Da landete ein Buch auf Tanners Schreibtisch, in dem stand viel Wahres - und dies wissenschaftlich fundiert - über unsere Stadt und die Entwicklungen der letzten Jahre. Da fragt sich ein Tanner natürlich, wer diese Menschen sind, die solche Bücher schreiben - und als er Laura Torreiter traf, weil er diese Fragen hatte, deren Beantwortungen Eingang in ihre Dissertation finden möchten, hakte Tanner nach. Schließlich ist Laura Torreiter eine der Autorinnen.

Guten Tag Laura Torreiter. Du bist ein Part des gerade im Unrast-Verlag erschienen Buches zur Stadtentwicklung “Leipzig: die neue urbane Ordnung der unsichtbaren Stadt”. In diesem wird wissenschaftlich fundiert mit den Bewegungen und Veränderungen in Leipzig umgegangen. Dabei ist Dein Augenmerk auf “Wenn Segregation Schule macht. Bildungsbenachteiligung im Leipziger Stadtbezirk Ost” gerichtet. Nun bin ich – wie bestimmt viele Menschen – nicht ganz so fit im wissenschaftlichen Vokabular. Was ist das denn, diese Segregation?

In der Soziologie versteht man unter Segregation zunächst allgemein die ungleiche Verteilung von Menschen nach bestimmten Merkmalen, wie zum Beispiel Einkommen, Herkunft, Alter, Bildungsstand und anderem in einem bestimmten Gebiet. Diese ungleiche Verteilung kann zu sozialen Konflikten führen, wenn dadurch zum Beispiel der Zugang zu ökologischen, ökonomischen oder kulturellen Ressourcen eingeschränkt ist, wie beispielsweise zu den in meinem Beitrag beschriebenen Bildungseinrichtungen.

Wie kam es zu dem Buch? Der Unrast-Verlag ist ja bekannt für seine politische Ausrichtung, bietet dabei immer wieder diskutierenswerten Stoff. Nun sitzen die ja in Münster. Haben die Leipzig eigentlich auf dem Schirm? Wer hat wen kontaktiert?

Da musst du die Herausgeberin Franziska Werner fragen, sie hat den Kontakt zum Unrast-Verlag hergestellt.

Das werde ich tun. Und wie bist Du in dieses Buch hineingekommen?

An unserem Institut sind einige Leute, die in Leipzig wohnen und sich kritisch mit der Stadt auseinandersetzen. Da reifte die Idee, einige unserer Erfahrungen und Forschungsergebnisse in ein gemeinsames Buch münden zu lassen.

In Deiner Vita steht: “Laura Torreiter M.A. lebt und arbeitet in Leipzig. Sie studierte zuvor…” – und dann kommen Köln, Weimar etc. Als was arbeitest Du denn genau?

Zeitweise bin ich an der Universität Weimar beschäftigt. In Leipzig bin ich in Teilzeit im Textileinzelhandel angestellt und arbeite an meiner Dissertation.

Eben. Du schreibst Deine Dissertation. Worum geht es denn da genau? Und wie kamst Du zu diesem Thema?

Auf Leipzig aufmerksam wurde ich durch die Rückbaudebatte während der 2000er Jahre, als in Leipzig, wie in anderen ostdeutschen Städten, Gründerzeithäuser, für die ich mich als Kunsthistorikerin sehr begeistere, abgerissen wurden. Nach einiger Recherche hat ein Thema mein Interesse geweckt. In meiner Dissertation geht es um Hauseigentümer mit Migrationshintergrund, deren Häuser unter Denkmalschutz stehen.

In der Zeit, als Leipzig und besonders die östlichen Stadtgebiete von Einwohnerrückgang und Leerstand betroffen waren, kauften einige Leute mit anderem kulturellen Hintergrund Häuser und sanierten diese. In meiner Arbeit beleuchte ich die unterschiedlichen Perspektiven der Denkmalpfleger und Hauseigentümer auf den Umgang mit den Baudenkmalen und auf die Entwicklung der Quartiere.

Aus Deiner Sicht – ist es möglich wirklich und konsequent eine Stadt für ALLE zu bauen? Und wie würde diese ganz konkret aussehen, falls sie überhaupt möglich ist. Hast Du da Ideen?

Eine Stadt für Alle ist theoretisch möglich, doch hängt Vieles von politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern ab. Zudem werden der Immobilienmarkt, die Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik sowie das Steuer- und Wirtschaftssystem, nicht nur auf städtischer Ebene geregelt. Gute Ideen und Ansätze gibt es einige, nicht erst seit der Recht-auf-Stadt-Bewegung. Unter einer Stadt für Alle verstehe ich konkret bezahlbaren Wohnraum, angemessen bezahlte Arbeit, eine gerechte Steuerbelastung, Perspektiven für die junge Generation und die gesellschaftliche Integration von Senioren. Das bezieht sich eigentlich auf alle Menschen, nicht nur in den Städten.

Leipzigs derzeitige Entwicklung wirft täglich neue Fragen auf. Diese – und die daraus resultierenden Krisen – müssen zeitnah beantwortet und gelöst werden, damit sie sich nicht auswachsen. Ist dies denn überhaupt zu schaffen? Und wer macht sich in der Gemengelage eigentlich für die Stillen stark? Die Studenten demonstrieren ja laut und sichtbar. Aber die Omi aus dem Nachbarhaus …

Die mindeste Möglichkeit zur Mitbestimmung, die der Bürger hat, ist die Wahl. Zu diskutieren wäre eine direktere Demokratie mit mehr Bürgerentscheiden. Für die Stillen machen sich nur Wenige stark. Wenn man seine Ideen verwirklicht haben will, darf man nicht still sein. Man muss sich mit viel persönlichem Engagement für die Sache einsetzen, sonst kann man lange warten.

Wenn Deine Dissertation dann irgendwann auf die Welt gebracht wurde – wie sieht dann Dein Leben aus? Wie geht es weiter? Träume, Ziele, Visionen?

Mein Wunsch nach dem Abschluss meiner Dissertation ist eine Stelle an einer Universität oder Forschungseinrichtung, in den Fachbereichen Stadt- und Sozialgeographie oder Kulturerbe- und Denkmalforschung.

Danke, liebe Laura. Auf dass unsere Stadt irgendwann achtsam wird.

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