Auch am Montag kreiste der Polizei-Helikopter wieder stundenlang über Leipzig. Was aus Erfahrung der letzten Tage „linke Versammlung“ bedeutet: Rund 1.500 Menschen haben am Montagabend unter dem Motto „Grundrechte gelten auch in Leipzig“ gegen die Einschränkung der Versammlungsfreiheit und gegen staatliche Repressionen demonstriert. Und dabei ihrer Wut auf die Stadt Leipzig und die Polizei Sachsen Ausdruck verliehen.

Das linke Leipziger Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ (LnP) hatte aufgerufen und es kamen mehr als gedacht. Einer der Anlässe für den heutigen Protestzug war das Verbot der Stadt Leipzig einer angemeldeten Demonstration der Initiative am Sonntag.

Der Aufzug vom 5. Juni 2023 nun stand im Zeichen des turbulenten politischen Wochenendes in Leipzig mit Demo-Verboten, polizeilichem Kontrollbereich, Ausschreitungen in Connewitz und stundenlangem Polizeikessel. Die vorläufige Bilanz: zehn Personen in U-Haft, heftige Kritik von Grünen, Linken und SPD am Polizeieinsatz, eine gespaltene Leipziger SPD und eine für kommende Woche anberaumte Sondersitzung des Innenausschusses im sächsischen Landtag.

Unter den Demonstrierenden war die „Fab Four“ des Leipziger Linksaktivismus: die Landtagsabgeordneten Marco Böhme und Juliane Nagel (Linkspartei), Stadtrat Jürgen Kasek (Bündnis 90/Die Grünen) und die Leipziger SPD-Chefin Irena Rudolph-Kokot. Kasek und Rudolph-Kokot sind federführende Mitglieder bei „Leipzig nimmt Platz“.

Deutliche Kritik am Polizeieinsatz an „Tag X“

Demo-Anmelderin und Versammlungsleiterin Irena Rudolph-Kokot betonte zu Beginn des Aufzugs im LZ-Interview, dass die Kundgebung ein Zeichen für Grundrechte setzen wolle, „die in den letzten Tagen massiv beschnitten wurden“. Gemeint sei nicht nur das Recht auf Versammlungsfreiheit, sondern auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Freizügigkeit.

Rudolph-Kokot nahm dabei Bezug auf die Situation am Samstag im Leipziger Süden. Von Samstagabend bis in die frühen Morgenstunden des Sonntags hatte die Polizei hunderte Menschen am Alexis-Schumann-Platz in einem Kessel festgehalten, darunter zahlreiche Minderjährige.

„Alles, was in dem Kessel passiert ist, hat nichts mehr mit Menschenwürde zu tun, wenn Menschen elf Stunden und teilweise länger im Kessel gehalten werden, ihnen kein Essen angeboten wird“, kritisierte Rudolph-Kokot. Nur durch solidarisches Agieren von Sanitäter*innen hätten die Personen im Kessel Essen, Trinken und Wärmedecken bekommen, so Rudolph-Kokot weiter.

Die SPD-Politikerin kritisierte außerdem die „Abriegelung des gesamten Stadtteils Connewitz“ am Samstag.

Kurz nach 19 Uhr setzte sich der Demonstrationszug am Alexis-Schumann-Platz – dort, wo Samstagnacht die umstrittene Einkesselung der Polizei stattgefunden hatte – mit dem Ziel Innenstadt in Bewegung. Eine dichte Marschreihe von Polizeibeamt*innen begleitete den Aufzug. „Versammlungsrecht nicht mit Stiefeln treten“, „Exekutive zerschlagen“ und „Konsequenzen für Pedo-Bullen“ forderten die Demonstrierenden auf Plakaten.

Letztere Forderung bezieht sich offenbar auf Berichte von Demonstrierenden darüber, dass die Polizei am 3. Juni eingekesselte Teilnehmer*innen, darunter Minderjährige, im Intimbereich abgesucht habe. Die Polizei hat sich zu diesen Vorwürfen bisher nicht geäußert.

