Der Südraum Leipzig erfährt seit Jahrzehnten große Umwälzungen – doch wie erleben die Menschen vor Ort diese Veränderungen? Eine aktuelle Studie des Fraunhofer ISI (Institutsteil Leipzig) bringt jetzt einige unterschiedliche Perspektiven ans Licht.

Sie zeigt, wo in den vergangenen Jahren Hoffnung gewachsen ist, aber auch, wo Unmut bleibt – und formuliert Impulse an die Politik, die auf dem Engagement der Menschen vor Ort aufbauen.

Die Studie ist Teil des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWK) geförderten Projekts GENESIS, das den Strukturwandel in der Lausitz und in Mitteldeutschland begleitet.

Die Städte und Gemeinden im Südraum Leipzig waren über Jahrzehnte Zentrum des Braunkohlebergbaus und der chemischen Industrie. Heute sind nur noch die Tagebaue Profen und Vereinigtes Schleenhain in Betrieb. Aus den ehemaligen Braunkohlegruben entstanden neue Flächen für Erholung, Tourismus und Industrie – zuletzt der Zwenkauer See als größter der sieben Bergbau-Folgeseen.

Strukturwandel ist für die Menschen in Markkleeberg, Böhlen, Groitzsch oder Pegau kein neues Phänomen. Die Folgen prägen allerdings bis heute den Alltag – etwa bei der regionalen Energieversorgung, qualifizierten Arbeitsplätzen, Bildungs- und Kulturangeboten oder der Identität als Bergbaufolgeregion.

Fünf Perspektiven auf den Wandel

Um die Erfahrungen der Menschen vor Ort für die Politik sichtbar zu machen, hat Dr. Christine Richter, Hauptautorin der Studie und wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Gruppe Innovationsakzeptanz am Fraunhofer ISI in Leipzig, die Vielfalt an Meinungen im Südraum Leipzig mit der sogenannten Q-Methodik qualitativ untersucht.

„Unsere Ergebnisse zeigen, wie unterschiedlich Menschen den Strukturwandel erlebt haben und erleben – zwischen Zuversicht, Skepsis oder Pragmatismus“, erläutert die Sozialgeografin.

Während einige Interviewte den Wandel als Chance sehen, die Region nachhaltig mitzugestalten, kritisierten andere Versorgungsrisiken und gesetzliche Überregulierung, erklärt die Leipziger Wissenschaftlerin. Bürokratie, Abwanderung und Betriebsschließungen prägen auch die Erfahrungen derjenigen, die pragmatisch auf die Transformation blicken. Sie fordern mehr Anerkennung für bereits Erreichtes und betonen die Bedeutung kleiner Initiativen – etwa eines Theaterclubs – für den sozialen Zusammenhalt in der Region.

Weitere Stimmen wünschen sich eine zügige, sozial-ökologische Energiewende und mehr Teilhabe für junge Menschen. Schließlich verweisen manche Interviewte auch auf den wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt seit den 90er-Jahren und betonen, dass Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier nichts Neues sei, so Christine Richter.

Blick über den Markkleeberger See. Foto: Matthias Weidemann
Blick über den Markkleeberger See. Foto: Matthias Weidemann

Aus der Studie ergeben sich fünf Perspektiven: 1. Resilient-zuversichtlich: Strukturwandel wird als Chance für eine nachhaltige Zukunft betrachtet und der bisher eingeschlagene Weg positiv bewertet.

2. Besorgt-kritisch: Es besteht Skepsis gegenüber Veränderungen und der Wunsch nach Sicherheit in der Region durch bedachtsameren Fortschritt.

3. Humanistisch-pragmatisch: Die Region befindet sich mitten in der Energiewende, aber es bestehen strukturelle Herausforderungen.

4. Gesellschaftliche Neuerung: Der Fokus liegt auf Teilhabe und zügiger Neuerung in Richtung sozial-ökologischer Entwicklung.

5. Industrieller Fortschritt: Die Betonung liegt auf wirtschaftlichem und technologischem Fortschritt als Schlüssel zur regionalen Entwicklung.

Impulse für die Politik

„Die Ergebnisse sind zwar statistisch nicht repräsentativ, aber sie zeigen ein differenziertes Bild dessen, wie Strukturwandel im Alltag erlebt wird. Sie geben uns wichtige Hinweise für die Ausgestaltung und politische Steuerung von Strukturwandelprozessen“, betont Dr. Friedrich Dornbusch, Projektleiter von GENESIS und Abteilungsleiter für Regionale Transformation und Innovationspolitik am Fraunhofer ISI in Leipzig.

„Sie machen auch deutlich, dass regionale Zukunft nicht ohne die Anerkennung der bisherigen Erfahrungen und die Einbindung verschiedener Sichtweisen gelingen kann“, ergänzt Richter.

Die Studie formuliert Impulse an Politiker/-innen im Mitteldeutschen Revier. Die Leipziger Forschenden empfehlen unter anderem eine stärkere Förderung lokaler Projekte. Um kritische Stimmen besser mitzunehmen, braucht es laut Richter neben der Sicherstellung der Energieversorgung auch mehr Transparenz über politische Entscheidungsprozesse.

Auch die Vereinfachung bürokratischer Abläufe und eine beteiligungsfreundliche Verwaltungskultur spielen in den Empfehlungen eine Rolle. Junge Menschen könnten durch bildungs- und kulturpolitische Projekte oder soziale Medien stärker eingebunden werden. Und wer den Strukturwandel vor allem als wirtschaftlichen Wandel begreift, erhoffe sich zügige Lösungen für technische und planerische Herausforderungen, so das Projektteam.

Allen Empfehlungen gemeinsam ist der Fokus auf Teilhabe und einen Strukturwandel, der auf dem vorhandenen Engagement und Erfahrungswissen der Menschen vor Ort aufbaut.

Ausblick: Studien zu Großforschungszentren in Arbeit

Die Studie ist im Projekt GENESIS (Gestaltung neuer Entwicklungspfade im Strukturwandel in Sachsen) in enger Zusammenarbeit mit lokalen Akteur/-innen entstanden. Aktuell arbeitet das Forschungsteam in dem von der Bundesregierung geförderten Vorhaben an weiteren Fragestellungen, die unter anderem das Innovationspotenzial und die regionale Einbindung der Großforschungszentren Center for the Transformation of Chemistry (CTC) in Delitzsch und Deutsches Zentrum für Astrophysik (DZA) in Görlitz aus Sicht des Mitteldeutschen Reviers und der Lausitz untersuchen.

GENESIS wird im Bundesprogramm STARK (Stärkung der Transformationsdynamik und Aufbruch in den Revieren und an den Kohlekraftwerkstandorten) noch bis Ende 2027 vom BMWK gefördert.

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