Es war der bislang stärkste Protest gegen den Braunkohlebergbau in der Lausitz, der am Wochenende stattfand. Und auch wohl ein Protest, den selbst der schwedische Energiekonzern so nicht erwartet hätte. Entsprechend dünnhäutig reagierte der Konzern, der noch im Vorfeld versucht hatte, den Protest mit ruhiger Eigenberichterstattung zu begleiten. Und dann zeigte auch noch die sächsische CDU, dass sie gar nichts begriffen hat.

Am Samstag schon begann der Ton des gepiesackten schwedischen Konzerns, der ja seine Kohlesparte gern schnellstmöglich verkaufen möchte, dissonanter zu werden: „Bereits seit gestern blockieren die Kohlegegner massenhaft verschiedene Bereiche des Tagebaus Welzow-Süd sowie Gleise der Kohleverbindungsbahn mit dem Ziel die Brennstoffversorgung des Kraftwerkes Schwarze Pumpe abzuschneiden und ein Stilllegen des Kraftwerkes zu erzwingen.“

Der Betrieb des Kraftwerks musste drastisch heruntergefahren werden.

Dr. Hartmuth Zeiß, der Vorstandsvorsitzende von Vattenfall Europe Mining und Vattenfall Europe Generation, setzte gleich die Vermutung in die Welt, dass die Organisatoren von Ende Gelände das so geplant hätten: „Vor allem dem besonnenen Verhalten unserer Mitarbeiter ist es zu verdanken, dass es unsererseits zu keiner gewalttätigen Eskalation gekommen ist. Für uns ist eindeutig, dass der Zusammenstoß von Seiten Ende Gelände gezielt geplant wurde.“

Beweisen konnte er es nicht, setzte aber am Sonntag noch einmal nach: „Trotz der Beteuerung von den Initiatoren von Ende Gelände genauso wie vom Klima-Camp, dass von den Protesten keine Gewalt ausgeht, zeigen die bis jetzt festgestellten Schäden und die Kraftwerkserstürmung gestern, dass es sich dabei nur um leere Worte gehandelt hat. Tatsächlich wurden von Ende Gelände und aus dem Klima-Camp heraus Gewalttaten begangen.“

Nicht einmal die vor Ort anwesende Polizei sah sich genötigt, die Protestaktion derart zu kritisieren.

Ein weitgehend friedlicher Protest

Am Sonntag, 15. Mai, hatten die Organisatoren bekanntgegeben, dass sie die Massenaktion am Kraftwerk Schwarze Pumpe beendet haben: 48 Stunden lang hatten sie den Tagebaubetrieb und die Verladestation blockiert, für 24 Stunden war das Kraftwerk vom Kohlenachschub abgetrennt. Vattenfall war das augenscheinlich zu viel. Und die heftige Reaktion des Konzerns spricht dafür, dass man den angekündigten Protest in der Größenordnung überhaupt nicht einkalkuliert hatte.

Aber auch die Initiatoren von Ende Gelände waren überrascht, wie viele Teilnehmer der weitgehend friedliche Protest in die Lausitz gelockt hat.

„Das Aktionswochenende hat alle unsere Erwartungen übertroffen“, sagt Hannah Eichberger. Mehr als 3.500 Menschen aus etwa 12 Ländern waren auf dem Klimacamp. Freitag und Samstag sind jeweils mehr als 2.000 Menschen in die Aktion zivilen Ungehorsams gegangen und haben gezeigt, dass sie Kohleausstieg selbst in die Hand nehmen wollen.“

Die Aktion verlief aus Sicht der Organisatoren weitgehend ruhig, gut organisiert und besonnen. Die beteiligten Gruppen hatten sich intensiv auf die Aktion vorbereitet. In einem Aktionskonsens vereinbarten sie, entschlossen Kohleinfrastruktur zu blockieren, aber keine Menschen zu gefährden.

Hannah Eichberger: „Der Aktionskonsens war sämtlichen Bezugsgruppen bewusst und wurde auch in angespannten Situationen und bei  großer Übermüdung beeindruckend konsequent umgesetzt.“

Zu einem kurzen Gerangel mit der Polizei kam es am Samstagnachmittag, als einige Teilnehmer des Protests kurzzeitig das Gelände des Kraftwerks betreten hatten. Das Bündnis ist gerade dabei, den genauen Hergang zu klären, betont Eichberger.

CDU sieht linke Gewalttäter am Werk

Aber genau diesen Vorfall nahmen dann einige CDU-Politiker zum Anlass, um über die ganze Aktion zu wettern. Was natürlich mit der sächsischen Haltung zur Braunkohle zu tun hat, die man unbedingt weiter verstromen will, ohne auch nur Pläne für ein nahes Ende des Kohlezeitalters zu haben.