Demonstration verläuft friedlich

Die Demonstration blieb nach aktuellem Kenntnisstand friedlich. Kurz nach dem Start des Aufzuges stoppte die Polizei diesen mindestens zweimal, einmal wegen Vermummungen von Teilnehmer*innen und einmal aufgrund eines Böllerwurfs. Gegen 21:40 wurde die Demonstration beendet.

Die Initiator*innen gaben sich im Nachgang zufrieden mit der Kundgebung. „Starkes Zeichen für antifaschistische Politik und Versammlungsfreiheit heut Abend in Leipzig“, twitterte Juliane Nagel. Und ihr Fraktionskollege Marco Böhme resümierte: „Es ist ein Skandal, was der Staatsapparat in den letzten Tagen hier abgeliefert hat. Dieses Vorgehen lassen wir nicht zur Normalität werden!“

Eigentlich wollte „Leipzig nimmt Platz“ bereits am Sonntagabend demonstrieren. Gemeinsam mit den Initiativen „CopWatch“, „Eltern gegen Polizeigewalt“ und „Omas gegen Rechts“ hatte das Aktionsnetzwerk dazu aufgerufen, im Connewitzer Herderpark „gegen Polizeigewalt und behördliche Willkür“ zu demonstrieren.

Doch wenige Stunden vor dem geplanten Beginn der Demo untersagte die städtische Versammlungsbehörde in Absprache mit der Polizei auch diese Versammlung. Die Behörden beriefen sich auf die am Wochenende gültige Allgemeinverfügung der Stadt, die alle Demonstrationen mit Bezug zum sogenannten Antifa-Ost-Verfahren untersagte, die nicht bis Mittwoch (31. Mai) angemeldet wurden.

„Leipzig nimmt Platz“ allerdings hatte seine Versammlung fristgerecht bis zum Mittwoch angemeldet. Die Reaktion der Initiative fiel dementsprechend wütend aus: „In Leipzig bleiben die Grundrechte weiterhin ausgesetzt“, hieß es am Sonntag vonseiten „Leipzig nimmt Platz“. Nach Angaben des Bündnisses hatte es im Vorfeld sogar ein Kooperationsgespräch mit den Behörden gegeben, in dem die Versammlung zugesagt worden sein soll.

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Es gibt 14 Kommentare

Nun sind wir aber in Sachsen, in dem die Regierung und der Apparat tendenziell rechts eingestellt sind. Ich mein CDU? Da ist alles klar. Sekundiert von einer unfähigen SPD.
Kaum zu vergleichen mit Berlin.

Lieber Ralf. Was mir überhaupt nicht gefällt ist die plakative Rechts /Links- Argumentation . Als wäre eine Demo für Versammlungsfreiheit und Bürgerrechte ein ausschließlich linkes Privileg. Die Demonstrationen für körperliche Selbstbestimmung und Freiheit gegen den unbegründeten Impfzwang wurden zu Coronazeiten extrem stark reglemetiert, da gab es auch massive Übergriffe der Polizei besonders in Berlin auch gegen Leute, die sich historisch links oder grün verorten. wurde und wird eben als rechts diffamiert und als unzulässig….

