Die Geschichte ist ein großes Bergwerk, aus der sich Autoren historischer Romane bedienen können, so viel sie wollen. Das haben schon Alexandre Dumas und Walter Scott getan. Bekanntlich mit Erfolg. Und irgendwie ist der historische Roman seit ein paar Jahren zu einer eigenen Erfolgsgeschichte geworden: Autoren und Leser stürzen sich in wachsender Schar in ferne Vergangenheit. 1.000 Jahre dürfen es schon sein. Wie in der Trilogie von Claudia und Nadja Beinert.

Die beiden Schwestern, 1978 in Staßfurt geboren, gehören zur mittlerweile erstaunlich reichen Landschaft von Autorinnen des historischen Genres in Mitteldeutschland. Aber was heißt schon erstaunlich. Es gab ja Zeiten, da wurde diese Region als die Herzkammer Deutschlands bezeichnet. An allen Ecken und Enden stößt man auf die steinernen Zeugen der frühen deutschen Geschichte. In jedem Schulgeschichtsbuch schillern die Namen Merseburg, Gernrode, Magdeburg, Quedlinburg, Heldrungen, Anhalt und Naumburg. Wer hier sucht, der findet auch. Und hat die Wahl: Erzählt er streng an den historischen Befunden – die leider (die Leipziger können ja ein Lied davon singen) etwas dünn gesät sind, – oder macht man es wie Claudia und Nadja Beinert und füllt die (möglichen) Lücken mit Phantasie und gibt noch einen großen Schuss Liebe, Dramatik und Leidenschaft hinzu?

Die zweite Variante hat den Vorteil: Man kann sein Personal erweitern und noch viele neue Handlungsstränge einbauen – so dass aus einer historisch rudimentär verbürgten Geschichte am Ende eine Trilogie mit drei dicken Büchern wird. Band 1 erschien 2013: “Die Herrin der Kathedrale”. Er stellte den Bau des ersten Naumburger Doms in den Mittelpunkt der Handlung und setzte damit auch schon die wichtigste Hauptfigur in Szene: Uta von Ballenstedt, auch Uta von Naumburg genannt und gern mit jener ätherischen Stifterfigur im Naumburger Dom identifiziert, die eine Königskrone trägt und neben dem Burschen platziert ist, auf dessen Schild der Name “Echartus” prangt. Auch wenn vieles dafür spricht, dass ausgerechnet dieses Stifterpärchen eher Hermann und seine früh verstorbene Gemahlin Reglinda (oder Reglindis), Tochter des Polenkönigs Boles?aw I. Chrobry, zeigt. Die Historiker streiten sich. Denn Manches deutet darauf hin, dass die Schildbemalung erst im 16. Jahrhundert zustande kam, Eckehard also zum Hermann wurde und umgekehrt. Und damit wurden auch ihre Gemahlinnen falsch zugeordnet.Bedenken freilich darf man auch, dass die heute so berühmten Stifterfiguren erst im 13. Jahrhundert entstanden und wohl eher keine Ähnlichkeit mit den Herrscherpaaren der Mark Meißen aus dem 11. Jahrhundert haben. Wobei es beim Lesen nun dieses zweiten Bandes um die Naumburger Kathedrale einen erstaunlichen Effekt gibt: Man hat mit der hier handelnden Uta nicht einmal diese ätherische blonde Schönheit vor Augen, die die Naumburg-Reisenden neben “Echartus” sehen, sondern die andere, freundliche und souveräne Gestalt, die zumeist als Reglindis zugeordnet wird.

Das liegt auch daran, dass man es in diesem Band eindeutig mit einer Frau im reifen Alter zu tun hat, noch schön, noch voller Lebenslust und mit dem unbändigen Willen, ihre Liebe auch leben zu dürfen. In diesem Fall nicht die zu Markgraf Ekkehard von Meißen, mit dem die richtige Uta aus Ballenstedt ungefähr ab 1026 vermählt war. Die Ehe blieb kinderlos. Und die Heirat war keine Liebesheirat, sondern eine – wie damals üblich – aus machtpolitischem Kalkül. Uta war die Tochter des Markgrafen Hodo und ihr Bruder war kein geringerer als Esico, der Stammvater der Askanier. Hier verbanden sich zwei wichtige Markgrafengeschlechter, auch wenn das den Ekkehardinern nicht viel nutzte, da Utas Ehe ja kinderlos blieb. Mit Ekkehards Tod 1046 erlosch das Geschlecht und der Weg der Wettiner wurde frei.