Und so wird dann auch der Vorfall, den nicht einmal die Polizei dramatisiert, gleich mal so beschrieben: „Am Pfingstwochenende stürmten circa 300 Aktivisten gewaltsam das Kraftwerk ‚Schwarze Pumpe‘. Bei den teilweise gewaltsamen Ausschreitungen wurden 120 Personen vorläufig festgenommen.“

Und der energiepolitische Sprecher der CDU-Fraktion des Sächsischen Landtages, Lars Rohwer, brauchte nicht einen Moment nachzudenken, um gleich mal die Linken als Verursacher des Problems auszumachen: „Mit ihrer Mobilisierung für das sogenannte ‚Klimacamp‘ ist die Linke für den Gewaltausbruch im Lausitzer Braunkohlerevier politisch mitverantwortlich.“

Ein heftiger Vorwurf, auf den Frank Hirche, CDU-Abgeordneter aus Hoyerswerda, noch eins draufsetzte: „Ich erwarte, dass die Vorfälle im Sächsischen Landtag ausgewertet werden, da es keine Frage auf Länderebene ist, sondern eine Frage unserer Region.“ Die „politischen Beobachter“ der Linken-Fraktion des Sächsischen Landtages hätten, so meint er, nicht zur Deeskalation der Gewalt beigetragen, sondern vielmehr noch applaudiert. „Dies ist unverantwortlich und durch nichts zu rechtfertigen, auch nicht mit dem Engagement für den Klimaschutz!“

Geradezu obskur wirkt da auch Rohwers Anmerkung: „Zu einer stabilen Grundversorgung mit Energie brauchen wir die Braunkohle mit einem gut 20-prozentigen Anteil am Gesamtenergiemix noch mindestens 50 Jahre als Brückentechnologie. Wir können in Deutschland nicht gleichzeitig aus der Kernenergie und der Braunkohleverstromung aussteigen. Das gefährdet den Industriestandort Deutschland und die Arbeitsplätze in der Lausitzer Region.“

Da hat man das Kohle-Denken der sächsischen CDU in Reinkultur. Nicht einmal die Bundesregierung geht davon aus, dass in Deutschland noch länger als 40 Jahre lang Kohle zu Strom gemacht wird. Rohwer ist der Erste, der jetzt gleich mal 50 Jahre haben will.

Dabei schwimmen den Kohlekonzernen schon jetzt wirtschaftlich die Felle weg.

Logisch, dass sich die Linkspartei postwendend gegen die Unterstellungen der CDU-Politiker verwahrte.

Auch die Linke will das Thema jetzt im Landtag sehen

„Die haltlosen Vorwürfe der CDU-Fraktion grenzen an üble Nachrede und werden von uns scharf zurückgewiesen. Die Behauptung des Applauses für Gewalt ist eine Unverschämtheit und widerspricht schlicht den Tatsachen. Es handelt sich um den billigen Versuch, vom eigenen Versagen in der regionalen Strukturpolitik durch Braunkohlefixierung abzulenken, indem Aktivist*innen der sozialökologischen Energiewende kriminalisiert werden“, sagt Marco Böhme, klimapolitischer Sprecher der Linksfraktion im Landtag. „Wir haben vielmehr vermittelnde Gespräche mit der Polizei geführt, die im Übrigen ganz überwiegend deeskalierend und vernünftig gehandelt hat. So wie auch die große Masse friedlicher Besetzer*innen, die keine Zerstörungen, sondern ein klares politisches Signal hinterlassen haben.“

Und dann spricht er das eigentliche Thema an, das hinter den sinnfreien Anwürfen der CDU-Politiker steckt: Eine politische Macht-Haltung, die Proteste auf den Straßen nicht nur ignoriert (was selbst die kurzgehaltenen Staatsdiener immer wieder erleben durften), sondern auch immer wieder kriminalisiert. Politischer Dialog ist das nicht gerade.

„Wer wie die CDU zivilen Ungehorsam als ‚Gewaltausbruch‘ denunziert, hat nicht begriffen, wie die Zivilgesellschaft in der Demokratie funktioniert. Das aber ist bei der sächsischen CDU nichts Neues, die mit ihrer gnadenlosen Ausgrenzungsstrategie gegen jede Form der Aufmüpfigkeit für die schwere Krise der demokratischen Kultur in Sachsen Verantwortung trägt“, sagt Böhme. „Darüber sollte in der Tat immer wieder auch im Landtag gesprochen werden. Die politischen Beobachter*innen der Linken bei den Aktionen ‚Ende Gelände‘ werden am Beispiel dieses Pfingstwochenendes in der Lausitz gerne anschaulich erzählen, wie gewaltfreier, demokratischer Protest funktioniert. Parlamentarische Beobachter*innen sind nicht nur notwendig, um das Handeln der Polizei und von Vattenfall zu sichten, sondern auch, um auf Aktivist*innen so einzuwirken, dass ihre Aktionen friedlich verlaufen. Genau dafür waren wir vor Ort, und genau das haben wir im Rahmen unserer Möglichkeiten umgesetzt.“

Ob die Proteste wenigstens ein Umdenken in der sächsischen Kohlepolitik bewirken? Böhme bezweifelt es: „Solange Sachsen ein klimafeindlicher Bremsklotz bei der Energiewende ist, bleibt Protest notwendig. Die Aktionen haben erfolgreich gezeigt, dass ein nationales Kohleausstiegsgesetz und geregelter Strukturwandel dringend notwendig sind, um Beschäftigten, Unternehmen und Kohlerevieren eine Perspektive zu geben, statt diese weiter gegen Klimaschutz und die Gesundheit der Menschen auszuspielen.“

