Irgendwann wundert man sich nicht mehr. Da fasst man sich nur noch an den Kopf, weil in den Köpfen der deutschen Finanzplaner die alte Interzonengrenze noch immer die Welt vermauert. Gerade wieder gezeigt anhand der am Mittwoch veröffentlichten Steuerschätzung. Da gibt es auch 25 Jahre nach der Herstellung der Deutschen Einheit immer noch Bundesländer der Kategorie A und B. Und Berlin liegt im Westen. Da kann einfach keine gescheite Politik draus werden.

Und gescheite Analysen zu wirtschaftlichen Entwicklungen auch nicht. Eher schafft es ziemlich schräge Argumente auch für Sachsens Finanzminister Georg Unland (CDU), der aus dieser weltfremden Aufteilung des Landes dann auch Halbjahr für Halbjahr eine fröhliche Interpretation für die sächsischen Steuereinnahmen malt, die sich immer wieder als viel zu negativ gemalt herausstellt. Immer hübsch in Halbjahresschritten.

Das wird auch für das zutreffen, was Georg Unland gleich am Mittwoch, 4. Mai, vermelden ließ.

In der an diesem Tag zu Ende gegangenen Sitzung des Arbeitskreises „Steuerschätzungen“ sind die gesamtstaatlichen Einnahmeerwartungen für die Bundesrepublik nach oben korrigiert worden. Darüber schrieben die Medien im ganzen Land mit großem Staunen.

„Für die öffentlichen Haushalte insgesamt sind das angesichts der aktuellen Herausforderungen zunächst gute Nachrichten. Die Schätzung zeigt allerdings, dass die Dynamik in Ostdeutschland erheblich hinter der westdeutschen Entwicklung zurück bleibt. Die Schere zwischen Ost und West geht weiter auseinander“, erklärte Finanzminister Prof. Dr. Georg Unland dann gleich mal.

Obwohl genau das aus der Steuerschätzung nicht ablesbar ist. Was an diesen seltsamen Bundesländern A und B liegt. Denn in der seltsamen Geografie der Steuerschätzer umfasst das Gebiet A neben den alten Bundesländern auch Berlin samt Ostberlin. Nur die fünf ostdeutschen Flächenländer bilden Gebiet B. Diese Geografie verkennt völlig, welche Rolle Berlin mittlerweile als wichtigster Metropolkern im Osten spielt.

Es macht einen Unterschied, ob man die 18 Milliarden Euro Steuereinnahmen für Berlin dem Gebiet A zuschlägt oder dem Gebiet B.

221 Milliarden Euro im Gebiet A zu 47 Milliarden Euro an Steuereinnahmen im Jahr 2015 im Gebiet B sehen doch ein Stückweit anders aus als 203 zu 65 Milliarden. Damit läuft der Löwenanteil der Steuereinnahmen zwar trotzdem im Westen auf, aber der Osten sieht wirtschaftlich nicht ganz so kläglich aus und die wirtschaftliche Motorrolle Berlins für den Osten wird nicht einfach unterschlagen.

Denn Berlin legt natürlich im Osten derzeit die stärkste wirtschaftliche Entwicklung hin. Das sollte sich auch in der Steuerprognose abbilden. Denn wenn sich Metropolstrukturen stabilisieren, führt das auch zu mancher Überraschung für Finanzminister. Denn damit rechnen sie einfach nicht. Das passt einfach nicht in das föderale Denksystem, bei dem im Grunde noch in mittelalterlichen Länderstrukturen gedacht wird, die auch im Osten schon lange nicht mehr mit den wirtschaftlichen Netzstrukturen übereinstimmen.

Wo dann so ein Denkfehler der alten Schule beginnt, bringt das Sächsische Finanzministerium hier auf den Punkt: „Während die Beschäftigung und die Löhne stärker steigen sollen, wurden die Zuwächse bei den Unternehmensgewinnen verhaltener eingeschätzt. Insgesamt soll die deutsche Wirtschaft im laufenden Jahr real um 1,7 % wachsen. Für 2017 wird ein Anstieg von 1,5 % erwartet.“

Aber gerade Umsatz- und Einkommenssteuer teilen sich Bund und Länder. Wenn also der Konsum zunimmt, steigen die Umsatzsteuern. Und dasselbe tun sie, wenn mehr Menschen in Arbeit kommen. Selbst in Berlin gibt es aller halben Jahre das große Staunen, dass man sich bei der Prognose wieder um dreistellige Millionenbeträge zu niedrig eingepegelt hat.

In Sachsen ist der Schätzfehler noch größer, weil der Finanzminister auf die Berliner Prognosen immer noch einen Vorsichts-Abschlag gibt. Im Ergebnis nimmt er dann im Lauf des Jahres hohe dreistellige Millionenbeträge zusätzlich ein.

Zusätzlich ist er extrem auf die exportorientierte Wirtschaft in Sachsen fixiert.

Georg Unland: „Das Wachstum in Deutschland wird überwiegend von der Binnennachfrage getragen, in erster Linie vom Konsum und privaten Wohnungsbau. Dagegen spüren die Unternehmen die Schwäche der Weltwirtschaft sowie den zunehmenden Druck auf ihre Wettbewerbsfähigkeit. Das außenwirtschaftliche Umfeld bleibt weiterhin von vielen Risiken geprägt, nicht nur durch die geopolitischen Krisenherde.“

Die Auswirkungen der Mai-Steuerschätzung für die Landesebene sowie die Kommunen in Sachsen werden nun berechnet und in den kommenden Wochen vorgestellt, kündigt sein Ministerium an. Die Ergebnisse werden Grundlage des Regierungsentwurfs für den Doppelhaushalt 2017/2018 sein.

Irgendwann um das Jahr 2020 wird dann ein sächsischer Finanzminister beiläufig verkünden, dass die ganze Schwarzmalerei um das Abschmelzen des Solidarbeitrags völlig übertrieben war, weil parallel die eigenen Steuereinnahmen in einem Maß gewachsen sind, wie es sich Sachsens Regierung bis 2010 nicht wagte auszumalen. Da ging man eher mit einem winzigen Wachstum von vormals 9 auf 10 bis 11 Milliarden Euro aus. Das hätte natürlich nie und nimmer gereicht, um die Funktionsfähigkeit des Freistaats aufrechtzuerhalten.

Aber statt mit 11 Milliarden irgendwie durchzukommen, konnte Unland das Jahr 2016 schon mit 12,62 Milliarden Euro planen. Nach der Novembersteuerschätzung stünden schon 12,86 Milliarden zur Verfügung. Jetzt – mit dem möglichen Aufschlag von 0,9 Prozent – könnten es schon 12,97 Milliarden sein. Wobei nicht überraschen würde, wenn Sachsen in diesem Jahr sogar die 13 Milliarden schafft.

Ergebnis der Mai-Steuerschätzung mit der unsinnigen Teilung nach Gebiet A und B.

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