Wie bilden sich eigentlich Gefühlslagen heraus in Leipzig? Durch das tägliche Erleben? Oder doch über die Medienberichterstattung? Oder durch beides? Manches deutet darauf hin, dass die Medienberichterstattung einen gut Teil dazu beiträgt, Stimmungslagen zu beeinflussen. Das wird auch deutlich, wenn die Stadt ihre Bürger mal nach der Zufriedenheit fragt. Auch hierzu gibt die Stadtverwaltung in den Bürgerumfragen Punkte vor, die die Befragten ankreuzen können.

Die reichen von “Angebot an Arbeitsplätzen” bis “öffentliche Sicherheit/Schutz vor Kriminalität”. Eine willkürliche Auswahl, auch diese nicht wirklich geeignet, die Bedürfnisse und Erwartungen einer modernen Stadt abzubilden. Auch nicht, um die aktuelle Leipziger Stadtpolitik zu begleiten. Wesentliche Diskussionsthemen der Gegenwart wie Bildungschancen, ÖPNV, Radverkehrsbedingungen, Nahversorgung oder Beteiligungsmöglichkeiten kommen nicht vor. Auch dieses Fragenpaket wirkt wie zusammengewürfelt, als hätte vor allem das Amt für Stadtgrün und Gewässer Interesse daran, die Zufriedenheit der Leipziger zu erfahren, und die anderen Ämter nicht.

Und das Amt für Stadtgrün und Gewässer hat den großen Vorteil: Es gibt jede Menge Grün in der Stadt. Das goutieren die Leipziger, zeigen sich vor allem vom Angebot der Parks und Gärten bezaubert, vom Ausbau der Naherholungsgebiete, dem Zustand der Gewässer und der Sauberkeit der Luft. Die Befragten haben sogar mehrheitlich das Gefühl, das Angebot habe sich verbessert.

Besonders beim “Ausbau der Naherholungsgebiete” sehen die Leipziger Fortschritte. Möglich, dass sich hier die Entwicklung im Neuseenland spiegelt. Aber so genau wurde nicht abgefragt.

Die Werte zur Zufriedenheit mit Grünanlagen und Gewässern übertreffen sogar noch deutlich die Zufriedenheit mit der Entwicklung von Ausbildungsplätzen, Freizeitsportanlagen und Pflegeheimen.

Wie sehr aber das Gesamtbild täuscht und verschiedene Bevölkerungsgruppen das Thema völlig unterschiedlich bewerten, zeigt ein Kommentar der Leipziger Statistiker. Denn irgendwie leben die älteren Leipziger in einer Welt, in der sie sehr viele Aspekte des Stadtlebens viel negativer sehen als die jungen. So sehen die 18- bis 24-Jährigen “das ‘Angebot an Ausbildungsplätzen’ wesentlich entspannter als die Befragten ab 55 Jahren. Auch das ‘Angebot an Freizeitsportanlagen’ wird von den Jüngeren, darunter vornehmlich Studenten und Schülern, positiver bewertet als von älteren Altersgruppen. Die Rentnerinnen und Rentner (65 und älter) als potentiell Betroffene wiederum äußern ihre Unzufriedenheit mit der ‘Versorgung mit Alten- und Pflegeheimen’ …”

Eigentlich hat sich ja auch das Angebot an Arbeitsplätzen seit 2010 deutlich verbessert. Aber eine Angebotsverbesserung bedeutet eben noch nicht, dass die Leipziger zufrieden sind. Die Verbesserung wird in der “Bürgerumfrage” schon gewürdigt – aber die Zufriedenheit geht über ein “teils/teils” noch nicht wirklich hinaus. Denn viele Arbeitsplätze bedeuten eben noch lange nicht, dass es auch gute und gut bezahlte Arbeitsplätze sind.

Und so recht schlüssig waren sich die Befragten bei der Frage, wie sauber Straßen und Plätze in Leipzig sind, auch nicht. Während sie bei den “größten Problemen” durchaus als Problem sehen, dass Straßen und Plätze nicht immer sauber sind, ist die Antwort bei “Zufriedenheit” eher ein Schulterzucken: Zufriedenheit minimal im Plus, Eindruck einer leichten Verschlechterung. Natürlich ist das eine subjektive Einschätzung. Und es gibt genug Zeitgenossen, denen die Arbeit der Straßenkehrer und Scherbenwegräumer egal ist. Aber insgesamt scheint man die Arbeit der Stadtreinigung durchaus zufriedenstellend zu finden, während beim Straßenzustand ein Thema aufleuchtet, bei dem es augenscheinlich immer schlimmer wird.

Ein echtes Medienthema. Genauso wie das Thema “öffentliche Sicherheit/Schutz vor Kriminalität”. In beiden Themenfeldern zeigen die Befragten 2014 nicht nur die höchste Unzufriedenheit, sie schätzen auch noch eine massive Verschlechterung beider Bereiche ein.

