Was die Polizei da am 3. Juni in Leipzig praktizierte, hatte mit der Gewährleistung des Grundrechts auf Demonstrationsfreiheit nichts mehr zu tun. Über 1.300 Menschen wurden eingekesselt, fast 400 Handys einkassiert. Weder die Versorgung der Eingekesselten, von denen viele minderjährig waren, wurde gesichert, noch eine geregelte Toilettenversorgung.

Sodass der Verdacht im Raum steht, dass hier ein Exempel statuiert werden sollte. Die Aufklärung wird bis heute vertrödelt. Anlass für die Linksfraktion, eine Große Anfrage im Landtag zu stellen.

Rund fünf Monate nach dem „Tag X“ in Leipzig hat die Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag eine Große Anfrage mit 200 Einzelfragen eingereicht (Drucksache 7/14904).

„Wir treiben die parlamentarische Aufklärung zum eskalierten Protest und dem immensen Polizeieinsatz am 3. Juni 2023 weiter voran, weil immer noch viele Fragen offen sind und Widersprüche im Raum stehen“, erklärt Kerstin Köditz, in der Linksfraktion zuständig für Innenpolitik, den Vorstoß.

„War zunächst von rund 1.000 Personen – darunter Minderjährige – die Rede, die in einer sogenannten Umschließung über viele Stunden bei mangelnder Versorgung gekesselt wurden, liegt der Wert inzwischen bei über 1.300. Dafür gibt es keine nachvollziehbare Erklärung.“

Warum wurden andere Demos verboten?

Das Problem beginnt schon mit dem Verbot einiger Kundgebungen, die am selben Tag stattfinden sollten. Hier spielt auch die Leipziger Versammlungsbehörde eine bis heute undurchsichtige Rolle.

„Teils immer noch im Dunkeln liegen auch die Umstände, unter denen eine zunächst angemeldete ‚Tag X‘-Demonstration verboten wurde und weitere Versammlungen nicht stattfinden durften“, geht Köditz darauf ein.

„Das ist ein tiefer Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Der Eindruck, dass die Polizei genau darauf hinarbeitete, noch bevor überhaupt irgendeine Anmeldung vorlag, wurde bislang nicht ausgeräumt. Letztlich durfte zwar eine einzige Kundgebung stattfinden, auf Geheiß der Polizei aber nicht loslaufen – obwohl die zuständige Versammlungsbehörde eine solche Beschränkung nie verfügt hat.“

Bis heute liege nicht einmal eine Bilanz zu den Straftaten vor, die an diesem Wochenende unzweifelhaft begangen worden seien, so Köditz. Denn da es nur die eine Kundgebung gab, mischte sich auch ein gewaltbereiter schwarzer Block unter die Demonstrierenden, von dem es dann am Heinrich-Schütz-Platz auch die ersten Übergriffe gab. Doch statt sich auf diese durchaus überschaubare Truppe zu konzentrieren, nutzte die Polizei den Anlass, um alle Personen auf dem Platz einzukesseln und über Stunden festzuhalten.

Nicht mal als Straftat registriert?

„Obwohl allen Gekesselten pauschal die Begehung eines schweren Landfriedensbruchs vorgeworfen wird, steht davon in den regelmäßigen Kleinen Anfragen zu politisch motivierten Straftaten nichts“, geht Köditz auf die nächste undurchsichtige Stelle im Vorgehen der sächsischen Behörden ein. Die Demo wird in der Auskunft des Innenministeriums zu politisch-motivierten Straftaten im Juni nicht einmal erwähnt.

Als hätte die Polizei hier wirklich nur ein Exempel statuieren wollen, das dann dem Innenminister Grundlage für ein neues, verschärftes Handlungskonzept gegen „Linksextremismus“ bieten sollte. Doch das gibt es bis heute nicht.

„Apropos nichts: Das Konzept gegen ‚Linksextremismus‘, über das der zuständige Innenminister Armin Schuster wiederholt sprach, blieb eine Ankündigung. Die Staatsschutz-Abteilung des Landeskriminalamts wurde zwischenzeitlich nicht etwa gestärkt, sondern sie verlor sogar Personal“, geht Köditz auf die jüngere Politik des Innenministeriums ein, das spätestens mit dem Lina-E.-Prozess die Chance sah, den Linksextremismus in Sachsen zum neuen bedrohlichen Popanz aufzublasen.

Den Landtagsabgeordneten gegenüber jedenfalls ist das Innenministerium immer verschlossener geworden, was Auskünfte zu den Ereignissen am 3. Juni betrifft, so Köditz: „Mit unserer Großen Anfrage haken wir daher gezielt nach. Kurz nach dem ‚Tag X‘ wurde bei einer von uns beantragen Sondersitzung des Innenausschusses zwar noch ausführlich Stellung genommen. Aber bei etlichen weiteren Nachfragen wurde das Parlament mit allgemeinen Satzbausteinen abgespeist.

Für die Beantwortung unseres neuen Fragenkatalogs hat die Staatsregierung nun drei Monate Zeit – das sollte genügen, um ins Detail zu gehen.“

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