Die L-IZ analysierte das "Tourismuswirtschaftliche Gesamtkonzept” für die Gewässerlandschaft im mitteldeutschen Raum, von den Autoren schon einmal forsch "Masterplan" genannt, am 20. Februar. Die LVZ hat am 17. Februar drüber berichtet - nicht ganz so gründlich. Da verließ man sich lieber auf die Aussagen der Leute, die das Papier bestellt und erarbeitet hatten. Wolfgang Stoiber, Vorsitzender des NuKla e.V., schrieb den Kollegen im Peterssteinweg dazu seine Meinung. Und wurde am 20. dafür von der LVZ gerügt.

Sie brachte nicht seine komplette Stellungnahme. Die gibt’s dafür auf der L-IZ zu lesen. Die LVZ griff nur einen Absatz heraus, in dem Wolfgang Stoiber die Zahlen zum Tourismus und vor allem die zu den Beschäftigungseffekten im Wassertourismus in Frage stellte.

“Und dann sind da noch die ebenso fantastischen, angeblich zu erwartenden finanziellen Einnahmen, die exorbitante ‘Wertschöpfungseffekte’ auslösen werden. Als ‘Beweis’ wird dann angeführt, dass diese Effekte in den vergangenen 10 Jahren 31 Milliarden Euro betrugen, und es wird suggeriert, dass ein Wassertourismus diese Effekte erzeugte – den es doch aber da noch gar nicht gab. Und gleich überzeugend wird tollkühn behauptet, 54.200 Arbeitsplätze hingen hiervon ab”, schrieb er.

Das hätte man durchaus aufdröseln können. Aber dafür hatte man in der LVZ augenscheinlich keinen Platz in dem Kurzbeitrag, der betitelt war mit: “Ökoverein ätzt gegen Tourismuswirtschaft”.

“Das, was er (der Gewässertourismus, d. Red.) in und um Leipzig biete, seien nur ‘Teilzeit- und befristete Jobs im Niedriglohnbereich’, sagte Vereinschef Wolfgang Stoiber”, schrieb nun die LVZ. “Nach dem in der vorigen Woche vorgestellten Masterplan 2030 für die mitteldeutsche Gewässerlandschaft entfielen 54.200 Arbeitsplätze im Jahr 2011 auf die Tourismusindustrie. Tagesbesucher und Übernachtungsgäste ließen in zehn Jahren 28 Milliarden Euro in der Region.”

Mit solchen Zahlen kann man tatsächlich das Volk veralbern. Oder sollten wir an dieser Stelle ein anderes Wort benutzen? Ein stärkeres?

Wie die Zahlen zustande kamen

Ein ganzes Kapitel – über 20 Seiten – werden in der 300 Seiten starken Vorlage allein darauf verwandt, die Zahlen zum Tourismus in der Region aufzubereiten. 28 Milliarden Euro klingen schon ganz schön. (Die fehlenden 3 Milliarden zu den 31 Milliarden entfallen auf die Kulturinvestitionen der Kommunen.) Aber das ist die Gesamtsumme für die Jahre 2002 bis 2012. Also nicht nur für zehn Jahre, wie die LVZ herausgefunden hat, sondern für elf Jahre.

Im Jahresschnitt also nur 2,5 Milliarden Euro. Ist das viel? Ist das wenig?

Es ist wenig. Zumindest waren die Autoren der Studie so fair, diese Zahlen prozentual in Vergleich zu setzen. Zu finden auf den Seiten 90 und 91.

An der Bruttowertschöpfung in der Region hat die gesamte Tourismuswirtschaft danach einen Gesamtanteil von 3,1 Prozent. Das sind die 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Auf Übernachtungsgäste entfielen 2012 1,2 Milliarden. Bei den Tagesgästen haben sich die Ersteller der Studie lieber zurückgehalten und nur den Durchschnitt für die elf Jahre angegeben: 1,6 Milliarden Euro. Denn wer das Papier genauer liest, findet auf Seite 83 die erstaunliche Tatsache, dass der Tagesumsatz von Tagesreisenden seit 2002 deutlich zurückgegangen ist.

Das haben die Autoren der Studie natürlich nicht aus den statistischen Zahlenwerken – das wäre viel zu kompliziert. Sie berufen sich dabei auf regelmäßige Ermittlungen der dwif-Consulting GmbH, die ermittelt, was Tagestouristen so im Schnitt ausgeben, wenn sie mal unterwegs sind. Der jüngste Wert für 2013: 28,30 Euro pro Kopf.