Grüne: Auch die Braunkohlefreunde haben augenscheinlich überreagiert

Wichtigstes Signal des Wochenendes, so der sächsische Grünen-Vorsitzende Jürgen Kasek, sei nun einmal ein überwiegend friedlicher Protest : „Die vielfältigen Proteste gegen die Braunkohlenutzung in der Lausitz haben vor allem eines deutlich gezeigt: Die Menschen wollen, dass auch Sachsen aus der Braunkohle als klima- und umweltschädlichem Energieträger aussteigt! Die sächsische Staatsregierung muss den Klimaschutz und die Energiewende viel entschlossener als bisher vorantreiben. CDU und SPD müssen den Braunkohleausstieg endlich einleiten sowie den sich bereits vollziehenden Strukturwandel in der Lausitz gestalten.“

Dass einige Akteure die Grenzen überschritten, hat auch er registriert. Aber eine aus dem Ruder gelaufene Aktion, wie von Vattenfall beschrieben, war es nicht.

„Die Aktionen von ‚Ende Gelände‘ waren bis auf die Betretung des Kraftwerksgeländes ‚Schwarze Pumpe‘ diszipliniert und dezidiert friedlich. Das Betreten des Tagebaus stellte auch nach Ansicht der Staatsanwaltschaft zu Recht keinen Hausfriedensbruch oder eine Nötigung dar. Auch die Polizeikräfte haben im Wesentlichen zurückhaltend und damit deeskalierend agiert“, so Kasek auch zur wichtigen Rolle der Polizei.

Dafür haben sich einige Braunkohle-Verfechter daneben benommen, weiß er zu berichten.

„Offensichtlich unfriedlich war die Vorgehensweise der Braunkohlefreunde, die in der Nacht von Samstag zu Sonntag Demonstranten angriffen und Journalisten bedrängten. Dass darunter offenbar Mitarbeiter des Werkschutzes von Vattenfall und Gewerkschaftsmitglieder der IG BCE zusammen mit Neonazis agierten, ist skandalös! Ich erwarte eine Erklärung von Vattenfall und der Gewerkschaft IG BCE zu den gemeinsamen gewaltsamen Protesten ihrer Braunkohlebefürworter mit Rechtsextremen“, sagt Kasek. „Die Versuche von Seiten der Kohle-Lobbyisten im Nachgang den Antikohle-Protest vom Pfingstwochenende zu kriminalisieren sind durchschaubar und können die Hilflosigkeit der Braunkohlefreunde in den Landesregierungen Brandenburgs und Sachsens nicht kaschieren. Beiden Regierungen fehlen Konzepte für einen geordneten Kohleausstieg.“

Für ihn besteht der Skandal nicht darin, dass tausende Menschen friedlich für ein Ende der Braunkohlenutzung demonstriert haben. Der eigentliche Skandal sei, dass im 21. Jahrhundert die Umwelt in der Lausitz in gigantischem Ausmaß zerstört werde und dass Menschen für die klimaschädliche Braunkohlenutzung umgesiedelt würden.

„Den Menschen in der Lausitz wird durch das verantwortungslose Agieren der Landesregierungen in Sachsen und Brandenburg die Zukunft und der notwendige Strukturwandel verweigert“, kitisiert er. „Wir Grüne haben bereits im letzten Jahr unser Konzept ‚Perspektiven für die Lausitz nach der Kohle‘ gemeinsam mit den Menschen vor Ort erarbeitet und Wege zur Gestaltung des Strukturwandels in der Region aufgezeigt. Wir wollen durch einen Kohleausstiegsplan den Prozess des allmählichen Auslaufens der Kohleverstromung zuverlässig planbar machen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Unternehmen, Beschäftigte und Investierende sich auf Herausforderungen und Chancen von morgen vorbereiten können. Wir fordern, auf Bundesebene den schrittweisen Kohleausstieg in die Wege zu leiten, um den betroffenen Regionen Planungssicherheit zu geben und das Auslaufen der Kohleverstromung zuverlässig und sozialverträglich zu gestalten. Die Menschen und die Wirtschaft in der Lausitz dürfen nicht länger in Unklarheit und Unsicherheit über ihre Zukunft gelassen werden.“

Die Aktionsgruppe „Ende Gelände“ ist Teil der internationalen Aktionswelle „Break Free from Fossil Fuels“. Nicht nur in Deutschland leisteten tausende Menschen Widerstand. Weltweit war der Widerstand auf fünf Kontinenten noch weit größer gegen die fossilen Infrastrukturen. So blockierten sie in Brasilien das größte Kohlekraftwerk des Landes, im kanadischen Vancouver demonstrierten hunderte von Menschen in Kayaks gegen die Verschiffung von Öl, das mit krassen Umweltfolgen aus Teersanden gewonnen wurde.

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