2015 war ein seltsames Jahr in Sachsen. In Dresden marschierte Pegida, in Leipzig ein Ableger namens Legida. Und wer genau hinschaute, sah bekannte sächsische Neonazis Seit an Seit mit den ach so besorgten Bürgern spazieren. Am Rand dieser Demos kam es auch zu rechtsradikalen Übergriffen. Einen davon schrieb Sachsens Verfassungsschutz kurzerhand der Gegenseite zu – und korrigiert sich jetzt.

In der Nacht vom 19. zum 20. Oktober 2015 wurden aus Dresden zurückkehrende Demonstrations­teilnehmer*innen bei NoPEGIDA im Hauptbahnhof Leipzig von LEGIDA-Anhänger*innen attackiert. Auf einem danach verbreiteten Video ist zu sehen, wie ein aggressiver Mann die Zurückkehrenden mit einem Messer bedroht. Weitere Personen sind mit Zaunslatten oder ähnlichen Gegenständen bewaffnet und setzen diese auch ein.

Trotz dieser offensichtlichen Beweise und einer Anzeige wurde am folgenden Tag die Meldung verbreitet, dass zurückkehrende PEGIDA-Anhänger*innen angegriffen worden seien. So wurde es auch im Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen für das Jahr 2015 aufgegriffen, um eine vorgebliche Gewaltbereitschaft im Protest gegen Legida herauszustellen.

Ein ziemlich augenfälliger Punkt, an dem einmal sehr konkret sichtbar wurde, über wie viele Hintergrundinformationen das Landesamt für Verfassungsschutz tatsächlich verfügt. Vieles im Verfassungsschutzbericht ist einfach aus anderen Quellen zusammengetragen, nicht geprüft und dann einfach zusammengewürfelt nach dem völlig sinnfreien Links-/Rechts-Schema.

In diesem Fall ging es eindeutig um den gewalttätigen Angriff eines bekannten Rechtsradikalen.

Am 10. April 2017 fand im Amtsgericht Leipzig die Verhandlung gegen die Person statt, die das Messer bei sich führte und andere Menschen bedrohte. Es handelt sich dabei um Kevin D., der bereits seit den 1990er Jahren als Neonazi in Erscheinung trat und seitdem 15 Vorstrafen gesammelt hat. Das Gericht sah die Vorwürfe als erwiesen an und hat den Angeklagten in der ersten Instanz zu acht Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt.

„Damit ist klar, dass sich das Geschehen am 19./20. Oktober 2015 anders abgespielt hat als von den offiziellen Stellen vermeldet“, betont das Netzwerk „Leipzig nimmt Platz“, das sich von Anfang an gegen die rechtslastigen Demonstrationen im Leipzig engagierte.

Nach der Gerichtsentscheidung wandten sich nun Vertreter von „Leipzig nimmt Platz“ an den Präsidenten des Sächsischen Verfassungsschutzes Gordian Meyer-Plath, um eine Richtigstellung der eindeutig falschen Passage zu erreichen. Nun kam die Antwort, teilt das Netzwerk mit. Der Verfassungsschutz räumte Fehler ein. Im Bericht wurde unter dem Kapitel „Subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene“ auf Seite 153 folgender Satz ergänzt: „So wurden z. B. am 20. Oktober 2015 rückkehrende PEGIDA-Gegner am Leipziger Bahnhof tätlich angegriffen.“

„Wir begrüßen diesen ersten Schritt zu einer hoffentlich sich noch entwickelnden Fehlerkultur des Landesamtes für Verfassungsschutz Sachsen. Allerdings sehen wir nach wie vor die Existenz einer solchen, vom Parlament nur schwer kontrollierbaren, Behörde kritisch. Wie das Kapitel NSU zeigt, hat der VS auch Anteil am Erstarken von rechtsterroristischen Gruppen“, so Irena Rudolph-Kokot.

Die Lageberichte des Amtes dienen den Ordnungsbehörden regelmäßig als Grundlage von Gefahrenprognosen für angemeldete Demonstrationen. Und oft genug stellt sich heraus, dass das Amt Vieles gar nicht auf dem Schirm hatte.

„Aus unserer Sicht erfüllt das Landesamt insbesondere mit diesen Berichten nicht die Aufgabe, die Verfassung und damit die Grundrechte zu schützen, sondern trägt massiv dazu bei, diese einzuschränken. Eine Diskussion, wie die Demokratie geschützt werden kann, auch vor diesem Verfassungsschutz, ist daher unumgänglich“, findet Jürgen Kasek.

Ob das Amt freilich dazu in der Lage ist, darf bezweifelt werden. Diese Diskussion müsste politisch geführt werden. Und sie müsste mit einem Verzicht auf die realitätsfremde Extremismen-Theorie einhergehen, mit der auch die Verfassungsschutzberichte unterlegt sind.

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