Am Donnerstag, 14. Juli, reagierte die Stadt Delitzsch ziemlich empört darauf, dass Ulrich Fiedler, Leiter der Unteren Naturschutzbehörde des Landkreises Nordsachsen, einfach Nägel mit Köpfen gemacht hat und die einstweilige Sicherstellung des beabsichtigten Naturschutzgebietes „Werbeliner See“ verordnet hat. Damit sind Investitionen am See erst einmal Riegel vorgeschoben.

Dabei hatte der Delitzscher OBM Dr. Manfred Wilde doch am 6. Juli extra mit Bürgermeisterkollegen am Werbeliner See Einigkeit demonstriert. Man will Erholungsinfrastruktur an dem See haben. Auch wenn der seit 2005 geflutete See zwischen Delitzsch und Leipzig sich längst zu einem Vogelparadies entwickelt hat. Als Vogelschutzgebiet ist er schon ausgewiesen.

Ohne mit den Anrainerkommunen, wie auch der Stadt Delitzsch, nochmals Einvernehmen zu Fragen des Vogelschutzes und Entwicklungsmöglichkeiten am Werbeliner See herstellen zu wollen, habe der zuständige Beigeordnete des Landratsamtes Nordsachsen, Ulrich Fiedler, im Sächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt vom 13. Juli 2016 die Verordnung über die einstweilige Sicherstellung des beabsichtigten Naturschutzgebietes „Werbeliner See“ veröffentlicht, beschwert sich die Delitzscher Stadtverwaltung.

Datiert sei die Verordnung auf den 23. Juni – justament der Tag, an dem der Delitzscher Stadtrat die „Delitzscher Erklärung zum Werbeliner See“ beschlossen hatte. Der Zeitpunkt ärgert die Delitzscher, denn so konnte die Stadt Delitzsch zum Verordnungsentwurf nicht umfassend und abschließend Stellung nehmen. Eine Bitte um Verlängerung der knappen Rückmeldefrist hatte die Untere Naturschutzbehörde (UNB) des Landkreises abgelehnt. Rechtswidrig, findet man im Delitzscher Rathaus.

„Wie hier ein Dezernat das Wohl einer ganzen Stadt torpediert, das ist schon bemerkenswert“, meint der Delitzscher Oberbürgermeister Dr. Manfred Wilde. „Die Kommunikation der Unteren Naturschutzbehörde hat mit uns quasi nicht stattgefunden. So darf moderne Verwaltungsarbeit in Deutschland nicht funktionieren!“

Die Sicherstellungsverordnung trat am Donnerstag, 14. Juli, in Kraft. „Für die Bürger bedeutet das: Baden verboten! Das Verlassen der Wege ist verboten! Die Stadt Delitzsch zieht in Erwägung, den Sachverhalt rechtlich prüfen zu lassen“, heißt es aus dem Delitzscher Rathaus.

Und man verweist auf die in den Braunkohleentwicklungsplänen vorgesehene touristische Folgenutzung eines nördlichen Randbereichs des Werbeliner Sees.

Mit den Braunkohleentwicklungsplänen wurde vor 16 Jahren zumindest in Konturen festgelegt, was aus den Tagebaurestlöchern einmal werden sollte. Dabei spielten nicht nur die Wünsche der Region nach neuen Erholungsmöglichkeiten eine Rolle, sondern auch die spezifischen Potenziale des Sees. Der Werbeliner See ist einer von sechs neu entstandenen Seen im Raum Delitzsch. Und ganz so felsenfest, wie man das in Delitzsch interpretiert, war das mit dem Baden im Nordbereich des Sees nicht festgelegt. Aus gutem Grund.