Ekkehards Bruder Hermann starb schon 1038. Wirklich gesund war die Lebensweise damals auch in den Burgen der Fürsten nicht. Auch Uta wurde nicht alt, starb wohl noch vor Ekkehard.

Mit dem ersten Naumburger Dom sind die drei trotzdem verbunden, denn Hermann war es, der dafür gesorgt hatte, dass der Bischofssitz vom damals auch durch die Machtkämpfe mit den benachbarten Fürsten in Polen und Böhmen gefährdeten Zeitz ins sicherere Naumburg verlegt wurde und wohl noch zu Lebzeiten Utas und Ekkehards auch der erste Dom gebaut wurde, wovon der erste Band berichtete. Die Handlung des zweiten Bandes legen die beiden Autorinnen ins Jahr 1038, versuchen auch im Nachwort zu erklären, warum es sie gereizt hat, ihre Hauptfiguren weiterleben zu lassen. Denn 1038 ist Hermann, der 1032 schon die Regierung in die Hände seines fünf Jahre jüngeren Bruders gelegt hatte, gestorben. Mit 58 Jahren hatte er ein für das 11. Jahrhundert sehr übliches Alter erreicht. Als er sich 1032 aus dem weltlichen Leben zurückzog, hatte er viele Jahre eines kriegerischen Lebens hinter sich. Auch mit dem Merseburger Bischof Thietmar von Merseburg stritt er sich heftig, denn im Gau Chutici überschnitten sich ihre Herrschaftsinteressen. Zum Gau Chutici gehörte auch das von Thietmar erstmals urkundlich erwähnte Leipzig.

Naumburg (die “Neue Burg”) muss damals ganz ähnlich ausgesehen haben wie Leipzig. Claudia und Nadja Beinert sprechen zwar viel und gern von steinernen Burgmauern und Gebäuden. Sie haben sich – so ist es auch auf der Website des Verlages und auf der Website der beiden Schwestern nachzulesen – sehr intensiv mit der Zeit beschäftigt: mit Architektur, romanischer Kunst, Kleidung, Ernährungsweise, Eherecht. Mehr als andere Autoren des Genres, das merkt man beim Lesen.

Sie haben sich auch eifrig mit den politischen Unbilden der Zeit beschäftigt und versuchen, auch den Wissensstand mit einzubringen, was nicht einfach ist, denn es war eigentlich auch ein Zeitalter der Analphabeten. Selbst Fürsten konnten oft nicht schreiben, die Frage ist also auch berechtigt: Konnte die echte Uta aus Ballenstedt überhaupt lesen und schreiben? In dieser Geschichte ist sie nicht nur eine kluge Frau, die einen ganzen Dombau vorantreibt, sie ist auch belesen, kennt selbst die neuesten Werke der Zeit. Der berühmte Wipo, dessen “Geschichte Konrads” heute zu den wichtigsten mittelalterlichen Ãœberlieferungen gehört, tritt sogar selbst auf in dieser Geschichte – nebst einigen anderen überlieferten Gestalten dieses Zeitalters – wie Kaiserin Gisela, Heinrich III. oder dem aufmüpfigen Böhmenherzog Bretislav I.Und in die Geschichte von der Vollendung des Dombaus und die großen Umbrüche um die Machtübernahme Heinrich III. im Jahr 1039 haben Claudia und Nadja Beinert ihre Liebesgeschichte hineingewoben. Nach zehn Jahren kinderloser Ehe mit Ekkehard möchte Uta ihre Liebe zu Hermann leben. Das ist – das geben sie im Nachwort zu – reine Erfindung. Eine richtige Geschichte unter der Formel “Was wäre, wenn …”

Was wäre, wenn 1038 gar nicht das Todesjahr Hermanns ist, sondern nur das Jahr, in dem er einfach aus der großen Geschichte verschwindet, weil er seine Liebe zu Uta leben will? Was wäre, wenn es mit Uta genauso ist, deren genaues Todesdatum auch niemand kennt?

