VideoWie lässt sich eine Theaterproduktion ohne einen festen Probenraum am besten organisieren? Wie viel Stunden Proben ist einer Schauspielerin noch zuzumuten, die gerade von ihrer Frühschicht bei einer Bäckerei kommt? Und wie verfährt ein Kontrabass-Spieler, der kein Geld hat, um den Transport seines Instrumentes für seinen nächsten Auftritt zu finanzieren? Am 22. November forderten Leipziger Kunstakteure in der oberen Wandelhalle vor der Stadtratsversammlung endlich die finanzielle Würdigung ihres Wirkens in Leipzig beim Haushaltsplan 2019/20 ein.

Als KünstlerIn ist man ja bereit, vieles auf sich zu nehmen, viel (Geld) für die Kultur der Stadt, in der man lebt, zu investieren. Aber wann ist das finanzielle Limit, die persönliche Schmerzgrenze erreicht? Und wenn es soweit ist, was dann? Aufhören? In eine andere Stadt ziehen?

Tatsächlich gibt es nicht wenige freischaffende Künstler, die mittlerweile außerhalb Leipzigs arbeiten, weil sie dort angemessen bezahlt werden oder wenigstens ein Mindesthonorar für ihre Arbeit erhalten. Und ebenso gibt es Künstlerinnen, die nach jahrelangem Kampf für sich einen Schlussstrich gezogen haben und von der Bühne für immer verschwunden sind.

Dabei wurden längst genügend Argumente aufgezählt, um den dringend notwendigen Paradigmenwechsel in der Kulturpolitik einzuleiten, der Kampf ist mittlerweile quasi drei Kulturbürgermeister alt, 10 Jahre mindestens. Die Argumente der Kulturschaffenden sind immer konkreter geworden: die „Umwegrendite“, die die etwa 300%ige Rendite für die Stadt durch Hotelunterkünfte, Gaststättenbesuche etc. im Zuge des Besuches einer Kulturveranstaltung in der Freien Szene bezeichnet.

Oder der Fakt, dass mehr als die Hälfte des kulturellen Lebens der Stadt Leipzig in der Freien Szene stattfindet. Von der musischen Bildung ganz zu schweigen.

Zudem ist auch bekannt, dass sich über eine Kulturförderung durch die Stadt Leipzig zusätzliche Gelder über das Land und den Bund akquirieren ließen, was im Umkehrschluss auch bedeutet, dass derzeit viel Geld, das von Bund und Land zur Verfügung stünde, ungenutzt bleibt.

Mittlerweile hat die Stadt Leipzig das Potential der Freien Szene und den Handlungsbedarf erkannt, weshalb bei der letzten Stadtratssitzung die Fraktionen von Grüne, Linke und SPD zusammen eine Aufstockung des Etats für die Freie Szene um 3,6 Millionen Euro beantragt hatte, was der Mindestforderung der Initiative Leipzig Plus Kultur entspricht.

Bis zum Haushaltsentschluss Anfang 2019 ist es aber noch eine ganze Weile hin, doch ab jetzt geht es in die finalen Debatten. Die Initiative wird deshalb bis dahin regelmäßig Gespräche mit der Stadt führen, mit ihrer Kampagne #kulturstark auf sich aufmerksam machen und ihren Forderungen Nachdruck verleihen.

Kunstaktion „Das Verschwinden” am 22. November 2018

Die heutige Stadtratssitzung wurde zum Anlass genommen, um nach der Aktion Das Bild nun zum zweiten Mal das Rathaus „in einen surrealen, verblüffenden und berührenden Ort zu verwandeln, dessen Zauber sich niemand entziehen kann“, wie es die Bildende Künstlerin und Performerin Diana Wesser formuliert, die die Aktion zusammen mit Falk Elstermann leitet.

Der Titel „Das Verschwinden“ bringt das Wesen der Aktion und damit die ganze Thematik auf den Punkt: 20 einzelne Akteure aus den unterschiedlichen Sparten der Freien Szene zeigten ab 12 Uhr überall im Rathaus verteilt Ausschnitte aus ihrem künstlerischen Schaffen.

Gesangseinlagen, Choreographien, musikalische Darbietungen, Tanz, Theaterproben, Performances, während den vorübergehenden Stadträten kleine goldene Zettel mit Botschaften wie diesen übereicht wurden: „Unser Stück ist ausverkauft, aber wir müssen es trotzdem absetzen, weil die Eintrittseinnahmen nicht ausreichen, um die Künstler zu bezahlten.“

Die Performance vor dem Ratssaal am 22. November 2018. Video: L-IZ.de

Oder „Die Mieten steigen, meine Honorare aber nicht“. Dann brachen ihre Aufführungen abrupt ab. Jeweils eine Handvoll Konfetti blieb auf dem Boden als Sinnbild für die aus der hiesigen Kulturlandschaft verschwundenen künstlerischen Arbeiten zurück.

Gegen 14 Uhr, kurz vor dem Beginn der heutigen Stadtratssitzung, mündeten die Einzelbeiträge in der Halle vor dem Sitzungssaal in eine kollektive kakophonische Performance, die mit dem Abfeuern einer Konfetti-Kanone schlagartig beendet wurde und am Ende nichts als Stille und Stillstand hinterließ.

Die dritte Kunstaktion der Kampagne #kulturstark findet am 12. Dezember um 13 Uhr in der oberen Wandelhalle des Rathauses statt und trägt den Titel „Die Leere“. Dann werden die Stadträte erneut zu einer Versammlung zusammentreten. Die Kunstschaffenden Leipzigs werden da sein.

Weitere Infos zur Initiative Leipzig Plus Kultur und die Kampagne #kulturstark

Doppelhaushalt 2019/2020: Grüne, Linke und SPD beantragen Erhöhung des Etats für die Freie Szene um 3,6 Millionen Euro

Grüne, Linke und SPD beantragen Erhöhung des Etats für die Freie Szene um 3,6 Millionen Euro

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