> “Wenn in Probstheida jemand brutal zusammengeschlagen wird gibt es in der LVZ eine Randnotiz. Aber wehe es brennt eine Mülltonne in Connewitz! Frontpage! ”
Da ist wirklich was dran. Das ist mehr als unausgewogen und kritikwürdig.
Ich bin in den 90ern auch mit Glatzen in unangenehmen Kontakt gekommen; diese “Baseballschlägerjahre” gab es auch in unserer Kleinstadt früher. Es herrschte ein Klima der Angst ihretwegen. Die hatten eigentlich das Gewaltmonopol.
Dieses Klima bekam ich allerdings auch hier in Leipzig zu spüren. Ich stand an vorm Werk 2 und hatte mir beim Vorglühen vorher einen Schal ausgeliehen, weil ich gemerkt hatte, daß ich zu dünn angezogen war.
Das Problem, von dem ich als nicht-Fan überhaupt nichts ahnte: es war ein Lok Leipzig Schal. Es dauerte keine zehn Minuten, da wurde meine Begleitung und ich umstellt von drei oder vier Schwarz gekleideten Männern. In einer Distanz, die das Wort nicht verdient. “du gibst mir jetzt deinen Schal oder wir kloppen dich von der Straße.” Die Nachfrage, was das Problem mit dem Schal ist, wurde beantwortet indem der Typ nach dem Schal griff, mir “du gibst mir den jetzt scheiß Fascho!” sagte und ich einfach klein bei gab, um keinen Ärger wegen einem Schal zu bekommen.
Das war die gleiche “wie halten über Revier sauber” Denke wie bei den Neonazis. Und vielleicht noch Trophäen jagen.
Und da ist überhaupt niemand aus der Schlange eingeschritten. Ihr “Neuköllner” Ausspruch, übrigens sehr lustig, würde hier auch gut passen. Das Gewaltpotential ist definitiv auch links da, die rohe Dummheit ebenfalls, und die Bedrohung habe ich im Gegensatz zu den 90ern, wo ich eigentlich nur ungewollter Zuschauer war, ganz persönlich erfahren. Da hab ich keinen Bedarf nach und hoffe, dass dir Polizei und die Ermittler stark bleiben.

Hi Sebastian!
Klar hängt das zusammen. Und ehrlich gesagt finde ich die ganze Chose ganz schön kompliziert, hier kommt vieles zusammen. Da kann ich sogar die Verwirrung von @gerd stefan nachvollziehen.

Nach meinem Kenntnisstand war die Demo am Samstag ordnungsgemäß angemeldet, loslaufen durften wir dann doch nicht, dann kam der Kessel. Auch für Sonntag war meines Wissens eine Demonstration von Leipzig nimmt Platz fristgerecht angemeldet, wurde dann aber verboten. Deshalb gab es am Montag noch eine Demo.

Das war wohl aber nicht Ihre Frage. Ich beschreibe jetzt einfach mal, was mich so umtreibt:

Ich finde Gewalt bescheuert, früher habe ich mich als Pazifisten betrachtet. Zivi und so. Bis ich von „Glatzen“ mehrfach überfallen wurde. Wenn überhaupt, dann bin ich eine klassische „Zecke“- ich stehe auf Jazz. Neonazis haben mein Fahrrad zerdeppert, eine Geburtstagsfeier in ein psychisches Trauma verwandelt, mein Keyboard geschrottet, meine Freunde geschlagen. Schadensersatz gab es nie, polizeiliche Ermittlungen trotz Anzeige nur selten. Ich kann mich wehren und wurde bis auf blaue Augen nie groß körperlich verletzt. Aber um es mal wieder auf neuköllnisch auszudrücken: Diese Hurensöhne haben meine Ehre gefickt!

Ich habe einmal mitbekommen, wie sich Leute zum „Nazis klatschen“ verabredet haben. Grauenhaft.

Ich bin in meinem Leben so manchem guten Bullen begegnet, denen vertraue ich. Im Zweifel halten die nicht nur ihren Arsch, sondern auch den Kopf hin.

Lina E. und Kollegen haben eine Grenze überschritten, einen point of no return. Ich möchte in keiner Gesellschaft leben, in der das normal wird. „ACAB“ ist für Vollidioten.

Ich habe aber auch keinen Bock mehr auf sächsische Polizisten, die zwar keinen Satz gerade aus sprechen können, aber plötzlich hellwach sind, wenn sie kapieren, dass man nicht nur Nachts mit dem Fahrrad in Connewitz unterwegs ist, sondern auch noch einen Kapuzenpulli anhat. Auweia!

Rechte Straftaten überwiegen bei weitem in der offiziellen Statistik. Die Mordstatistik ist brutal. Und Sachsen auf dem rechten Auge blind. Wenn in Probstheida jemand brutal zusammengeschlagen wird gibt es in der LVZ eine Randnotiz. Aber wehe es brennt eine Mülltonne in Connewitz! Frontpage!

Leipzig nimmt Platz meldet seit Jahren Demonstrationen ordnungsgemäß an und wird von so manchem Polizisten geschätzt- da kriegen sie nämlich eher selten auf die Fresse.

