Irena Rudolph-Kokot organisierte schon 2015 mit dem Netzwerk „Leipzig nimmt Platz“ die „No Legida“-Proteste. Bei der Demonstration am Montag, bei der sich rund 10.000 Menschen gegen Rechts bekannten, war die SPD-Politikerin Versammlungsleiterin. Seit Jahren begleitet sie rechte und faschistische Entwicklungen in Leipzig und Sachsen und macht sich für eine demokratische Zivilgesellschaft stark. Im Interview mit der Leipziger Zeitung erzählt sie, welchen Weg der Protest gegen die AfD nun nehmen kann.

Seid ihr als „Leipzig nimmt Platz“ mit der Demo am Montagabend zufrieden?

Ja, wir sind sehr zufrieden. Es sind viel mehr Menschen gekommen, als wir erwartet haben. Vor allem das Bild auf dem Simsonplatz war überwältigend. Das gibt mir ein bisschen Hoffnung, für diese Stadt zumindest.

Es ist das erste Mal seit „No Legida“ – und vielleicht noch #Unteilbar – dass in Leipzig so viele Menschen gegen Rechts auf der Straße waren.

Wird das jetzt „No Legida 2.0“?

Bei „No Legida“ waren es immer Anlasskundgebungen mit Gegenkundgebung. Das ist eine andere Sache. Deswegen gab es dort auch die Regelmäßigkeit mit den Montagen.

Wir müssen natürlich über den weiteren Umgang reden. Es wird bestimmt viele weitere Demonstrationen mit unterschiedlicher Ausrichtung vor der Kommunal- und der Landtagswahl in diesem Jahr geben. Aber ob wir eine Regelmäßigkeit so wie bei Legida haben werden?

Da war es ja auch an den Demos festzumachen, wann wir Gegenkundgebungen machen. Ich glaube, man kann das nicht so ganz vergleichen in dem Punkt. Ich weiß nicht, wie lange pro-aktive Demos die Menschen anziehen.

Also würdest du sagen, dass dem Gegenprotest gegenüber zu stehen sowas wie das „Erfolgsrezept“ der „No Legida“-Demonstrationen waren?

Nein. Das war notwendig, weil die rechten Demos greifbar da waren. Die Frage ist, ob man „nur“ mit pro-aktiven Demonstrationen etwas erreicht. #NieWiederIstJetzt ist aktuell der Hashtag. Da gehört aber viel mehr dazu, als jede Woche eine Demonstration zu machen.

Wir haben ganz viele Anlässe, wo wir tatsächlich gegen Hardcore-Rechte auf die Straße gehen müssen. Dresden rund um den 13. Februar steht an, wahrscheinlich am 10. oder 17. Februar. Da sind alle aufgerufen, dort auch mal Gesicht zu zeigen.

Ich finde es wichtig, dass Zeichen gesetzt werden. Es ist gut, wenn viele Leute in einem geschützten Raum auf die Straße können. Da sind Menschen dabei, wo ich es verstehe, wenn sie nicht auf Gegendemos zu den Hardcore-Nazis gehen, Familien mit Kindern zum Beispiel. Aber in Dresden gibt es auch immer geschützte Räume, Safe Space-Veranstaltungen, wo alle hingehen können.

Da erwarte ich, dass in einer Zeit, wo man das vor sich herträgt und viele das für wichtig nehmen, dass dann auch genug Menschen aus Leipzig am 10. oder 17. Februar nach Dresden fahren und sich den Nazis, die dort live und ganz erschreckend aufmarschieren, entgegenstellen.

Und viele andere Sachen natürlich auch: Veranstaltungen, Diskussionsforen, Beteiligung am 1. Mai zum Beispiel.

Gerade seit dem 7. Oktober hat sich die Leipziger Linke an Nahost gespalten beziehungsweise ist die Spaltung sehr sichtbar geworden. Am Montag waren alle zusammen gegen Rechts auf der Straße. Denkst du, dass sich in der nächsten Zeit eine Linke Seite an Seite auf die Straße stellen wird?

Der Montag hat gezeigt, dass es möglich ist. Ich würde sagen, es ist absolut notwendig. Ich finde Debatten zu betimmten Themen wichtig. Wir müssen innerlinke Debatten führen. Aber nicht, wenn es gegen die Machtergreifung der Faschisten geht. Dann muss die Linke meiner Meinung nach gemeinsam handeln.

Du hast vorhin gesagt, dass der Montag dir Hoffnung gemacht hat. Hat dir diese Hoffnung in der letzten Zeit gefehlt?

Einen Teil habe ich gerade beschrieben: Diese Spaltungstendenzen in der verschiedentlich gearteten linken Stadtgesellschaft sind sehr offensichtlich gewesen in letzter Zeit. Man hat es teilweise nicht geschafft, das bei wichtigen Themen außen vor zu lassen. Ich finde nicht nur den Kampf gegen den Faschismus, sondern auch soziale Themen sind extrem wichtig. Das war in der letzten Zeit in Leipzig aber schwierig, um es nett zu formulieren.

Gleichzeitig war der bürgerlichere Teil der Stadtgesellschaft gefühlt eingeschlafen. Deshalb war es hoffnungsgebend zu sehen, dass einige jetzt anscheinend doch verstanden haben, dass ein Punkt erreicht ist, an dem sie etwas tun müssen.

