Wenn noch jemand genauer wissen wollte, wo in den letzten zwei Jahren in Leipzig tatsächlich neue Arbeitsplätze entstanden sind, der erfährt aus einer Auswertung des DGB nun genaueres. Und er erfährt auch, wer eigentlich Arbeitsplätze vernichtet. Der Freistaat Sachsen ist längst dabei. Stellen für Lehrer und Dozenten verschwinden. Dafür boomt die Leiharbeit.

Die Zahl der Leiharbeitsverhältnisse in der Stadt Leipzig hat sich zwischen 2009 und 2011 um 58,9 Prozent erhöht, stellt der DGB Nordsachsen fest, der schlichtweg die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit dafür ausgewertet hat. Während auf offener Bühne noch breitbrüstig von einem Abbau der Arbeitslosigkeit getönt wird, zeigt die nüchterne Statistik, dass der Leipziger Arbeitsmarkt mittlerweile zum Modellprojekt für die Verwandlung ordentlich bezahlter Beschäftigung in prekäre Lohndrückerei geworden ist.

Von 8.284 auf 13.166 wuchs die Zahl der Leiharbeitsplätze in den zwei Jahren – das sind 4.882 Stellen Zuwachs, stellt der DGB fest. Was sich in den Krisen-Jahren 2008/2009 als Instrument erwiesen hatte, die Unternehmen bei den Lohnkosten zu entlasten, hat sich mittlerweile als Standardmodell für Neueinstellungen etabliert. Besonders im verarbeitenden Gewerbe. Aber nicht nur dort. Die Zeitarbeitsfirmen haben sich mittlerweile einen Pool von Aspiranten aufgebaut, den sie auch bei Unternehmen der Gesundheits- und der Dienstleistungsbranche anbieten. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht sogar bei der L-IZ das Telefon klingelt und eine Zeitarbeitsfirma nachfragt, ob man Interesse an der Beschäftigung von Leiharbeitskräften hätte.

Geliehene Journalisten? – Närrischer geht’s gar nicht mehr.

Auf der anderen Seite werden Arbeitsuchende von der Jobagentur genötigt, die Offerten der Zeitarbeitsfirmen anzunehmen, die sich mittlerweile als Scharnier in die eigentlichen Unternehmen etabliert haben. Nur dass ein Zeitarbeiter deutlich schlechter entlohnt wird als ein Stammarbeiter.

Trotzdem tönt auch das Jobcenter Leipzig das alte Lied, das nun seit einigen Jahren nicht mehr stimmt: “Die Zeitarbeitsbranche bietet vor allem Berufsanfängern, Berufsrückkehrern und Menschen, die schon länger auf Arbeitsuche sind, gute Perspektiven auf eine neue Beschäftigung. Oft ist Zeitarbeit auch das Sprungbrett für eine Übernahme in die Entleihfirma.” So geschehen vor der jetzt wieder am 25. April stattfindenden Zeitarbeitsmesse im Neuen Rathaus.

Der Beschäftigungsanstieg in der Leiharbeit war damit mehr als zehnmal so hoch wie im gesamten verarbeitenden Gewerbe, stellt der DGB fest. Hier betrug der Stellenzuwachs lediglich 2,2 Prozent. 415 Arbeitsplätze, um genau zu sein. Da kann sich jeder selbst ausrechnen, wie lange es dauert, bis er aus der Entleihung in einen festen (und endlich ordentlich bezahlten) Job übernommen wird: 10 Jahre.
Der DGB: Ein Blick auf die Entwicklung auch in den anderen Wirtschaftszweigen zeigt deutlich, dass Leiharbeit in hohem Maße reguläre Arbeitsverhältnisse verdrängt.

In der Wirtschaft der Stadt insgesamt hat sich die Zahl der sozialversicherten Jobs in den letzten zwei Jahren um 10.177 (4,9 Prozent) auf 215.886 erhöht. Rund 48 Prozent dieser neu geschaffenen Arbeitsplätze entfallen allein auf das Verleihgewerbe. In keiner anderen Branche ist die Beschäftigung auch nur annähernd so stark gestiegen. In der öffentlichen Verwaltung sowie dem Erziehungsbereich lag die Beschäftigung Mitte 2011 sogar noch unter dem Niveau von 2009.

In Leipzig ist das Missverhältnis zwischen Leiharbeit und regulärer Beschäftigung besonders gravierend: Der Anteil der Leiharbeit an der sozialversicherungspflichtigen Gesamtbeschäftigung liegt hier mittlerweile bei 6,1 Prozent, während er beispielsweise in Dresden 4,3 Prozent und in Hannover 3,5 Prozent beträgt.

