Das Gefühl, da fehle doch was, kam schon am Donnerstag, 4. Dezember, auf, als im Zeitgeschichtlichen Forum die Ausstellung "Unter Druck! Medien und Politik" eröffnet wurde. Die Ausstellung selbst ist eine Wucht. Mächtig gewaltig, würde Egon von der Olsenbande sagen. 65 Jahre deutscher Mediengeschichte. Die DDR hat ein kleines Plätzchen gefunden, eine Art kleine Giftkammer gleich hinterm Springer-Hochhaus. Und im Begleitbuch versucht Anne Martin ein bisschen zu erklären, warum das so ist. Die Erklärung erklärt nichts.

Sie macht nur deutlich, wie sehr auch die Zeithistoriker heute noch immer mit Scheuklappen durch die Welt laufen und Geschichten erzählen. Falsch ist die Geschichte von der fehlenden Pressefreiheit in der DDR nicht. Problemlos kann man “Neues Deutschland”, “Berliner Zeitung” und LVZ nebeneinander klatschen und sieht: Es ist überall der selbe Schematismus, die selbe durchgestellte Parteisprache – nicht immer ganz dieselbe Inhaltslosigkeit. Was nicht an den Journalisten in der DDR lag und auch nicht an ihrer Ausbildung, die wohl – vom ideologischen Ballast abgesehen – genauso hochkarätig war wie im Westen (worüber im Buch Michael Meyen und Sergej Lochhofen erzählen), sondern an der strammen Befehlshierarchie, die die journalistischen Freiräume drastisch reduzierte.

An dramatische Enthüllungskampagnen, wie sie “Stern”, “Spiegel” & Co. im Westen fuhren, war gar nicht zu denken. Chefredakteure und Autoren verloren schon für viel weniger ihren Job. Was aber nicht heißt, dass die gesamte Presselandschaft so primitiv und eintönig war, wie sie hier dargestellt wird. Das wird in der Ausstellung zumindest mit dem Probeheft des Nachrichtenmagazins “Profil” angedeutet, das 1964 entwickelt wurde und ein ostdeutsches Pendant zum “Spiegel” hatte werden sollen – nur wollten das “die da oben” (zum Beispiel Walter Ulbricht) – ganz und gar nicht. Man wollte lieber hineinregieren in Presse, Kultur, Literatur. Nur ja keine offene Diskussion zulassen.

Und das hätte eigentlich die Stelle sein müssen, an der Buchredaktion und Ausstellungsmacher hätten munter werden müssen. Denn nicht die Parteipresse ist das Pendant zur freien Medienlandschaft im Westen, sondern der staatliche Versuch, Medienfreiheit zu beschneiden. Im Buch übrigens für die alte Bundesrepublik mehrfach thematisiert in Bezug auf das “Bundespressegesetz” aus den 1950er Jahren, die “Spiegel-Affäre” von 1962, den Versuch Adenauers, ein Staatsfernsehen zu schaffen, aber auch später noch die zahlreichen Versuche verschiedener Politiker, mit juristischen Mitteln gegen Presseberichterstattung vorzugehen. All diese Vorgänge tauchen in Texten und Interviews immer wieder auf, wie eine liebevoll bewahrte Legende der eigenen Kämpfe. Im Westen.

Der Osten aber? Hatte der sowas auch?Nur sucht man diese Geschichten im ND oder anderen parteieigenen Zeitungen eher umsonst. Es sei denn, man sucht die Beiträge, die direkt aus dem Zentralkomitee der SED platziert wurden und mit denen Kampagnen ganz anderen Kalibers entfacht wurden – gern gegen missliebige Musik, Literatur oder Zeitschriften, die aus der Reihe tanzten. Auch das gab es.

Legendär sind die Vorgänge um den vom Kulturbund herausgegebenen “Aufbau” und die ebenfalls vom Kulturbund herausgegebene Zeitschrift “Sonntag”, beides Publikationen, in denen sich die kritischen Köpfe der frühen DDR versammelten und die deshalb ins Fadenkreuz der um ihre Macht kämpfenden Ulbricht-Gruppe gerieten. Mit drastischen Folgen für Redakteure und Autoren. Ähnliche Vorgänge wiederholten sich bei der von der Akademie der Künste herausgegebenen “Sinn und Form”. Wenn man nur die kirchlichen Zeitungen und die Samisdat-Publikationen der DDR als Ausnahme von der Parteiregel benennt, wird man dem Thema nicht gerecht – und kastriert die DDR-Mediengeschichte um ihre wertvollsten und besten Teile.

