Was kommt dabei heraus, wenn man einfach mal Träger des Preises für die Freiheit und die Zukunft der Medien fragt, was sie zu den großen Themen der Zeit zu sagen haben? Den Preis vergibt die Medienstiftung der Sparkasse Leipzig. 49 Preisträger wurden seit 2001 geehrt. Einer der ersten war Thomas Mayer, der jetzt dieses Essayband zusammengetragen hat.

Natürlich geht es nicht nur um Religion, auch wenn das mit der Gretchenfrage so angerissen wird und der erste Autor auch gleich aufs Thema anspringt. Das ist Wolfram Weimer, der 2007 den Preis dafür bekam, dass er nach einer Durchsuchung des LKA beim von ihm geleiteten Magazin “Cicero” bis vors Bundesverfassungsgericht zog, um die Unantastbarkeit von Medien zu verteidigen. Ein Thema, das eigentlich bis heute die Gesellschaft bewegt – zumindest die informierte Gesellschaft: Wie viel Schutz brauchen Journalisten gegen die Zugriffe des Staates? Wie weit reichen die Rechte von Staatsanwälten, Geheimdiensten und anderen mächtigen Instanzen, wenn irgendein Beamter “Geheimnisverrat” wittert und mit aller Macht dagegen vorgehen will, dass “Staatsgeheimnisse” an die Presse gelangen? Und welchen Schutz genießen Medien, wenn sie solche “Geheimnisse” veröffentlichen?

Übrigens ein Vorgang, wie ihn die Medienstiftung 2013 noch einmal mit dem englischen Journalisten Glen Greenwald würdigte, der die von Edward Snowden gesammelten NSA-Dokumente aufbereitete und die Ergebnisse im “Gurdian” veröffentlichte.

Nur nimmt Weimer in diesem Band leider nicht zum “Geheimnisverrat” Stellung, sondern zur Religion. Und das ist schade, denn damit hat er ein gutes Thema gründlich vergeigt. Nicht unbedingt, weil er zur Religion keine Distanz hätte, sondern weil er Behauptungen aufstellt, die er nicht mit Fakten unterlegen kann. Und zwar gleich reihenweise. Angefangen mit einem Satz wie diesem: “Die moderne Demokratie lebt von Voraussetzungen, die sie selber weder geschaffen hat noch gewährleisten kann.” Dabei meint er nicht die Gewaltenteilung oder die Spielregeln demokratischer Entscheidungsfindung, sondern die Grundwerte unserer Gesellschaft, die er direktemang im Christentum verankert wissen will. Gipfelnd in der steilen Behauptung: “Ein ums Christentum ‘befreites’ Europa ist gar kein Europa mehr.”

Das ist schon reineweg geschichtsvergessen und negiert schon im Ansatz zwei Fakten: Die Demokratie ist tatsächlich 500 Jahre älter als das Christentum, selbst das große Rom war schon Republik, bevor Christus auch nur geboren war. Und die Idee eines Europas als Definition einer gemeinsamen Kultur hatte auch am Beginn nichts mit dem Christentum zu tun, denn auch die stammt aus dem antiken Griechenland (genauso übrigens wie die frühen Definitionen von Afrika und Asien). Dass er gleich auch noch ein neues religiöses Zeitalter und eine Rückkehr der Religionen verkündet, zeugt von viel Glauben, aber wenig Analyse.

Die gibt es dann zum Glück in den anderen neun Essays reichlich. Auch zum Thema Religion. Denn natürlich kommen Journalisten, die sich heute mit den Konflikten im Nahen Osten beschäftigen, wie es Jörg Armbruster (als Korrespondent im Irak) oder Stefan Buchen (als Reporter u.a. in Syrien) getan haben, nicht um die Frage herum, welche Rolle eigentlich die Religion tatsächlich spielt in den Konflikten der Region. Und Buchen legt in seinem Essay eine kluge und faktenreiche Analyse dessen vor, was im Fruchtbaren Halbmond eigentlich seit 2003 geschieht, dem Jahr, als der damalige amerikanische Präsident George W. Bush glaubte, er müsse im Irak einfach mal das Regime auswechseln, Demokratie verordnen und damit einfach mal einen Bösen Staat von der Landkarte tilgen.

Das ist ja bekanntlich gründlich in die Hose gegangen, auch weil der Bush-Regierung augenscheinlich jede Expertise zu den eigentlichen Konfliktlinien zwischen Sunniten und Schiiten im arabischen Raum fehlte, ein Verständnis vom schon seit 1979 anhaltenden Kräftemessen zwischen den beiden arabischen Großmächten Iran und Saudi-Arabien erst recht. Tatsächlich, so stellt Buchen lakonisch fest, hat der Irak-Krieg genau jenen terroristischen Kräften erst Spielraum verschafft, die George W. Bush behauptete, bekämpfen zu wollen. Und auch den Bürgerkrieg in Syrien versteht man nur, wenn man ihn in dieses blutige Ringen um die Vormacht in der arabischen Welt einordnet.

