Seit den heftigen Protesten um "Stuttgart 21" wird auch über die nicht ganz abwegige Frage diskutiert: Wie viel Akzeptanz brauchen Großprojekte bei der Bevölkerung? Reichen die normalen amtlichen Genehmigungswege mit ihrer oft nur alibimäßigen Beteiligung von Öffentlichkeit? Oder braucht es in Zeiten immer knapperer Ressourcen nicht auch neue Wege, um für die Akzeptanz von Großprojekten zu werben?

Dazu hat die Leipziger Unternehmensberatung Hitschfeld schon vor einer Weile die Akzeptanzstudie “Akzeptanz von Projekten in Wirtschaft und Gesellschaft” gestartet. Die wurde jetzt mit einer weiteren monatlichen Befragung fortgesetzt.

Und das Ergebnis spricht zumindest dafür, dass die bisherigen politischen Genehmigungswege von Großprojekten für deutlich mehr Bürgerbeteiligung geöffnet werden müssten.

Weit mehr als die Hälfte aller Deutschen (57 Prozent) wäre bereit, sich für oder gegen privatwirtschaftliche oder öffentliche Vorhaben, wie den Bau von Einkaufszentren, Straßen oder Stromleitungen, zu engagieren. Das geht aus der September-Umfrage der Leipziger Unternehmensberatung Hitschfeld hervor. Die Befragung ist Teil der repräsentativen Längsschnittstudie “Akzeptanz von Projekten in Wirtschaft und Gesellschaft”. Die Erhebungen mit drei Kernfragen soll künftig im Monatsrhythmus stattfinden. Fester Bestandteil dabei ist die Frage nach der Bereitschaft für persönliches Engagement.

Zwei weitere Fragen werden thematisch variiert. Bereits im Frühjahr hatte die Unternehmensberatung eine umfassende Pilotstudie unter dem Titel “Akzeptanz von Projekten in Wirtschaft und Gesellschaft” vorgelegt.

“Die von uns erhobenen Werte zur Bereitschaft von Menschen sich zu engagieren, ist vergleichsweise hoch. Vor allem wenn man als Maßstab andere wichtige Formen der gesellschaftlichen Partizipation anlegt, zum Beispiel die Beteiligung an Wahlen”, konstatiert Geschäftsführer Uwe Hitschfeld.

Noch deutlicher fielen die Ergebnisse der beiden anderen Fragen der September-Umfrage aus: Demnach sind fast 90 Prozent aller Befragten davon überzeugt, dass Politik, Verwaltung und Unternehmen bei ihren Vorhaben nur so viele Informationen herausgeben, wie unbedingt nötig sind. Diesen, von den Projektverantwortlichen vorgelegten, Daten und Prognosen für die Genehmigungsverfahren schlägt große Skepsis entgegen: Knapp drei Viertel aller Befragten schenken den veröffentlichten Daten und Fakten wenig oder gar kein Vertrauen. Auffällig: Bei allen drei Fragen stieg das Misstrauen gegenüber den Projektverantwortlichen mit zunehmendem Alter.

Befragte aus dem Osten Deutschlands waren dabei etwas kritischer als die Probanden aus dem Westen. Und: Mehr Männer als Frauen sind bereit sich im Zuge eines Projekts zu engagieren.

Uwe Hitschfeld: “Die aktuellen Umfragewerte bestätigen, was wir bereits vor einigen Jahren prognostiziert haben: Der Erwerb und die Sicherung von Akzeptanz wird zunehmend zum entscheidenden Erfolgsfaktor für die Realisierung von Vorhaben. Ganz egal, ob es sich dabei um ein Großprojekt wie Stuttgart 21 handelt oder ,nur’ um den Bau eines Supermarktes.”

Und wer die letzten Jahre nicht in Tiefschlaf verfallen ist, weiß, dass das Thema bei Dutzenden Projekten auch hier immer wieder auftauchte. Manche der Akteure haben es schnellstmöglich wieder weggedrückt und die Planungen und Genehmigungen auch gegen kritische Stimmen aus der Bürgerschaft vorangetrieben, andere haben eine Art scheinbare Beteiligung der Betroffenen organisiert.

Der Grund ist simpel: Weder Stadt noch Investoren haben bislang das nötige Rüstzeug für echte Beteiligungsverfahren. Oft fehlt – man denke an die Entscheidungen zum “Freiheitsdenkmal” – sogar das Gespür dafür, wann echte Bürgerbeteiligung angebracht ist. Kleiner Lerneffekt in diesem Fall: Wenn es um die Wettbewerbsentwürfe geht, ist es längst zu spät. Akzeptanz baut man auf, indem man Bürger schon vor dem Planungsentschluss einbindet. Und zwar transparent.

Für die Unternehmensberatung ist das Ganze natürlich auch Werbung in eigener Sache. Sie hat für solche Prozesse das Instrument Public Consensus Engineering, kurz PCE, entwickelt. “PCE untersucht das Kommunikationsverhalten aller Akteure, identifiziert relevante Stakeholder, erforscht Meinungen und legt die Ergebnisse anschließend übereinander, um daraus eine zielgruppengenaue strategische Projektkommunikation abzuleiten. In der Praxis kommt PCE bereits bei Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern zum Einsatz”, teilt das Beratungsunternehmen mit.

Das Wort “Stakeholder” darf man dabei nicht mit dem mittlerweile sehr negativen “Shareholder” verwechseln. Damit hat es nichts zu tun. Wikipedia definiert es so: “Als Stakeholder (engl.) wird eine Person oder Gruppe bezeichnet, die ein berechtigtes Interesse am Verlauf oder Ergebnis eines Prozesses oder Projektes hat.” Was auch mit Zielgruppengenauigkeit zu tun hat.

Auch das in Leipzig exemplarisch durchexerziert, etwa am geplanten Supermarkt am Connewitzer Kreuz, von TLG und Rewe kurzzeitig an der Ecke Kochstraße/Scheffelstraße geplant. Da war es die LVZ, die forsch ihre Leser fragte, ob das Projekt in der Dimension gebraucht würde. Das Ergebnis: Ein lautes und dickes “Ja.” – Kleine Lehre aus der Geschichte: LVZ-Leser sind keine Stakeholder, in diesem Fall ganz gewiss nicht. Das sind – logischerweise – die Einwohner von Connewitz. Und die haben in mehreren ernsthaften Diskussionsrunden, zu denen sich auch TLG und Rewe bereit fanden, deutlich “Nein.” gesagt. Ergebnis: Wenn Rewe und TLG irgendwann bauen, dann am alten Platz mit deutlich weniger Flächenzuwacchs. Stadtteilverträglich, nennt man das.

Das Ergebnis solcher ernstgemeinten Beteiligungsverfahren ist also auch: Das Projekt gewinnt Akzeptanz bei den Betroffenen – und es wird zwangsweise nachhaltiger, passt sich dem konkreten Umfeld passgenauer an.

Bleibt noch die Frage: Wie belastbar ist die September-Umfrage von Hitschfeld? – “Grundgesamtheit ist die deutschsprachige Bevölkerung zwischen 14 und 64 Jahren im gesamten Bundesgebiet, die durch Aussteuerung zentraler soziodemographischer Merkmale repräsentativ abgebildet wird. Für die September-Umfrage 2012 wurden in den Kalenderwochen 41 und 42 insgesamt 1.010 Mitglieder eines online-Panels im Rahmen einer Mehrthemen-Befragung interviewt.”

Mehr Informationen zur Studie:

www.hitschfeld.de

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