Wir trafen Tobias Burdukat, alias Pudding, bei einer Veranstaltung des Roten Stern Leipzig. Wir sprachen mit ihm über die Hintergründe der Hausdurchsuchung anlässlich seines Retweets zum vermummten Staatsanwalt im „Leipziger Kessel“ am TagX.

Was ist passiert? 

Ich wurde am Bahnhof abgefangen, als ich von einem Seminar „Jugend – Gefahr, Risiko oder Chance?“, was ich als Lehrbeauftragter gegeben habe, nach Hause gefahren bin.

Du wurdest abgefangen. Bedeutet, du wurdest observiert? 

Nein. Die haben mich angerufen und dann vom Bahnhof abgeholt. Die Nummer hatten sie von den Mitarbeitenden der Alten Spitzenfabrik, die von Polizeikräften umstellt war.

Sie haben mich vom Bahnhof nach Hause gefahren und die Wohnung durchsucht. Grund war, laut Beschluss, ein Retweet. Ein Protokoll zur anschließenden Gefährderansprache musste ich handschriftlich von Tweet in Retweet abändern lassen. Den Retweet hatte ich mit dem Kommentar „falls er euch in den leeren Gassen #grimmas mal über den Weg läuft“ versehen. Wer Grimma kennt weiß, dass das ein Synonym für die Tristesse ist. Das war dumm formuliert. Als mich ein Bekannter anrief, mit dem Hinweis ich solle das ergänzen, musste ich ihm am Telefon sagen, dass grade eine HD stattfindet. Eine telefonische Gefährderansprache hätte an dieser Stelle auch gereicht. Ich verstehe bis heute nicht, warum es dafür eine Hausdurchsuchung brauchte.

War der maskierte Staatsanwalt dabei? 

Nein. Die Bereitschaftspolizisten waren freundlich. Das LKA aufgeteilt in gute Kommissarin, böser Kommissar. Er wollte in die Fabrik und all meine technischen Geräte, sie nur das Tatwerkzeug, also das Handy. Kein Plan, ob die schnelle Anwesenheit von Journalisten bei der Entscheidungsfindung eine Rolle gespielt hat. In der Wohnung gab es die Debatte, ob man nicht noch die Spitzenfabrik und den Geschäftssitz in der gleichen Straße durchsuchen solle.

Was macht ihr in der Spitzenfabrik?
Bis Ende 2021 war auf dem Gelände das „Dorf der Jugend“ mit einer festen Stelle der Kinder- und Jugendarbeit angesiedelt. Auf Drängen der Stadtverwaltung Grimma wurde diese Stelle mitsamt dem angrenzenden Skatepark wegrationalisiert.

Aktuell nutzen wir das Gelände draußen für Jugendangebote. Sowas wie Grafittiwall, Außenküche, Konzerte, Oper, Theater – also Kultur- und Sportveranstaltungen.

Für unsere Arbeit erhielten wir den Sächsischen Demokratieförderpreis der Amadeu Antonio Stiftung, den taz Panter Preis, die Goldene Henne in der Kategorie Charity von MDR und Super Illu – yeah. Das ist ein anerkanntes Boulevardblatt bei der Ostdeutschen Bevölkerung, das muss man mal mit dazu sagen.

Neben Kritik am Leipziger Kessel und der Forderung nach einer Entschuldigung sowie Einstellung der Verfahren twittertest du „Das wird hier alles noch ganz großes Kino und einige von uns werden leider darunter leiden, zerbrechen oder ihrer Existenzgrundlage beraubt werden.“ Was meintest du damit? 

Das war und ist alles enormer psychischer Druck für direkt Beteiligte und die Menschen drumherum. Das ist gezielte Erniedrigung als Machtinstrument. Die beschlagnahmten Handys sehe ich als Ergebnis einer riesigen Überwachungsmaßnahme. Die Strafverfahren können Existenzen bedrohen. Auch bei uns fließen Gelder der SAB und der EU – aktuell jedoch nicht mehr. Ich kann noch einmal Lohn überweisen und dann ist Schicht. Vier Vollzeitstellen, vier Minijobberinnen und ich sind dann arbeitslos.

Was in Leipzig vorgefallen ist, das ist hart. Dann noch die Vorfälle in der JVA. Wir können von Glück sagen, dass der eine Gefangene nicht gestorben ist. Ich bin selber Epileptiker, das macht mich alles total fertig.

Wir haben mehrere Quellen, die bestätigen, dass dir am Tag vor der Durchsuchung von einem Vertreter des Justizministeriums nahegelegt wurde, deine Tätigkeit als Geschäftsführer der Between the Lines gGmbH niederzulegen – falls nicht, würden euch Fördergelder nicht mehr ausgezahlt werden. 