Eigentlich verweist das sogar schon auf Band 3 der Trilogie, denn der zweite Band ist eine Geschichte wie bei Dumas mit einem Ekkehard, der vom Scheidungsverlangen Utas gar nichts hält, mit einem Hermann, der unversehens verschwindet – und wenig später wird eine Leiche im Wald gefunden, die seine Kleider trägt, von Wölfen aber völlig verunstaltet ist. Ist er es? Hat er sich gar selbst umgebracht? Der Leichnam kommt auf den Schandanger. Nur Uta glaubt alledem nicht und tut alles, um die Identität des Toten aufzuklären, wofür sie sogar ein Verbot des Königs übertritt. Immerhin eine echte Kopfnuss für heutige Autoren: Wie kann man in die Rollen einer Zeit schlüpfen, in der teilweise noch alte germanische Rechtsregeln gelten, die Christianisierung aber schon so weit fortgeschritten ist, dass sie auch in die Welt von Königtum und Ehe eingedrungen ist?

Für die beiden Autoren auch eine Herausforderung, denn nicht nur in Uta zeichnen sie eine Frauengestalt, die sich gegen die beengenden Regeln ihrer Zeit auflehnt. Im Grunde ist der Roman gespickt mit solchen Frauengestalten – man begegnet der gebildeten Benediktinerin Alwine, der eigensinnigen Gesa vom Moorhof, aber auch Kaiserin Gisela ist eine kluge, machtbewusste Frau. Und auch die Gegenbilder fehlen nicht mit Äbtissin Notburga, die in ihrem Kloster ihre Herrschsucht auslebt, und deren Schwester Bebette, die keine Skrupel kennt, selbst ins Reich der Macht zu gelangen. Womit schon einige wesentliche Akteure in einer Geschichte benannt sind, in der sich alles verquickt – die Liebe, die Frömmigkeit, der Wille zur Macht, aber auch – und das schält sich im Lauf der detailreich erzählten Geschichte heraus – die Rachsucht. Denn um die Geschichte von Liebe und Macht entwickelt sich auch eine eigene Detektivgeschichte. Ohne Detektiv natürlich. Den Verursacher all der Vorfälle, die die Naumburger in Angst und Schrecken versetzen, müssen Uta und ihre Getreuen schon selbst finden: Alwine, die auch weiß, wie man Leichen seziert, und das Kammermädchen Katrina, das auch bei den verdächtigen Benediktinern stöbert, denn eine Spur führt auch in dieses Kloster, sie helfen dabei.

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Die Kathedrale der Ewigkeit
Claudia Beinert; Nadja Beinert, Knaur Taschenbuch 2014, 9,99 Euro

Manches geht augenscheinlich bedächtiger voran als in heutigen Krimis. Es gab ja keine Zeitungen, die solche Vorfälle skandalisierten. Und dass die Naumburger immer mehr in Panik geraten, hat ein paar andere Gründe, die auch so lange mysteriös sind, bis die beharrlich nachforschenden Frauen dem eigentlichen Verursacher auf die Schliche kommen.

Am Ende spitzt sich alles auf ein großes, feuriges Gericht im frisch ausgemalten Dom zu, da lassen es Claudia und Nadja Beinert so richtig krachen und machen sich auch noch ein kleines Pförtchen auf, um ihre liebenden Helden in den dritten und letzten Teil ihrer “Kathedralen”-Geschichte entspringen zu lassen.

Die Website von Claudia und Nadja Beinert: www.beinertschwestern.de

Die Themenseite des Verlages: www.droemer-knaur.de/buch/7938140/die-kathedrale-der-ewigkeit

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