Was ist da wirklich passiert bei der Demo LE0306 am 3. Juni in Leipzig? Das wollte auch die SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag wissen und stellte eine entsprechend deutliche Anfrage an die Staatsregierung, die der Innenminister Armin Schuster dann auch am 5. Juli beantwortete. Doch die scheinbar minutengenau protokollierte Abfolge aus Sicht der Polizei stimmt in vielen Fälle nicht mit den tatsächlichen Beobachtungen vor Ort überein. Und das selbst nach der Sitzung des Innenausschusses vom 13. Juni.

Wo sich vieles von dem, was Innenminister und Polizei zu den Abläufen am 3. Juni erzählt hatten, als falsch erwies.

„Nach der heutigen Sitzung kann auch die Polizei nicht ausschließen, dass sich in dieser Gruppe Personen befanden, denen von Anfang an kein Tatvorwurf zu machen war. Für die Wahrnehmung der Bevölkerung ist es äußerst bedeutend, wie das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Sachsen gewährleistet wird. Wer unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit steht, muss sie auch in Anspruch nehmen können. Gegen tatsächlich Unfriedliche muss eingeschritten werden“, sagte der für Sicherheitspolitik zuständige SPD-Landtagsabgeordnete Albrecht Pallas.

Aber das, was er nun am 5. Juli von Innenminister Armin Schuster als Antworten bekommen hat, bestätigt im Grunde, dass jedenfalls der Innenminister nicht daran denkt, sich zu korrigieren. Stattdessen werden weiter Behauptungen aufrechterhalten, mit denen die polizeiliche Einsatzleitung versucht, ihr Vorgehen zu rechtfertigen.

„Wir haben heute die Antworten auf unsere Kleine Anfrage zu den Vorgängen in Leipzig am 3. Juni 2023 (sog. TagX) erhalten. Diese stellen wir öffentlich zur Verfügung. Außerdem hatte ich im Innenausschuss des Sächsischen Landtags Fragen in größerem Umfang an das Innenministerium zur Versammlungslage, den Polizeieinsätzen und Strafverfolgungsmaßnahmen gestellt, auf die ich entgegen der Zusage bis heute keine schriftliche Antwort erhalten habe. Ich erwarte, dass das SMI hier seine Zusagen einhält und diese Antworten nachliefert“, sagt Pallas, den die nebelhafte Kommunikation des Innenministers ganz eindeutig verärgert.

Der Beitrag von „Monitor“ zum Polizeikessel am 3. Juni.

Schon die Innenausschusssitzung hatte deutlich gemacht, dass die Polizei weder für eine sanitäre Versorgung der über zehn Stunden Eingekesselten gesorgt hat, noch für Verpflegung oder Wärmedecken.

Auch wurde von der Polizei nicht einmal der Versuch unternommen, die gewalttätigen Randalierer von den anderen Kundgebungsteilnehmern zu trennen, die friedlich ihr Versammlungsrecht wahrnahmen. Stattdessen wurde die komplette stationäre Kundgebung auf dem Alexis-Schumann-Platz eingekesselt und sämtliche darin Befindlichen wurden erkennungsdienstlich behandelt.

Mitgefangen, mitgehangen?

Und danach wurde ihnen gleich mal komplett Landfriedensbruch vorgeworfen, so wie es Schuster in seiner Antwort auch behauptet: „Gegen ca. 1.000 Personen werden Verfahren wegen besonders schweren Landfriedensbruches geführt. Von einer entsprechend hohen Anzahl von Tatverdächtigen ist ebenso im Hinblick auf Tatbestände gemäß 8 28 SächsVersG auszugehen.

Die individuelle Zuordnung weiterer Tatbestände ist, wie die Aufklärung vorbezeichneter Tatbestände, Gegenstand der strafrechtlichen Ermittlungen. Zur Bearbeitung und Sicherung der Einschließung wurden weitere Unterstützungskräfte aus anderen Einsatzabschnitten sowie zwei Teams des Einsatzabschnitts Kriminalpolizeiliche Maßnahmen und ein Staatsanwalt zum Ort entsandt.

Nach Abstimmung mit dem Leiter der Abteilung 6a der Staatsanwaltschaft Leipzig und dem Polizeiführer wurden die Personen zum Zwecke der Identitätsfeststellung gemäß § 163b StPO vor Ort festgehalten (Verdacht schwerer Landfriedensbruch).“

Und dann wird es ganz obskur: „Durch den seitens der Staatsanwaltschaft Leipzig kontaktierten Bereitschaftsrichter wurde um 20:50 Uhr die Maßnahme bestätigt und nach § 163c StPO festgestellt, dass aufgrund der vorliegenden Umstände (Massen-Identitätsfeststellung) eine richterliche Vorführung nicht möglich ist und die Dauer der Identitätsfeststellung übersteigen würde.“

Aber von welcher Zahl ging die Polizei aus? Welche Zahl nannte sie dem Bereitschaftsrichter?

Wer wirft da Nebelkerzen?

Letztlich bestätigt die Antwort des Innenministers all das, was schon im Innenausschuss für Verstimmung auch bei Albrecht Pallas gesorgt hatte. Die tatsächlichen Vorgänge werden hinter Worthülsen versteckt. Und dass die Polizei zu dumm gewesen sein sollte, die Zahl der Eingekesselten abzuschätzen, glaubt auch Pallas nicht. Denn zum Zeitpunkt der Einkesselung um 18.13 Uhr war es noch hell und es existieren die Aufnahmen der eingesetzten Polizeihubschrauber, die das ganze Ereignis gefilmt haben.