Das Fazit dieses Beitrags ist eigentlich: Wie kann man in Deutschland eigentlich über all diese Konflikte, ihre Wurzeln, Marionettenspieler und die Not der Flüchtenden schreiben, wenn diese grundlegenden Informationen nicht mehr präsent sind, wenn die mediale Wahrnehmung dafür von unzusammenhängenden Szenen, Bildern, Dramen beherrscht wird und vom Gebell deutscher Konservativer, die eigentlich Tag für Tag nichts anderes fordern, als: “Haltet uns die Schrecken der Welt vom Leibe!”

Und weil sich das so prima ergänzt mit den Tiraden der rechten Populisten und Radikalen, entstehen solche Erscheinungen wie AfD und Pegida. Aber sie sind nicht über Nacht entstanden und auch nicht erst im Herbst 2014 (was augenscheinlich immer noch viele Kommentatoren glauben, die weder recherchieren, noch ein Gedächtnis haben, das über den gestrigen Tsag hinausreicht). Denn all das war schon 2012 Thema – wenigstens in der “Lausitzer Rundschau”, die damals ins Fadenkreuz der Neonazis geriet, die seinerzeit jenes Wort an das Redaktionsbüro schmierten, das seit ein paar Monaten bei Pegida und Legida mitgeschleppt wird: “Lügenpresse”.

Das ist echtes, originales Nazi-Vokabular aus den 1920er Jahren. Und Simone Wendler, Chefreporterin der Zeitung,  erklärt kurz, woher das kommt und warum die Leute, die das Wort bei sächsischen Demonstrationen skandieren, wieder das Gefühl haben, die von ihnen konsumierten Medien wären ein Hort der Wahrheit. Das hat schon seit Langem mit der Entstehung nicht nur von Parallelgesellschaften in Deutschland zu tun (und damit sind nicht die Zuwanderer gemeint, sondern die in ihren Nischen abgetauchten Bürger, die sich ihre Bestätigung nur noch in den eigenen Netzwerken holen und am großen demokratischen Diskurs schon lange nicht mehr teilnehmen – was sie entsprechend anfällig macht für fremdenfeindliche und chauvinistische Argumente), sondern auch mit einer Medienwelt, in der Journalisten auf einmal im direkten “Wettbewerb mit Schreihälsen und Voyeuren” um die Aufmerksamkeit der Nutzer stehen. Ein Thema, über das Roland Jahn in seinem Beitrag schreibt.

Genauso wie der Belgier Ides Debruyne stellt er die Gefährdung der “Vierten Macht” durch das Wegbrechen der wirtschaftlichen Grundlage für professionellen Journalismus in den Mittelpunkt seines Beitrags. Seine Gretchenfrage heißt übrigens “Nun sag, wie hast du’s mit der Wahrheit”. Und er postuliert sie nicht einfach (wie es die zumeist anonymen Betreiber all der von Hass und Häme dominierten Webportale tun), sondern fragt genau nach dem so notwendigen Stück Arbeit, das Journalisten leisten müssen, um dem, was wirklich passiert, so nah wie möglich zu kommen in ihrer Darstellung. Das kann Irrtümer einschließen, Umwege, Unschärfen. Doch im Gegensatz zu all den Strippenziehern, die in Foren, Blogs und diversen Social-Media-Accounts über die Wahrheit schwadronieren und behaupten, sie zu kennen, wissen Journalisten, wieviel Arbeit es tatsächlich bedeutet, Zusammenhänge aufzuklären, Fakten abzuklären, den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen.

Und mittlerweile wissen sie auch, dass das genau die Zeit kostet, die die Schreihälse und Besserwisser in den “social media” schon längst wieder genutzt haben, die Welt mit ihrem Geschrei zu erfüllen, im Grunde im Einklang mit News-Portalen, in denen eine Art Häppchen-Journalismus produziert wird, der in einem wahnsinnigen Tempo immer neue “News” in die Welt schleudert, die niemand mehr geprüft und durch Quellenabgleiche überprüft hat. Vertrauen und Orientierung schaffen solche Medien dann freilich nicht mehr.

Aber wie nun weiter? – Eine Frage, die in aller Stille über dem ganzen Essayband schwebt.

Mehr dazu gleich an dieser Stelle.

Thomas Mayer Nun sag, wie hast du’s mit …, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2015, 14,80 Euro.

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