Eine linke Demonstration für Versammlungsfreiheit und Bürgerrechte zu verbieten, nachdem zahllose „Montagsspaziergänge“ von Corona-Schwurblern, die in Wirklichkeit nicht angemeldete Demonstrationen waren, stillschweigend geduldet wurden,
beschämt unsere Demokratie.

Kein Fußbreit den Faschisten!

Hallo Ralf,
Stellt für Sie (mindestens) die Überschrift des Artikels wirklich gar keinen Zusammenhang her?

@gerd stefan:
Lesen Sie den Artikel doch einfach nochmal ganz in Ruhe. Sie haben eindeutig etwas falsch verstanden.

Bitte dann im Artikel vermerken, dass die Demo gegen das Verbot der Versammlungsfreiheit war und nichts direkt mit Lina E. Zu tun hatte und vor dem 31.5. angemeldet war. Dann wäre alles i.o. die Steinewerfer aus der friedlichen Demo kamen also aus der Mitte der Gesellschaft und nicht von der Antifa.

@gerd stefan:
Die Demonstration von „Leipzig nimmt Platz“ am Samstag war ordnungsgemäß angemeldet und erlaubt. Es ging um die Versammlungsfreiheit und die massiven Grundrechtseinschränkungen- nicht den bekloppten „Tag X“. Die Polizei zeigte allerdings zu keinem Zeitpunkt die Bereitschaft, sich an die vorher mit den Organisatoren ausgemachten Vereinbarungen zu halten. Bis zur Einkesselung durch die Polizei verlief alles friedlich, danach kam es zu Ausbruchsversuchen. Das dabei auch Steine flogen finde ich Scheisse, jetzt aber die ganze Demonstration zu kriminalisieren ist grotesk. Die krassen Antifas sind eh nie bei Leipzig nimmt Platz, das ist denen viel zu bürgerlich. Einer der Gründe warum Leute wie ich
sich dort aufgehoben fühlen: wir zeigen die Zivilcourage, über die so gerne palavert wird. Gegen Nazis und Corona-Schwurbler. Siamo tutti antifascisti!

Wenn das so ist, dann sollte dass um Missverständnisse mit der Legaliät der Demo zu vermeiden, auch im Artikel so aufgeführt werden.

@gerd stefan: die Demo war beim Ordnungsamt angezeigt, zudem vor der genannten Frist, also selbst wenn man behaupten würde, dass sie der Verordnung inhaltlich unterlag, war es fristgerecht angezeigt und vom Ordnungsamt wie jede Demo, die nicht explizit verboten wird, mit entsprechendem Auflagenscheid beschieden. Sie stellen die Dinge falsch dar.

Die Stadt Leipzig hat am 30.5.23 verügt, dass öffentliche Versammlungen , die sich auf den Lina-E-Prozess beziehen am 3. Und 4. 6. Und die nicht bis 31. Mai 2023 24 Uhr angezeigt wurden, untersagt sind. Jetzt soll mal keiner Kommen, dass die Kesseldemo nicht mit dem Prozess zu tun hatte.

Mit 16 Jahren ist man schon sehr selbstständig, da lässt man seine „schutzbefohlenen Kinder“ einfach vor die Tür und siehe da, die kommen auf ganz eigene Gedanken, ohne sich eine Erlaubnis abzuholen. Isses wahr!?
Solche langen Einkesselungen klingen immer nach Schikane, oder stimmt das Vorurteil von den lahmen Beamten doch? 😉

@gerd stefan: Von welchem Verbot redest du? Die Demo am Samstag war nicht verboten.

Wenn die Demonstration verboten war, aus welchem nachvollziehbaren oder nicht nachvollziehbaren Grund auch immer, so ist die Teilnahme an der Demonstration erstmal illegal. Die Eltern, die ihre schutzbefohlenen Kinder trotzdem dort hinließen sind primär für die Unannehmlichkeiten, die sich dann aus der polizeilichen Maßnahme der Einkesselung ergeben haben, verantwortlich.

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