Im Braunkohlenplan „Tagebau Delitzsch-Südwest/Breitenfeld“ kann man unter Ziel 14 „Folgenutzung“ nachlesen: „Der Werbeliner See ist zu einem Landschaftssee zu entwickeln. Eine  Option auf eine Badenutzung soll offen gehalten werden.“

Landschaftssee deshalb, weil er von allen Tagebaurestlöchern die vielfältigste Ufergestaltung hat. Da konnte man schon 1999, mit Beginn der Flutung mit Recht vermuten, dass sich hier binnen kurzer Zeit eine reichhaltige Flora und Fauna entwickeln und ansiedeln würde. Das wollte man nicht von vornherein verbauen, wohl wissend, dass auch so ein Rückzugsgebiet zum Beispiel für Wasservögel dringend gebraucht würde im Leipziger Raum.

Von Investoren oder Nutzungen, die über den Badebetrieb hinausgehen, ist im Braunkohlenplan keine Rede. Das ist jetzt das Delitzscher Dilemma, wo man schon mal vorgeprescht ist und einen Investor gebunden hat, der am See ein Reitsportdomizil errichten möchte.

Entsprechend formuliert die Stadt Delitzsch zur Unterschutzstellung: „Dies passiert gerade zu dem Zeitpunkt, als hier ein Investor Flächen von der Stadt Delitzsch erwerben will. Mit den ausgewiesenen Flächen geht die UNB weit über die als EU-Vogelschutzgebiet festgelegten Areale hinaus.“

Und was den einen zu groß ist, ist den anderen zu klein, denn aus Sicht des Naturschutzbundes (NABU) ist der Reichtum der Vogelwelt am Werbeliner einmalig. Die Unterschutzstellung findet logischerweise große Zustimmung. Bereits seit Jahren trete der NABU für die jetzt erfolgte Unterschutzstellung des Gebietes ein, betont der Umweltverband. Es sei auch der Lohn für die jahrelange Arbeit von vielen ehrenamtlich tätigen Mitgliedern.

„Allerdings hätten wir uns das Gebiet etwas größer gewünscht. Insbesondere im angrenzenden nördlichen und südlichen Bereich liegen nach unserer Auffassung die fachlichen Voraussetzungen hierfür vor“, erklärt dazu Joachim Schruth vom NABU Sachsen. Die nun ausgewiesene Fläche sei, so betont er, – entgegen anderer Behauptungen – wesentlich kleiner als die des europäischen Vogelschutzgebietes. Dies ist mit etwa 7.000 Hektar fast sechsmal so groß und umfasst weite Agrarflächen, welche unter anderem in den Wintermonaten vielen Vogelarten als Rastflächen dienen. Der Werbeliner See selbst ist 450 Hektar groß.

Dennoch stelle die Rechtsverordnung eine gute Grundlage dar, um das Gebiet im Sinne des Naturschutzes zu entwickeln. Was auch nicht bedeute, dass dem Gebiet „eine Glashaube übergestülpt“ wird.  Denkbar wäre aus Sicht des NABU die Errichtung einer Naturschutzstation, die über die Entwicklung des Gebietes sowie die naturschutzfachlichen Besonderheiten des Sees informiert und eine Betreuung der Flächen übernimmt. Denn schließlich sei das Gebiet um den Werbeliner See nicht irgendein Naturschutzgebiet, sondern insbesondere für die Ornithologen ein absoluter Hotspot.

Wenig Verständnis zeigt der NABU Sachsen für die teils schroffe ablehnende Haltung einiger Kommunen.

„Die Kommunen partizipieren von europäischen Förderprogrammen wie EFRE und LEADER, die es erlauben, regionale Entwicklungsprojekte zu finanzieren. Da muss gleichermaßen auch das Europarecht auf dem Gebiet des Naturschutzes respektiert und umgesetzt werden. Und nichts anderes hat die Landkreisverwaltung getan“, erklärt Joachim Schruth.

Wobei immer betont werden muss: Dass sich das Leben auf dem See so entwickelt, war 1999 noch nicht abzusehen. Aber als der Braunkohleentwicklungsplan aufgestellt wurde, war man sich sehr wohl bewusst, dass gerade mit diesem See schonend umgegangen werden müsse. Da heißt es unter anderem: „Der Werbeliner See (Hauptrestloch Delitzsch-Südwest) weist aufgrund seiner unterschiedlich strukturierten Uferlinie (Kippenböschungen im West- und Nordteil, unverritzte Böschungen im Ostteil) sowie der damit verbundenen Variabilität der Lebensräume (Flachwasserzonen, Sukzessionssäume, potentielle Kliffe) einen im Vergleich zum Schladitzer See hohen Wert für die Aufwertung von Natur und Landschaft auf. Zugleich bieten sich sein Ostufer und insbesondere der Bereich der Tagesanlagen für eine Erschließung für Erholungszwecke an. (…) Mit seiner Gestaltung als Landschaftssee soll eine gegenüber dem Schladitzer See deutlich geringere Nutzungsintensität bewirkt werden. Eine Badenutzung stellt dabei ein gegenüber Breitenfeld nachrangiges Anliegen dar.“

Baden war also auch damals schon eher für den Schladitzer See angedacht, für den Werbeliner See nur als mögliche Option, ohne dass die Entwicklung zum Vogelparadies so absehbar gewesen wäre.

In eigener Sache

Dein Leipzig. Deine Zeitung. Deine Entscheidung. Werde Unterstützer!
Viele gute Gründe gibt es hier.
Überzeugt? Dann hier lang zum Kombi-Abo „LZ & L-IZ.de“ für 59,50 EUR/Jahr

Mehr zum Thema auf L-IZ.de: Bürgermeister träumen vom Tourismus, Experten warnen vor einem Verdrängungswettbewerb an den Seen

Bürgermeister träumen vom Tourismus, Experten warnen vor einem Verdrängungswettbewerb an den Seen

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 2 Kommentare

Die LMBV maßt sich nicht an, Eigentümer zu sein, sie ist es. Und als solcher favorisiert die LMBV eine motorisierte Gewässernutzung. Begonnen mit dem Lausitzer Seenland. Dessen Entwicklung über die Braunkohlepläne (ein Sonderfall von Regionalplänen) nach Leipzig transferiert wurde.
Der Werbeliner See ist ein Feigenblatt, den Frevel an den übrigen Seen zu überdecken.
Der NABU ist ein handzahmes Kätzchen.
Und Motorboot fahren hat mit Erholung nicht das Geringste zu tun.
Und um Erholung, im hier gemeinten Sinne, Naherholung, ist für die Verwaltung nur das Vehikel, Tourismus zu fördern.
Kann man machen. Dann muß man das aber auch sagen und nicht die Bevölkerung und deren vermeintlichen Willen missbrauchen, um ganz andere Ziele zu verfolgen.
Tourismus hat mit Naherholung nichts zu tun.

Naturschutz ist eine gute Sache, undiskutabel.
Aber Naturschutz darf nicht über die Bedürfnisse der Menschen stehen, jedenfalls nicht uneingeschränkt.
Den Menschen hier in der Regio waren und sind (sprich Grundwasserspiegel anstieg etc.) durch die Kohle massivst in Mitleidenschaft gezogen worden.
Nun mässt die LMBV und der Nabu sich an, die geflutete Seen anzueignen. Dies stösst auf unverständnis bei den Menschen! Wie gesagt Naturschutz ist eine gute und Notwendige Sache , nur nicht um jeden Preis. Es muss Ausreichend Spielraum geben die Bevölkerung Erholungs- und Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten. Ungeeignet, und vorallem nicht nachvollziehbar sind die vom NABU geforderten und von den LK Nordsachsen und Leipzig auferlegten Benutzungsbeschränkungen an den Seen!
An den Leipziger Seen gibt es “fast” nur ein – und Beschränkungen( sprich Bootsgebrauch!!) und wenn nicht, ist und wird alles Kommerzialisiert (sprich alles zu Zahlen)!!! Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Naturschutz und Bevölkerungswille ist herzustellen und nicht so wie es jetzt gehandhabt wird nur zu Gunsten des Absoluten Naturschutz, dieses führt nur zu Unbehagen und Widerstand in der nach Erholungmögilkeiten suchende Bevölkerung!

Schreiben Sie einen Kommentar