57 Millionen Tagesreisende pro Jahr?

Ob tatsächlich jedes Jahr 57 Millionen Tagesreisende in die Region kommen, weist auch keine Statistik aus. Das ist der Punkt, wo wieder so ein hübsches “eigene Berechnungen” in der Grafik steht. Die Autoren haben einfach mal zu Grunde gelegt, dass auf eine Übernachtung rund 12 Tagesreisen kommen.

Eine Zahl, die wir an dieser Stelle einmal gründlich in Frage stellen. Denn bundesweit gilt hier offiziell ein Verhältnis von 1:7. Es gibt Regionen, in denen das Verhältnis höher ist, weil vor allem attraktive Metropolen einen höheren Anteil an Tagesreisen generieren.

Die dwif-Consulting GmbH (auf die sich die Autoren der Studie auch hier beziehen), kamen für den Zeitraum von Mai 2012 bis April 2013 auf 30,3 Tagesausflüge pro Einwohner – insgesamt 2,4 Milliarden im Jahr. Bundesweit.

Dazu im Vergleich die Übernachtungszahlen für die Bundesrepublik – hier die Zahl für 2014: 424 Millionen.

Taschenrechner rausholen

Da kann, wer mag, seinen Taschenrechner schnappen und dividieren. Das Verhältnis beträgt sogar nur 1: 5,7. Die Autoren rechnen auch noch großzügig einen “grauen Übernachtungsmarkt” hinzu. Aber das würde das Verhältnis nur noch weiter verschieben in Richtung 1:5 oder gar 1:3. Nicht in Richtung 1:12, wie die Autoren in der Studie vorgehen. Womit sich ein Effekt ergibt, und der ist schon sehr bedenklich: Alle hochgerechneten Werte zum Tagestourismus sind fragwürdig.

Und es wäre eher eine Überraschung, dass ausgerechnet die Region Harz, Börde, Halle, Leipzig die beliebteste Zielregion für den Tagesausflug in der Bundesrepublik sein sollte. Wenn die Region Lippe das von sich behauptet, die mit dem Ruhrpott die am dichtesten besiedelte Region Deutschlands vor der Nase hat, dann hat das Gründe – die auf Mitteldeutschland aber eindeutig nicht zutreffen.

Wenn man aber die hochgerechnten Zahlen für den Tagestourismus drittelt – was wohl der Realität näher kommt – dann hat man am Ende nicht 2,8 Milliarden Euro Tourismusumsatz im Jahr, sondern nur noch 1,8 Milliarden. Aus 3,1 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt werden 2,0 Prozent. Und der größte Anteil an diesen 2,0 Prozent entfällt auf den Übernachtungstourismus.

Auf so einer windschiefen Basis haben die Auftragnehmer der Studie ihre Berechnungen aufgebaut. Der Übernachtungstourismus sichert tatsächlich vollwertige Arbeitsplätze in der Region – und alle Beteiligten sind gut beraten, wenn sie dieses Segment stärken.

Der Tagestourismus aber bietet tatsächlich nur wenigen Menschen in der Region ein Auskommen. Die Anteile am gesamten Tourismusmarkt sind so klein, dass faktisch die meisten Jobs nur im Saisongeschäft entstehen.

Erstes Fazit: Wolfgang Stoiber hat recht.

Das zweite Fazit wird erst sichtbar, wenn man auf den vielen Seiten zu Tourismuszahlen im “Gesamtkonzept” nach den Zahlen zum Wassertourismus oder Tourismus allgemein am Wasser sucht: Es gibt sie nicht. Das, worum es in dem ganzen “Masterplan” eigentlich gehen sollte, steht nicht drin. Alle Empfehlungen zum (Wasser-)Tourismus sind auf Luft gebaut.  Oder auf Wasser, wenn man so will.

Und jedes sinnvolle wirtschaftliche Fazit, das man aus dem teuren Papier ziehen kann, lautet schlichtweg: Stärkt den Städtetourismus, macht die touristischen Leuchttürme, die es schon gibt, stark: Leipzig, Halle, Delitzsch, Merseburg, Torgau, Wittenberg, …

Aber lasst die Finger von den falschen Träumen eines irgendwie lukrativen Wassertourismus. Hier muss vorsichtig investiert werden – vor allem und zuallererst für die Bedürfnisse der Region.

Jedes “Leuchtturmprojekt” (und die Ersteller dieses seltsamen “Masterplans” zählen ja gleich zehn auf), sollte mit ganz spitzen Fingern angefasst werden, denn bei jedem einzelnen droht die Gefahr, dass es zu einer Investition wird, die nur Geld verschlingt, aber nie und nimmer einspielt.

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