Aber die Zufriedenheit hängt nicht nur von der direkten Betroffenheit ab (auch wenn junge Leipziger mit der Versorgung von Kita-Plätzen natürlich höchst betroffen und unzufrieden sind). Aber irgendwie funktioniert die Kommunikation der Jungen mit den Alten nicht so richtig: Nicht nur bei Ausbildungsplätzen können die Älteren die Lage augenscheinlich nicht richtig einschätzen, auch das Angebot an Jugendeinrichtungen bewerten sie deutlich schlechter als die Jungen selbst.

Bei Sauberkeit der öffentlichen Straßen und Plätze klaffen die Meinungen dann endgültig auseinander, sehen die jungen Leipziger einen guten Zustand und die Alten sind höchst unzufrieden mit dem, was sie sehen.

Und genauso klaffen die Bewertungen des Straßenzustands und der öffentlichen Sicherheit völlig auseinander. Als lebten beide Bevölkerungsgruppen in zwei völlig unterschiedlichen Städten. Oder in verschiedenen Informationswelten. Und zumindest von einem Teil dieser teilweise sehr abgeschottenen Gruppen kann man sagen: Sie glauben dann auch wirklich, ihre Sicht sei die einzig richtige und wahre.

Was natürlich, wenn Medien immer nur die Stimmung einer Gruppe aufgreifen und verstärken, dazu führt, dass sich Problemwichtungen verschieben – bis in die Analysen von Stadtverwaltung und Stadtrat hinein. Das Ergebnis ist dann natürlich eine verschobene Schwerpunktsetzung in der Stadtpolitik, manchmal auch eine völlig entgleiste Diskussion. Bis in den Stadtrat hinein. Nur haben die dann oft genug einseitig gewordenen Diskussionen den Nachteil, dass sie Lösungen für die gesamte Stadtgesellschaft erschweren. Vielleicht ist es aber auch schon eine wichtige Erkenntnis, dass ältere Menschen Problemlagen in einer Stadt wie Leipzig von vornherein als schwerwiegender beurteilen – selbst wenn sie von dem Thema nicht selbst betroffen sind. Das hat logischerweise Folgen für den notwendigen Dialog und für die Vermittlung städtischer Projekte.

Und damit hapert es oft genug. Während Bereiche aus der Erholungslandschaft mit Jubilo verkündet werden, stellt auch die Verwaltung das Thema Straßenzustand oft genug selbst als problematisch dar und schafft es auch nicht wirklich, die Fortschritte in diesem Bereich zu kommunizieren. Eine ordentliche Straße wird als selbstverständliche Leistung erwartet (obwohl sie deutlich teurer ist), ein sauberer Park aber verführt zu Zufriedenheit. Vielleicht steckt ja im Stadtbewohner doch noch der alte Waldmensch, der erst glücklich ist, wenn über ihm die Blätter rauschen.

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 5 Kommentare

Danke, Uwe, für den Hinweis. Das ist mir auch schon öfter aufgestoßen. Und nein, Hinweis an Klaus, ich bin keine Lehrerin, aber ich liebe meine Muttersprache.
Ich bin nicht gefragt worden, aber zur Sauberkeit hätte ich z. B. auch geäußert, dass es viel zu wenig Abfallbehälter in den Straßen gibt. Und Haltestellen der LVB, wo sich weit und breit nichts befindet.

Mir stößt schon lange auf, dass in Leipzig gerade die Generation 55+ so unzufrieden ist und mit so nem Gesicht herumläuft. Die angebliche Höflichkeit der Leipziger gibt es nur bei jungen Leuten und bei richtig alten Leuten. So viel Muffligkeit.

Aber hier liegt auch eine Erklärung sehr nahe: Die jetzt 55+-Jährigen sind gerade die, die die “Wende” vor 25 Jahren verkraften mussten, nachdem sie sich im Leben mit Familie, Wohnung und Arbeit überhaupt eingerichtet haben. Dass die Unzufriedenheit selbst nach einem Vierteljahrhundert derart massiv fortbesteht, ist nicht schön. Man muss sich auch mal freuen, dass zwar nicht alles schlecht war, aber heute auch eine ganze Menge besser geworden ist.

Sie waren bzw. sind doch bestimmt Lehrer u.a. für Deutsch. Oder irre ich mich? Auch das soll kein Gemecker sein.

Heute mal off-topic.

Ich finde ja die l-iz toll und auch, dass Ihr Themen aufgreift, die in anderen Medien eher untergehen.
Zum wiederholten Mal habe ich aber beim Lesen Bauchschmerzen mit dem “inflationären” Gebrauch von (nebenordnenden) Konjunktionen am Satzanfang (hier: 6x Und, 5x Aber, 2x Denn, 3x Oder, …).

[Die nebenordnenden Konjunktionen stehen zwischen zwei Hauptsätzen, zwei Nebensätzen oder zwei Satzteilen, und verbinden diese so miteinander. Häufige und unkontroverse Beispiele für nebenordnende Konjunktionen im Deutschen sind: und, oder, aber, denn, doch, sondern, sowie, das heißt. ]

Sicherlich kann man in Ausnahmefällen auch mal eine Konjunktion am Anfang eines Satzes stehen haben, aber in dieser Häufung ist es irgendwie irritierend…

Soll kein Gemecker sein, eher ne Anregung, mal drüber nachzudenken 😉

Schreiben Sie einen Kommentar