatsächlichen Verkäufen bewohnter Mietshäuser in Leipzig im Jahr 2017 aber durchschnittlich auf das 24-fache. So sind Mieterhöhungen vorprogrammiert.

Aus dem Rechenbeispiel lässt sich aber auch ableiten: Wer unter den gleichen Umständen nicht 8, sondern 13 Euro verlangt, der spielt nicht nur seine Kosten wieder ein, sondern zieht aus den Mietzahlungen einen ansehnlichen Profit. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen Anbietern wie Genossenschaften, kommunalen Unternehmen oder genügsamen Privateigentümern und den kleinen und großen Miethaien.

Wer diese Haie sind, wieso sie sich in den letzten Jahren vermehrt haben, warum sie sich gerne hinter Luxemburger Briefkästen verstecken und wie viele Cent von jedem Euro bei manchen von ihnen in die reine Profitabschöpfung fließen – dazu mehr in den folgenden Kolumnen dieser Reihe in der LZ. Weitere Fragen sind dann auch, wieso die Unterscheidung von Miet- und Eigentumswohnungen eine knifflige Sache ist, was es mit Instandhaltung und Modernisierung auf sich hat, wie die erwähnte Förderung funktioniert und wieso sie nicht ausreicht, um den ganzen Mietenwahnsinn sinnvoll zu bekämpfen.

Und natürlich, was die Politik sonst noch tun könnte und sollte, um jedem Menschen in Leipzig zukünftig bezahlbares Wohnen zu ermöglichen.

Zum Autor: Tobias Bernet befasst sich wissenschaftlich und aktivistisch mit Stadtentwicklung und Wohnungspolitik.

Teil 2 der Reihe Wohnungspolitik: Was nützt die Miete in Beständen?

Was nützt die Miete in Beständen?

Die LZ finden Sie neben den normalen Presseläden (u. a. am Hauptbahnhof Leipzig und Dresden) auch im Szenehandel in Leipzig. Die monatliche Zeitung kann man hier abonnieren und so mit 29,50 Euro im Jahr echten Lokaljournalismus unterstützen. Das geht natürlich noch besser: Mit einem Kombi-Abonnement für L-IZ.de (alle Artikel frei lesen) & LEIPZIGER ZEITUNG.

Leipziger Zeitung Nr. 55, seit Freitag, 25.05.2018 im Handel: Verweigerte Verantwortung, gefährliche Jahnallee, verkorkstes Bildungswesen und Leipzig im Weltkrieg

Verweigerte Verantwortung, gefährliche Jahnallee, verkorkstes Bildungswesen und Leipzig im Weltkrieg

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar