Am Dienstag, 7. März, beginnt der Prozess gegen die Anhänger der mutmaßlich rechtsterroristischen „Gruppe Freital“. Einer von mehreren rechtsradikalen Gruppen, die in Sachsen in den vergangenen Jahren Anschläge verübten und im Schatten der fremdenfeindlichen Proteste regelrecht auftrumpften. Die sogenannte „Gruppe Freital“ ist nur eine dieser bekannt gewordenen terroristischen Gruppierungen.

Lange schienen die sächsischen Ermittler regelrecht zu ignorieren, wie die rechtsradikalen Netzwerke agierten. Dass sie dabei längst zu richtigen Terrorgruppen geworden waren, akzeptierte Sachsen sehr spät – bei der „Gruppe Freital“, die sich – nach einer Freitaler Buslinie – selbst „Bürgerwehr FTL/360“ nannte, dauerte es im Grunde bis zum April 2016, als die Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen gegen die Gruppe übernahm. Zuvor hatten die sächsischen Behörden stets nur gegen mehrere Beschuldigte ermittelt, denen mehrere schwere Anschläge zur Last gelegt wurden. Aber die Konsequenz, die fünf, mittlerweile sieben Verdächtigen, als terroristische Vereinigung zu behandeln, zog dann erst die Generalbundesanwaltschaft. Das bestätigte Innenminister Markus Ulbig (CDU) im August 2016 auf Nachfrage der linken Landtagsabgeordneten Juliane Nagel.

Und die Gruppe ist kein Einzelfall in den sächsischen Strukturen der gewaltbereiten Rechtsradikalen.

„Fast zwei Jahre nach Gründung der ‚Bürgerwehr Freital‘ beginnt endlich die juristische Klärung der rechtsmotivierten Anschlagsserie im Raum Freital und Dresden. Von der Hauptverhandlung erwarte ich eine Aufarbeitung der äußerst gewalttätigen Phase, in die der moderne Neonazismus in den vergangenen beiden Jahren in Sachsen eingetreten und die bis heute nicht ausgestanden ist“, kommentiert Kerstin Köditz, Sprecherin für antifaschistische Politik der Linksfraktion im Landtag, den Stand der Dinge. „Die ‚Gruppe Freital‘ war ein Hauptprotagonist dieser Entwicklung – aber längst nicht der einzige. In dem Zusammenhang sind etliche gewalttätige Angriffe und rassistische Ausschreitungen, nicht nur in Freital, bis heute ungeklärt und ungesühnt.“

Und bei einigen namhaft gewordenen Gruppen beißen auch die Landtagsabgeordneten mit ihren Anfragen immer wieder auf Granit. Die Akteure sind oft genug weiterhin auf freiem Fuß, Prozesse verzögern sich, die Täter werden als Kleinkriminelle behandelt, auch wenn sie sich zu ihren Straftaten immer wieder gemeinsam verabredet haben. Gerade die lautstarken PEGIDA-Proteste haben solche rechtsradikalen Gruppen dazu genutzt, ihre Anschläge gegen Asylunterkünfte, Moscheen und Parteibüros zu verstärken. Oft sind es wirklich nicht mehr als eine Handvoll Personen wie in Freital, die glauben, die herrschende Stimmung nutzen zu können und die Lage noch weiter aufheizen zu können.

Mit einiger Konsequenz hätten Sachsens Ermittler schon wesentlich früher eingreifen und viele dieser Anschläge verhindern können.

„Ich erwarte außerdem ein klares Zeichen, dass die Zeit des Wegschauens, in der man alles verhätschelt hat, was auf der Pegida-Welle mitgeschwommen ist, vorbei ist. Dafür müssen die militanten Netzwerke ausgeleuchtet werden, die hinter den braunen Gewaltexzessen der jüngsten Zeit stehen“, benennt Kerstin Köditz ein überfälliges Thema. Denn die rechtsradikalen Gruppen sind zwar sehr lose vernetzt, haben sich von den leicht zu beobachtenden Strukturen der NPD gelöst und kommunizieren vor allem über die neuen Medien. Immer wieder redet Sachsens Innenminister davon, die entsprechenden IT-Abteilungen der Polizei ausbauen zu wollen – findet aber nicht genügend Bewerber dafür.

Aber gerade das wird notwendig, wäre schon vor Jahren nötig gewesen. Denn die Entwicklung in diesen sich immer loser vernetzenden radikalen Gruppen wurde selbst vom sonst gar nicht so auskunftsfreudigen Verfassungsschutz beobachtet und benannt. Aber hat man die personellen und technischen Konsequenzen daraus gezogen?

„Die ‚Gruppe Freital‘ ist nur ein kleiner Ausschnitt davon, die buchstäbliche Spitze des Eisberges, und es stehen längst nicht alle mutmaßlichen Unterstützer vor Gericht. Schon die Bezeichnung ‚Gruppe Freital‘ ist eine Irreführung, denn lokale Beschränkungen und klare Grenzen zu anderen Strukturen – etwa zur ‚Freien Kameradschaft Dresden‘ – bestanden offenbar nicht“, stellt Köditz fest.

Im Gegenteil: Wenn es zu gemeinsamen Demonstrationen und Großaktionen wie im Januar 2016 in Connewitz kommt, dann agieren diese losen Gruppen erstaunlich gut organisiert miteinander. Nur die Ermittler haben dafür entweder nicht die Mittel, diese Entwicklungen zu erkennen. Oder das Thema wurde absichtlich kleingehalten. Zögern und Abwarten statt konsequenter Ermittlungsdruck.

Kerstin Köditz: „Vor Gericht kann allerdings nicht vorangegangenes Staatsversagen wettgemacht werden. Tatsache ist: Die Staatsregierung und ihr sogenannter Verfassungsschutz haben sich für die Freitaler ‚Bürgerwehr‘ zunächst nicht interessiert. Die treibenden Kräfte – darunter einige der Angeklagten – waren sofort erkennbar, propagierten unter Klarnamen Gewalt. In dieser Radikalisierungsphase hätte eingegriffen werden müssen. Eingeschritten wurde auch dann noch nicht, als die Anhänger Sprengübungen durchführten und damit regelrechten ‚Wehrsport‘ trieben. Dass die ‚Gruppe Freital‘ zunächst unbehelligt wüten und Menschenleben aufs Spiel setzen konnte, zeigt auch: Lehren aus dem NSU wurden ausgerechnet in Sachsen nicht gezogen.“

Na ja. Das „ausgerechnet“ passt nicht ganz. Zu deutlich haben ja die beiden NSU-Untersuchungsausschüsse gezeigt, dass Sachsens Regierung nicht allzu genau wissen wollte, was in Chemnitz und Zwickau wirklich schiefgelaufen ist. Zu viele Akten verschwanden, zu viele hochdekorierte Zeugen wollten sich nicht erinnern können. Das gibt schon ein Bild. Da kann man gespannt sein, was der Prozess gegen die „Gruppe Freital“ nun ans Licht bringt – und was nicht.

Die Auskunft an die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Die Linke) vom August 2016. Drs. 5818

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