In der Leipziger SPD gibt es stark unterschiedliche Ansichten darüber, wie die Ausschreitungen rund um „Tag X“ politisch zu bewerten sind. Während die Ratsfraktion und Oberbürgermeister Jung der Polizei den Rücken stärken, üben die Co-Vorsitzende des Stadtverbandes und die Jusos harte Kritik – letztere auch an Fraktion und OBM.

Man distanziere sich von den Äußerungen der SPD-Fraktion im Leipziger Stadtrat und des Oberbürgermeisters Burkhard Jung (SPD), heißt es in einer am späten Sonntagabend verschickten Pressemitteilung der Jusos.

Jung kritisiert Kasek

Zuvor hatte Jung erklärt, es sei „etwas naiv, zu glauben, man könne an einem solchen Tag eine Demonstration anmelden und davon ausgehen, dass sie friedfertig bleibt“. Gemeint war damit die Versammlung des Vereins „Say It Loud“ am Samstagnachmittag, die erst als Aufzug stattfinden sollte, dann aber nur als ortsfeste Kundgebung zugelassen wurde. Teilnehmer*innen suchten daraufhin die Konfrontation mit der Polizei.

Leipzigs Juso-Vorsitzender Mats Rudolph entgegnete Jung: „Am Samstag wollten Menschen auf einer angemeldeten und erlaubten Demonstration für die Versammlungsfreiheit demonstrieren. Diesen Wunsch als naiv zu bezeichnen, halten wir für abgehoben und polemisch.“

Auch der ehemalige Leipziger Juso-Vorsitzende Marco Rietzschel kritisierte den OBM. Er wies auf Twitter darauf hin, dass die Versammlungsbehörde der Stadt die Demo nicht verboten hatte. „Also mal bitte die eigene Rolle und Verantwortung checken“, so Rietzschel.

Der von Jung angesprochene Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek äußerte sich ebenfalls: „Offiziell gelte ich jetzt als naiv, weil ich wirklich darauf vertraut habe, dass man seine Grundrechte in Anspruch nehmen kann. Klar, in einem autoritären Staat, der aus Angst vor Protesten Grundrechte einfach mal temporär verbietet, ist das natürlich absurd.“

Ratsfraktion dankt der Polizei

Aus der von den Jusos kritisierten Ratsfraktion hatten sich am Sonntag der Vorsitzende Christopher Zenker und dessen Stellvertreterin Anja Feichtinger zu Wort gemeldet.

Zenker dankte „allen, die im Vorfeld deeskalativ gewirkt haben und sich nicht an einer aufrüstenden Rhetorik beteiligt haben“. Gewalt gegen Menschen und Sachbeschädigungen seien inakzeptabel. Feichtinger ergänzte: „Wir danken allen Einsatzkräften der Polizei, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der unteren Polizeibehörde, des Ordnungsamtes, der Branddirektion, der Leipziger Verkehrsbetriebe und der Stadtreinigung sowie allen weiteren Mitwirkenden für ihren Einsatz.“

Dazu Phelan Kokot, stellvertretender Vorsitzender der Jusos: „Dem Ordnungsamt und der Polizei zu danken, ohne ein kritisches Wort zur Willkür und Härte zu verlieren, ist auf dem Niveau der Konservativen.“

Er kritisierte vor allem den Polizeikessel, in dem mehrere hundert Personen teils bis zum nächsten Morgen ausharren mussten. Laut Kokot befanden sich darunter viele Minderjährige, „denen der Kontakt zu ihren Erziehungsberechtigten verwehrt wurde“. Auch die Versorgung mit Nahrung und Decken habe nur eingeschränkt funktioniert. Man schließe sich stattdessen der Kritik des SPD-Landtagsabgeordneten Albrecht Pallas an.