Dazu gehören auch die immer so gern als angepasst beleumundeten Publikumszeitschriften, die in der DDR die ganze Zeit unter strengster Beobachtung standen. Ihre Chefredakteure saßen auf Schleudersitzen und versuchten – mal mutiger, mal vorsichtiger – die noch genehmigten Freiräume auszuloten. Das gilt nicht nur für die späte “Sinn und Form”, das gilt auch für den “Eulenspiegel”, das “Magazin” und die “Wochenpost”. Natürlich ändert sich das Umfeld für Journalismus völlig, wenn eine Medienlandschaft so komplett durchherrscht wird. Die besten Journalisten wichen aus, versuchten sich in anderen Formaten, die nicht ganz so direkt der Befehlskette der SED unterstanden. Exemplarisch im Begleitband zur Ausstellung zumindest erwähnt ist der Moderator Gerhard Scheumann, der nach zwei Jahren Gängelei das innenpolitische Magazin “Prisma” aufgab und sich zusammen mit Walter Heynowski lieber ganz dem Dokumentarfilm verschrieb.Das gehört einfach dazu, wenn man auch für die DDR das Thema “Medien und Politik” aufmacht – genauso wie hier Namen wie Landolf Scherzer, Daniela Dahn, Jutta Voigt oder Heinz Knobloch hingehören. Wenn sich tatsächlich mal jemand in das Metier vertiefen würde, würden noch weitere Namen auftauchen. Dann würde auch eine journalistische Szenerie sichtbar werden, die der Avantgarde in der alten Bundesrepublik in nichts nachstand. Nur dass sie wesentlich weniger Publikationen zur Verfügung hatte, in denen sie agieren konnte.

Nur spielte das im Herbst 1989 natürlich keine Rolle, als ND und Karl-Eduard von Schnitzler als Feindbild auf den Transparenten erschienen. Dafür war den Demonstranten sehr wohl die Rolle des verbotenen “Sputnik” bewusst, der zwar aus der Sowjetunion kam – aber was war die Berichterstattung über Stalins Machenschaften anderes als ein endlich publizierter politischer Skandal, der auf seine Weise zum Sturz der DDR-Regierung beitrug?

Und damit hört das Gefühl, dass die Ausstellung “Unter Druck!” und auch das Begleitbuch nur die Hälfte erzählen, nicht auf. Denn das geht im Herbst 1989 weiter, als die Reporter der Jugendsendung des DDR-Fernsehens “Elf 99” nach Wandlitz marschierten und den DDR-Bürgern einmal zeigten, wie die SED-Führung abgeschottet in der Waldsiedlung gelebt hatte. Dem folgten noch einige Sendungen, die alle Grundmuster einer ordentlichen Berichterstattung und einer erfolgreichen Kampagne, auf die westliche Journalisten so stolz sind, erfüllten.

Und es gab auch im Osten mehrere engagierte Medienprojekte, die die Chance nutzten, nun nach dem Herbst 1989 den kritischen Journalismus zu machen, der vorher unerwünscht war. Was eine weitere Frage aufwirft, die weder in Ausstellung noch Buch behandelt wird. Denn ob nun die “Wochenpost”, die diversen “Anderen Zeitungen” (von denen eine auch in Leipzig erschien) oder die ernsthaften deutsch-deutschen Zeitungsprojekte wie die “Wir in Leipzig” oder “Die Woche” – sie alle scheiterten nicht an der Aufmerksamkeit ihrer Leser, sondern an der teilweisen Komplettverweigerung von Anzeigenkunden oder der rigiden Marktabschottung dessen, was auch im Buch so leichthin Marktmonopolisten genannt wird. Kritischer Journalismus wird nicht nur von Staatsfunktionären in die Mangel genommen, die geradezu zufrieden sind, wenn das, worauf sie Einfluss haben, im modernen Unterhaltungsbrei ersäuft – wie der größte Teil des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks, der sich seit 1984 unübersehbar dem Quotendruck der Privatsender angepasst hat.

Aber Quotendruck heißt eben auch: Anpassung an das ausgemittelte Level, an den Durchschnitt, der sich schon qua Masse durchsetzt, wenn man reineweg auf Quoten schielt.

Wohin das führen kann, dazu mehr im zweiten Teil der Besprechung
Eine Besprechung in zwei Teilen (2): Politik als Show oder Wer schafft heute überhaupt noch Öffentlichkeit?

Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) “Unter Druck! Macht und Politik”, Kerber Verlag, Bielefeld 2014, 19,90 Euro

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