Dass die so Eingekesselten die Gelegenheit gehabt haben sollen, sich friedlich zu entfernen, ist im Angesicht der Ereignisse so nicht nachvollziehbar.

„Was geht uns das an?“

Die Frageliste aus der Innenausschusssitzung ist lang. Viele der Fragen konnten gar nicht beantwortet werden. Welche Widersprüche sich da auftun, zeigen zum Beispiel die völlig unterschiedlichen Angaben der Polizei zur Wasserversorgung und die Aussagen der Demosanitäter/-innen, die vor Ort tätig waren.

Die Frageliste aus der Innenausschusssitzung und das Statement der Demo-Sanitäter/-innen.

Die Antwort von Armin Schuster zur Wasserversorgung: „Um 19:07 Uhr wurde zur Versorgung der umschlossenen Personen über die Wasserwerke Leipzig ein Trinkwasseranhänger (Kapazität 1.000 I) organisiert und Trinkbecher zum Einsatzort verbracht.“

Punkt. Nichts weiter.

Die Antwort von Innenminister Armin Schuster auf die Anfrage der SPD-Fraktion zum 3. Juni.

Was wirklich passierte, schildern die Demo-Sanitäter/-innen so: „. Als uns klar wurde, dass sich bei der Polizei offenbar niemand ernsthaft Gedanken um die Versorgung der Menschen im Kessel gemacht hat, haben auch wir begonnen, die Einsatzleitung auf die prekäre Situation hinzuweisen. Die Kommunikation mit der Polizei erwies sich als äußerst schwierig, da wir keinen klaren Ansprechpartner hatten und sich auch niemand zuständig gefühlt hat.

Erst nach zähen Verhandlungen wurde uns mitgeteilt, dass ein Wasseranhänger der Stadtwerke unterwegs sei. Wann und wo dieser ankommen würde, konnte uns allerdings niemand sagen. Wir ergriffen dann selbst die Initiative und kauften Wasser, um zumindest die Wasserversorgung der Patient*innen an unserem Behandlungsplatz sicherstellen zu können. Der Wasserwagen wurde dann mit einem LKW von Süden her an den Heinrich-Schütz-Platz herangefahren, wo dieser aber auf der Karl-Liebknecht-Straße von Einsatzkräften der Polizei blockiert wurde, da sie, laut eigener Aussage, keinen Befehl bekommen haben, den Anhänger durchzulassen.

Letztlich hat es noch über eine Stunde gedauert, bis der Anhänger zur Nordseite des Kessels gebracht wurde, von wo aus unsere Sanitäter*innen eine notdürftige Wasserversorgung in den Kessel sicherstellen konnten. Erwähnenswert ist hierbei, dass die Polizei keinerlei Anstalten gemacht hat, das Wasser selbst zu verteilen oder einen Zugang zu ermöglichen. Diese Aufgabe wurde, bis auf wenige Ausnahmen, bei denen auch Polizist*innen geholfen haben, unabgesprochen auf uns abgewälzt. Die Polizei hat uns irgendwann noch eine zweistellige Zahl an Plastikbechern gegeben, was natürlich für so viele Menschen völlig unzureichend ist.

Während der Nacht wurde die Versorgung mit Wasser immer und teilweise für bis zu 30 Minuten unterbunden, mit der Begründung: ‚Das sind alles Straftäter, die bekommen kein Wasser‘. Mit dieser Praktik stachen besonders die Einsatzkräfte der sächsischen BFEn hervor.“

Stärke zeigen als Deeskalation?

Und ganz ähnlich war es beim Einsatz des Toilettenfahrzeugs, bei der Verpflegung, bei Wärmedecken und medizinischer Versorgung. Diese Diskrepanz konnte Schuster in der Innenausschusssitzuung nicht auflösen, dem es ganz offensichtlich darum ging, die Ereignisse am 3. Juni zum Vorwand zu nehmen, ein „Konzept gegen Linksextemismus“ zu bekommen.

Das Handeln der Polizei wirkt nur in den von Schuster gegebenen Antworten deeskalierend. Die tatsächlichen Ereignisse erzählen eine andere Geschichte.

Auf die letzte Frage von Albrecht Pallas wollte Schuster dann gar nicht antworten. Die lautete nämlich: „Welchen deeskalierenden Charakter und eine entsprechende Wirkung sollen nach Auffassung der Staatsregierung die Aussagen von Herrn Staatsminister Schuster am 03.06.2023 anlässlich des Besuchs des Lagezentrums für den Polizeieinsatz in Leipzig ‚Wir haben die Hand ausgestreckt. Aber wer reinschlägt, kriegt die Antwort‘ (…) und des Leipziger Polizeipräsidenten René Demmler in Nachbetrachtung des Einsatzes vom 03.06.2023 am 04.06.2023 davon, dass ‚Stärke zu zeigen, kann auch deeskalierend wirken‘ kann (…), haben und welchen Einfluss hatten diese auf die Einsatzleitlinien hinsichtlich der polizeilichen Einschreitschwelle und Deeskalation?“

Hier kniff Schuster, indem er antwortete: „Die Frage ist auf eine Bewertung gerichtet, die die Staatsregierung bisher nicht getroffen hat. Zur Abgabe einer Bewertung ist die Staatsregierung nicht verpflichtet.“

Das ist die Standardantwort sächsischer Minister, mit der sie die Bewertung ihres Handels versuchen zu umschiffen. Aber die angeführten Zitate zeigen recht deutlich, dass es der Polizei am 3. Juni eben nicht darum ging, das Demonstrationsrecht zu bewahren, sondern darum, ein „starkes Zeichen“ zu setzen. Da ist für Deeskalation kein Platz. Und genau das beschreibt die Dynamik am 3. Juni.

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