Nach der zweiten unruhigen Nacht in Folge scheint sich die Situation in Leipzig momentan zu entspannen. Zuvor hatten in Connewitz erneut Barrikaden gebrannt, in der Leipziger Südvorstadt wurden hunderte Menschen nach einer Demo bis zum frühen Morgen zwecks Identitätsfeststellung von der Polizei festgehalten. Eine vorläufige Zusammenfassung.

In Leipzig hat sich die Situation einen Tag nach dem „Tag X“ am gestrigen Samstag und einer unruhigen Nacht für den Moment entspannt: „Aktuell ist alles friedlich“, sagte Polizeisprecherin Josephin Heilmann am Sonntagvormittag auf LZ-Anfrage. Allerdings kursierten verschiedene Aufrufe zu Störaktionen, weswegen sich die Polizei auch am Sonntag wieder auf einen Einsatz vorbereite. Zudem ist für den Abend eine Versammlung gegen Polizeigewalt am Herderplatz angekündigt.

Demo im Süden eskaliert

Nachdem es bereits in der Nacht von Freitag auf Samstag in Connewitz zu Barrikadenbränden gekommen war, stand der gestrige Samstag dann ganz im Zeichen des „Tags X“, für den die linke Szene seit geraumer Zeit zu einer Soli-Demo mobilisiert hatte. Anlass ist die Verurteilung der 28-jährigen Leipziger Studentin Lina E. und dreier weiterer Angeklagter in Dresden zu mehrjährigen Haftstrafen letzte Woche. Die Gruppe wird für eine Serie von gezielten Überfällen auf mutmaßlich Rechtsextreme mit 13 teils schwer Verletzten verantwortlich gemacht.

Eine zentrale Solidaritäts-Kundgebung hatte die Stadt Leipzig wegen Sicherheitsbedenken untersagt. Das Oberverwaltungsgericht Bautzen bestätigte zuletzt das Verbot, ein Eilantrag der Anmelder beim Bundesverfassungsgericht scheiterte am Samstagnachmittag.

Während mehrere andere, angemeldete Demonstrationen in der Stadt, unter anderem von Fridays for Future anlässlich des Weltfahrradtags, friedlich verliefen, eskalierte die Lage am Nachmittag. Am Alexis-Schumann-Platz in der Südvorstadt hatte der Say it loud e. V. über den Leipziger Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek einen Aufzug unter dem Motto „Die Versammlungsfreiheit gilt auch in Leipzig“ angemeldet. Der hohe Zulauf sprengte rasch die ursprünglich angemeldete Zahl von 100 Teilnehmern. Nach Angaben der Polizei waren etwa 1.500 Menschen vor Ort, andere Schätzungen gehen sogar von mehreren Tausend aus.

Polizeikessel die ganze Nacht

Angeblich wegen der hohen Teilnehmerzahl wurde der Masse das Loslaufen verweigert und eine stationäre Kundgebung verfügt, erklärte der Say it loud e. V. auf Twitter. Wenig später kam es am frühen Abend zu Angriffen auf Polizisten mit Flaschen und Steinen. Die Einsatzkräfte gingen daraufhin dazwischen und kesselten eine Gruppe auf dem gegenüberliegenden Heinrich-Schütz-Platz ein. Die Polizei sprach von etwa 1.000 Personen, andere Schätzungen gehen von einigen Hundert aus. Die Aufnahme der Personalien aller Betroffenen dauerte die ganze Nacht über an und wurde erst gegen 05:30 Uhr beendet.

Zum Teil wurden die Menschen, unter denen sich auch Minderjährige befanden, rabiat durch die Polizei abgeführt. Zur Versorgung standen Sanitäter bereit, über sie wurden zudem auch Wärmedecken, Nahrung und Wasser gereicht. Zuvor seien die Eingekesselten stundenlang weder versorgt worden noch hätten sie Zugang zu einer Toilette gehabt, twitterte Demo-Anmelder und Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek am Sonntag.

Kasek: „Es sind schwarze Tage“

Er zeigte sich ernüchtert über das Vorgehen der Polizei, die den Betroffenen im Kessel zum Teil Handys abgenommen und Minderjährige trotz Anwesenheit ihrer Eltern in die Gefangenen-Sammelstelle gebracht habe, statt sie gehen zu lassen. Dies habe nichts mit rechtsstaatlichem Vorgehen zu tun, monierte Kasek.