In welche Richtung geht der Protest jetzt? Geht es jetzt darum, möglichst regelmäßig eine breite Zivilgesellschaft auf die Straße zu bringen?

Es gibt verschiedene Sachen, die wir sowieso schon vorhatten und die wir weiter machen werden. Wir sind Mitglied im Leipziger Netzwerk Demokratie. Da wird es im Mai eine Demokratie-Konferenz geben, auch mit Veranstaltungen zum neuen Versammlungsgesetz.

Neben dem Einsatz, dafür zu sorgen, dass die Faschisten nicht an die Macht kommen, werden wir weiterhin das tun, was wir noch für wichtig halten: nämlich die Entwicklungen, die gerade von Parteien in Regierungsverantwortung gemacht werden, wie zum Beispiel die Initiative zu dem neuen Versammlungsgesetz. Das ist aus unserer Sicht verheerend. Wir werden das weiter im Fokus behalten und intervenieren.

Genau diese Entwicklungen geben den Rechten weiteren Auftrieb aus unserer Sicht. Das gehört alles zusammen. Da reichen „nur“ Demos nicht aus.

Wo muss sich – außer auf der Straße – noch etwas bewegen?

Es muss sich viel im politischen Bereich bewegen. Menschen in politischer Verantwortung müssen verstehen, dass wenn sie die Erzählungen, Ziele oder Narrative der Rechten übernehmen, es zum Auftrieb der Rechten und nicht zur Eindämmung führt. Das ist meiner Meinung nach auch jetzt noch nicht angekommen.

Man sieht ja, was alles im Bereich Asyl beschlossen wird. Damit wird es nicht besser, es wird schlimmer. Mir fehlt da die Einsicht. Das immer wieder anzubringen und noch lauter und deutlicher an bestimmten Beispielen zu thematisieren, ist eine Herausforderung, der wir uns stellen werden und wollen.

Wir geben die Hoffnung da nicht auf. Das wäre ja fatal. Wir bleiben da weiter dran.

Unabhängig davon müssen wir natürlich an Bevölkerungsgruppen ran, die noch nicht politisiert sind. Wir müssen sagen: Liebe Menschen, es geht jetzt um unsere Vorstellungen, wie wir weiter leben wollen. Und unsere Freiheiten, die wir jetzt haben und unsere Art und Weise zu leben ist bedroht.

Würdest du sagen, dass schon jetzt ein Rechtsruck im alltäglichen Leben spürbar ist?

Ich würde sagen, dass Menschen, die sich gegen Rechts stellen auch in unserer Stadt regelmäßig kriminalisiert und als Übeltäterinnen hingestellt werden. Auch von prominenten Vertreterinnen der Stadt. Ich sage mal, wenn eine Kerze in der Mitte eines Einkaufswagens brennt, ist das schon der Weltuntergang. Gleichzeitig werden andere Sachen überhaupt nicht thematisiert. Die Tendenz finde ich schon erschreckend.

Es sind viele kleine Sachen, die sich aneinanderreihen, die auch Entwicklungen im Land kennzeichnen. Wir haben eine autoritäre Entwicklung, anstatt eine liberale. Genau das gibt Faschistinnen Auftrieb.

Denkst du, dass sich diese Entwicklung noch aufhalten lässt oder geht es eher darum, die Folgen zu begrenzen?

Andere Länder zeigen uns, dass das umkehrbar ist. Es gibt leuchtende Gestalten in anderen europäischen Ländern, gegenteilige Entwicklungen zu dieser autoritären Entwicklung. Es ist möglich. Man muss nur Menschen dafür gewinnen, dass eine solidarische Gesellschaft eine lebenswerte Gesellschaft ist und dass es sich lohnt, sich dafür einzusetzen.

In welchen Ländern zum Beispiel?

Spanien zum Beispiel oder Portugal. Da gibt es viele Führungspersönlichkeiten, die das vorantreiben. Wir haben in Österreich eine Persönlichkeit, die da hervorsticht mit einer sozialen Agenda. Es gibt Spielraum im Rahmen unserer Demokratie, auch in Richtung einer solidarischen, gerechten Gesellschaft, Menschen dafür zu begeistern.

Ich bin davon überzeugt, dass wir in Deutschland gerade den gegenteiligen Weg gehen, so wie es in Polen war oder… ich will jetzt Ungarn nicht anführen als ein Beispiel, wo wir schon sind, aber das ist das, wo es enden kann.

Polen hat ja auch gezeigt, dass eine Gesellschaft auch zu mobilisieren ist, sich als Korrektiv hinzustellen. Also es geht schon.

Was planen LnP und Verbündete in der nächsten Zeit?

Wir planen mit vielen anderen für Sonntag eine Demonstration. Damit sind wir nicht im luftleeren Raum, sondern die Demonstrationen finden in vielen sächsischen Städten und bundesweit statt. Das soll auch ein Gesamtbild geben, in wie vielen Städten in Sachsen gleichzeitig Demonstrationen gegen die AfD und gegen diese Politik, die die AfD anstrebt, stattfinden.

Dann rufen wir auf, am Samstag nach Halle zur antifaschistischen Demo zu fahren. Wir machen da eine gemeinsame Anreise. Und wir machen, denn ich sagte es schon, wir begrenzen uns definitiv nicht nur auf Demos, ein Solikonzert am 2. März im Werk 2. Dazu werden die Informationen noch folgen.

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