“Mit dem Boom der Leiharbeit frisst sich schlecht bezahlte und instabile Beschäftigung weiter in den Arbeitsmarkt. Etwa die Hälfte der Leiharbeitsverhältnisse wird nach weniger als drei Monaten wieder beendet, was zu einem sehr hohen Risiko der Arbeitslosigkeit im Verleihgewerbe führt. Angesichts dieser erschreckenden Zahlen wird erneut deutlich, dass an einer gesetzlichen Regelung zur Begrenzung der Leiharbeit kein Weg vorbeiführt”, so Bernd Günther, Vorsitzender der DGB-Region Leipzig-Nordsachsen. “Wir begrüßen es deshalb ausdrücklich, dass der Betriebsrat des Leipziger BMW-Werkes seine Zustimmung zur Verlängerung des Einsatzes von Leiharbeitern verweigert und damit eine juristische Befassung mit der Problematik in Gang gebracht hat.”

Im Schnitt verdienen Leiharbeitskräfte nur gut halb so viel wie die Beschäftigten insgesamt. Berücksichtigt man das unterschiedliche Qualifikationsniveau, so verdienen Leiharbeitskräfte mit bzw. ohne abgeschlossene Berufsausbildung im Schnitt 40 Prozent weniger im Monat als in anderen Branchen.

Mit der Ausweitung der Leiharbeit breitet sich so der Niedriglohnsektor aus, denn bundesweit arbeiten immerhin drei Viertel der Leiharbeitskräfte unter der Niedriglohnschwelle. In den anderen Branchen sind es im Schnitt nur ein knappes Viertel der Beschäftigten. Diese oftmals schlechte Bezahlung im Verleihgewerbe geht mit einem sehr hohen Verarmungsrisiko von Leiharbeitskräften einher. So waren bundesweit Mitte 2011 rund 2 Prozent aller Beschäftigten arm trotz Arbeit und auf Hartz IV angewiesen. Im Verleihgewerbe war das Verarmungsrisiko etwa viermal so hoch.

Hier sind bereits etwa 8 Prozent der beschäftigten Leiharbeitskräfte auf Hartz IV angewiesen. Bund und Stadt müssen diese nicht existenzsichernden Löhne im Verleihgewerbe besonders häufig durch ergänzende Hartz IV-Leistungen auf das gesellschaftliche Existenzminimum anheben.

Die eigentliche Boom-Branche in Leipzig ist das Gesundheits- und Sozialwesen. Hier entstanden in den letzten zwei Jahren 2.122 neue Arbeitsplätze.

Tatsächlich haben alle Branchen neue Arbeitsplätze geschaffen und die Vermutung liegt nahe, dass ohne den massiven Ausbau der Leiharbeit auch die Kaufkraft deutlich stärker gestiegen wäre und logischerweise auch die Steuereinnahmen der Stadt. Auch der Haushalt der Stadt Leipzig leidet darunter, wenn das Lohnniveau mit Instrumenten wie der Leiharbeit niedrig gehalten wird und viele Betroffene sogar noch auf Sozialleistungen angewiesen sind.

Dazu kommt der schleichende Personalabbau des Freistaates, der sich seit 2009 immer stärker bemerkbar macht. Und das damals noch völlig ohne den hilflosen Einstellungsstopp, der die Lage im Jahr 2012 noch verschärft.

Die Zahl der in der Öffentlichen Verwaltung Beschäftigten nahm von 2009 bis 2011 von 11.603 auf 11.276 ab – ein Minus von 327 Arbeitsplätzen.

Noch massiver ist der Prozess im Bereich Erziehung und Unterricht, wo sich die Zahl der Beschäftigten von 14.807 auf 14.293 verringerte – ein Minus von 514 Arbeitsplätzen. Hier vor allem bedingt durch den Übergang von immer mehr Lehrern in den Altersruhestand. Allein Leipzig verliert also in diesem Prozess jedes Jahr mehrere hundert Lehrkräfte. Unter dem Lehrermangel leiden die Schüler jetzt schon.

Aber vielleicht beginnt auch der Freistaat demnächst, Leiharbeitskräfte als Lehrer einzustellen. Verwundern würde es bei der aktuellen Sparmentalität der sächsischen Regierung nicht.

www.leipzig-nordsachsen.dgb.de

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