Auch bezüglich der Eskalation der von ihm angemeldeten Versammlung kritisierte Kasek die Behörden, welche trotz Gesprächen nicht an einer Lösungsfindung interessiert gewesen seien und alles getan hätten, die Demonstration zu unterbinden. Noch während der laufenden Verhandlungen habe die Polizei eskaliert. Im Zweifel entscheide ein sich autoritär gebärender Staat, wer seine Grundrechte noch ausüben könne: „Es sind schwarze Tage.“

Auch die SPD-Politikerin Irena Rudolph-Kokot widersprach der Darstellung, dass die Versammlungsleiter es nicht geschafft hätten, auf gewaltbereite Demonstranten einzuwirken: „Die haben 1,5h nach Vorwand gesucht und immer neue bekloppte Sachen vorgebracht“, twitterte sie mit Blick auf Polizei und Versammlungsbehörde.

Erneut brennen Barrikaden in Connewitz

Parallel zum Kessel hatten am späten Abend und der einbrechenden Nacht auch abermals Barrikaden in Connewitz gebrannt, unter anderem auf der Wolfgang-Heinze-Straße. Die Polizei setzte Wasserwerfer zur Löschung ein. Außerdem gab es einen Angriff auf die Polizeiwache in der Wiedebachstraße.

In der Nacht löschten Wasserwerfer Barrikaden in Connewitz. Foto: LZ

Im Zusammenhang mit den Krawallen in der Nacht von Freitag auf Samstag erließ das Amtsgericht gegen fünf Festgenommene jeweils Haftbefehl wegen Verdachts auf schweren Landfriedensbruch. Die Männer im Alter von zweimal 28 sowie 20, 25 und 32 Jahren wurden in eine JVA gebracht.

Aktuelle Zahlen der Polizei zum Einsatz

Laut letzten Angaben der Polizei wurden im Rahmen des Einsatzgeschehens seit Freitag etwa 50 Beamte verletzt, zwei davon seien dienstunfähig, und auch Einsatzfahrzeuge beschädigt. Eine abschließende Bilanz auch der Sachschäden liegt bislang nicht vor, ebenso noch keine Zahl an Festnahmen bzw. Ingewahrsamnahmen. Es gäbe auch Verletzte auf Seiten der Versammlungsteilnehmer, über deren Zahl sei noch keine Angabe möglich.

Es seien bis zu 50 Personen in Gewahrsam genommen worden, wobei die letzte Ingewahrsamnahme heute um 12:00 Uhr geendet sei. Insgesamt knapp 30 Personen wurden laut Polizeidirektion festgenommen und es werden aktuell Haftanträge durch die Staatsanwaltschaft geprüft. In Bezug auf den Kessel am Heinrich-Schütz-Platz seien knapp über 1.000 Identitätsfeststellungen durchgeführt worden: „Gegen die Personen in der Maßnahme bestand der Anfangsverdacht des schweren Landfriedensbruchs und des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, der eine Identitätsfeststellung notwendig gemacht hat“, heißt es in einer Mitteilung der PD.

Ein Erfolg aus ihrer Sicht zeige sich darin, dass andere Großveranstaltungen am Samstag störungsfrei verliefen. Neben dem heute endenden Stadtfest in der City waren dies gestern auch das Pokalfinale Lok-Chemnitz und das Herbert-Grönemeyer-Konzert in der Arena.

Insgesamt ist die Polizei einem Bericht der LVZ zufolge am Wochenende mit 3.000 Kräften im Stadtgebiet im Einsatz. Unterstützt wird sie dabei eigenen Angaben nach durch Kräfte aus zwölf Bundesländern sowie die Bereitschaftspolizei Sachsens und des Bundes.

Demo am Abend verboten

Die Lage in Leipzig bleibt auch nach dem „Tag X“ brisant, da eine für den Abend angemeldete Demo im Süden gegen Polizeigewalt und behördliche Willkür untersagt worden ist.

Wir behalten die Situation auch am Sonntag im Auge.

Hinweis: Dieser Artikel wurde seit seiner Erstveröffentlichung mehrfach aktualisiert.

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