Landtagsabgeordneter Pallas kritisiert Provokationen der Polizei

Dieser bezeichnete die Gewalt gegen Polizist*innen zwar als inakzeptabel, sah jedoch auch eine „offensichtlich provozierende Herangehensweise“ der Polizeiführung, zum Beispiel „mit dem Aufgebot aller Wasserwerfer, unnötiger Härte beim Abdrängen von umstehenden Menschen oder der elfstündigen Einkesselung von Menschen“. Pallas war nach eigenen Angaben als parlamentarischer Beobachter vor Ort.

Irena Rudolph-Kokot, Co-Vorsitzende der Leipziger SPD, ärgerte sich vor allem über den Polizeieinsatz in Connewitz: „Nach Auseinandersetzung von kleinen Gruppen mit der Polizei wurde ein gesamter Stadtteil mittels Wasserwerfer, Räumpanzer, Polizeiwagen und Polizeibeamt*innen quasi eingekesselt, sodass niemand rauskam. Das traf vor allem Unbeteiligte und war mindestens unverhältnismäßig.“

Der Konflikt um den Umgang mit linken beziehungsweise linksradikalen Protesten schwelt in der Leipziger SPD schon länger. So erklärte beispielsweise Stadtrat Heiko Bär seinen Parteiaustritt im vergangenen November unter anderem damit, dass sich manche Mitglieder nicht ausreichend von „Extremisten“ abgrenzen würden.

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Es gibt 2 Kommentare

Jetzt ist der Bürgermeister auch schon vom selben Machterhaltungsvirus befallen, wie beim sächsischen Ministerpräsidenten.
Dafür, dass sich Herr Kasek um die Erhaltung der Demokratie kümmert und sie mit Leben erfüllt, wird er vom Bürgermeister herablassend behandelt. Pfui Herr Jung! Grossen Dank an Herr Kasek!
An diesem Tag ging es nur darum, alle Antifaschisten und Sympathisanten zu diskreditieren und einzuschüchtern. Tribut an die erstarkende AFD Wählerschaft.

Daß in der SPD bzw. bei den Jusos allen Ernstes Extremisten sein sollen, lieber Autor, konnte ich mir bisher nicht vorstellen. Daß allerdings die SPD recht heterogen in ihrem Meinungsbild bzw. Standpunkt zu sein scheint, wird im Text gut sichtbar. Wenn ich OBM wäre und in “meiner” Stadt 3000 Polizisten (stimmt die Zahl, die ich las, wirklich?) unterschiedlicher Couleur auftauchen, würde ich vielleicht auch den unangenehmen Hang entwickeln, mich vollkommen auf die Seite des Gewaltmonopols zu stellen…

Daß ich mich recht gut in dem o.g. Statement von Jürgen Kasek (der nun ausgerechnet nicht der SPD angehört, aber eben die Demo eines mir nie begneten Vereins anmeldete) wiederfinde, überrascht mich selbst. Denn bei allem Irrsinn der Auseinandersetzung, wie etwa den von Dächern geworfenen Steinen (stimmt das?), wie auch von Prügelattacken, von denen ich hörte (stimmt das auch?), ist es halt auch sehr billig von der Polizei, Vermummung als unviversell anführbares Verbotskriterium einer Demo heranzuziehen. Es ist zwar ungewöhnlich, eine Demo mit 100 Personen anzumelden und dann mit 1500 loslaufen zu wollen, aber wenn ich als https://de.wikipedia.org/wiki/Agent_Provocateur eingesetzt werden würde, würde es mir anscheinend ein leichtes sein, eine Demo nur dadurch platzen zu lassen, indem ich mich vermumme und noch drei andere dazu anstifte. Das kann es nicht sein, wenn man an die Demonstrationsfreiheit insgesamt denkt.

Mir gibt besonders zu denken, daß gestern vor der Polizeidirektion Wartende als ungenehmigte Versammlung taxiert und festgesetzt worden waren. Die Polizei scheint nicht wohin mit ihrer Kraft gewußt zu haben. Ab welcher Personenzahl wird man denn als Versammlung angesehen? Es seien 30 bis 40 Leute gewesen. Waren es 20 bis 30 zuviel?

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