Das möchte ich nicht kommentieren.

Heißt, da ist was dran?
Das kann ich weder dementieren noch bestätigen.

Wirst du deine Geschäftsführung niederlegen? 

NEIN. Ich stehe mit Namen und Gesicht in der Öffentlichkeit – privat und in meinen Funktionen. Die Funktionen nehme ich wahr, weil Staatsorgane die Arbeit gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit noch nicht leisten können. Wenn mir eine private Äußerung wirtschaftliche Nachteile verschaffen sollte wäre das, unserer Meinung nach, Wettbewerbsverzerrung – zudem ein höchst fragwürdiger Umgang mit Non-Profit Organisationen. Ist dir ein Fall bekannt, indem ein Bauunternehmer wegen seiner privaten Ansichten von der staatlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen wird?

Wir wissen, dass die Staatskanzlei im letzten Jahr mal einen ganzen Tag zusammengesessen hat, um über mich bzw. das Förderprogramm „Orte der Demokratie“ zu beraten. Die Abgeordneten des Sächsischen Landtags wurden seinerzeit, meines Wissens nach, nicht eingebunden. Die Sächsische Datenschutzbeauftragte musste wegen irgendwelcher wirren Einträge in meiner VS Akte intervenieren. Man könnte sagen, dass ich für reaktionäre Stimmen ein Politikum bin, um das Demokratieprojekt des SMJusDEG dumm zu machen.

Würdest du sagen, dass unter Gemkow (CDU) das Justizministerium besser aufgehoben war?

Soweit würde ich nicht gehen. Vom SMJusDEG wurden viele gute Initiativen und Projekte angestoßen – wie eben das Förderprogramm „Orte der Demokratie“. Wenn das aber hinten rum mit dem Arsch von reaktionären und konservativen Kräften wieder eingerissen wird, sind die Bemühungen halt sinnlos.

Was wäre die Lösung? 

Alle demokratischen Parteien sollten sich unterhaken und klar positionieren. Das geht so nicht weiter. Mit all den Geschehnissen rund um den TagX wurde eine rote Linie überschritten. Die CDU Sachsen beteuert zwar immer, dass eine Kooperation mit Autoritätsfanatikern undenkbar sei, aber sie betreibt deren Politik in konservativem Gewand. Ein Bruch der Koalition mit Neuwahlen und klaren Bündnissen oder einer Minderheitenregierung wären ehrlicher. Ich meine, die autoritäre Politik ist doch in den letzten Wochen für alle eindeutig sichtbar geworden. Mit Blick auf die bevorstehenden Landtagswahlen, dürfen wir nicht dabei zusehen, wie sich der Landtag mehrheitlich zum Verdachtsfall entwickelt.

Ich kann nur für die Kinder- und Jugendarbeit sprechen, da ich kein Generalist bin. Ich würde mir eine konstruktive Politik wünschen. Das kann man, glaube ich, auf allen Ebenen und Bereichen der Politik realisieren.

Was würdest du dem Staatsanwalt sagen, wenn du ihn in den dunklen Gassen von Grimma treffen würdest? 

An der Stelle möchte ich unmissverständlich klarstellen, dass ich mich von Gewalt distanziere. Grimma ist kein Dorf, sondern eine Kleinstadt mit 64 Ortsteilen. Ich möchte, dass wir alle sicher leben. Der Staatsanwalt mit seinen Kindern ebenso wie queere Personen, Leute die alternativ oder nicht Biodeutsch aussehen. Ich würde ihn aus meiner Sozialarbeiterperspektive fragen, ob es ihm nicht klar war, was bei den Menschen im Kessel mit den Maßnahmen bewirkt wurde. Es ist mir unverständlich, dass sie am Kessel nicht die Institutionen für Kinder- und Jugendhilfe mit ins Boot geholt haben. Ihm persönlich kann ich, wie auch den Polizistinnen und Polizisten, nur schwer Vorwürfe machen. Das ist ein strukturelles Problem.

Die biografischen Schäden bei Kindern und Jugendlichen, die solche Maßnahmen mit sich bringen können, lassen sich nur schwer wieder einfangen.

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Herr Burdukat wirft einen verbalen Regenbogen von Leipzig, wo der bunte Kessel stand und der Grimmaer Tristesse. Unabhängig davon, dass Grimma eine sehr schöne Stadt ist, wird vom Leser schon sehr viel Phantasie erwartet hier den Anlass der Durchsuchung nicht erkennen zu können oder zu wollen.

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