Wenn ein Büchlein direkt aus dem Vatikan kommt, dann steht das gar nicht extra drauf. Oder drin. Etwa wenn es um Herausgeber oder Übersetzer geht. Die Quelle muss für alles stehen. Sie seht lütt als Copyright auf Seite 4: "Libreria Editrice Vaticana". Und das Büchlein mit den "Ermutigungen zur Nachfolge Jesu" gibt es wahrscheinlich parallel in allen Sprachen der Welt. Für alle, die "ihren Franziskus" in der Tasche haben wollen.

Tatsächlich begeistert der 2013 ins Papstamt gewählte Jorge Mario Bergoglio seine Anhänger. Nicht nur mit seinem direkten Bezug auf den heiligen Franziskus, sondern auch mit klaren und zuweilen ungewohnten Worten. Da hatten selbst seine beiden ebenfalls beliebten Vorgänger sich zumeist doch eher zurückgehalten, ihre Worte sehr vorsichtig gewählt, wohl wissend, dass nicht nur die eigenen Anhänger alles Gesagte und Geschriebene auf die Goldwaage legen. Auch “die Welt” tut es. Zumindest die westliche. Kaum ein großer Sender lässt sich die großen Feiertage in Rom entgehen, unterhält das (Rest-)Publikum daheim mit großen Kameraschwenks über den Petersplatz und stundenlangen Analysen dessen, was der Papst diesmal gesagt hat, angedeutet hat oder gemeint haben könnte.

Einiges davon wird binnen Stunden zum großen Medienwirbel. Und wo Benedikt auf samtweichen Sohlen ging, um ja niemanden zu erschrecken (und trotzdem ein paar Sensible geradezu aus dem Schlaf riss), ist Franziskus von Anfang an dafür bekannt, dass er auch manchmal redet, wie ihm gerade ist, aus dem Bauch heraus, nicht immer gleich druckreif oder auf die zarten Gemüter der Tugendhaften abgestimmt. Das erschreckte ja bekanntlich eine ganze Menge Leute im Vatikan, die sich schon an die andächtige Stille gewöhnt hatten, in der schon ein Räuspern für Aufmerksamkeit sorgte.

Nur hat das Räuspern ja keine Probleme gelöst – nicht in der Schweizer Garde, nicht in der Vatikanbank, nicht im Umgang mit eitlen Bischöfen. Einige dieser Probleme hat Franziskus ja bekanntlich angepackt, an anderen arbeitet er noch. Dass es erst zwei Jahre sind, die der Mann aus Südamerika sein Amt versieht, erstaunt schon. Die Texte in diesem Büchlein stammen aus dieser Zeit: Es sind Predigten, Ansprachen aus Generalaudienzen, Gebete und auch Reden, die Franziskus vor Jugendlichen oder vor Strafgefangenen hielt. Immer wieder beschwor er darin seine eigene Einstellung zum Glauben, zu seinem Leben als Christ. Aber das schließt auch eine zentrale Botschaft ein, die er oft und gern wiederholt – die der Nächstenliebe. Es ist ein moralischer Dreh- und Angelpunkt in seinen Kommentaren zur Welt, die zuweilen deutlicher und etwas ärgerlicher ausfallen als bei seinen Vorgängern. Sei es die Christenverfolgung, die er gleich im ersten Text, der wie ein Vorwort platziert ist, anprangert, sei es der Widerspruch zwischen aufgesetzter Reliogösität und fehlenden christlichen Taten.

Ist ja nicht so, dass er nur die Anderen mahnt. Viele der Ermahnungen, die auch in diesem Büchlein wahlweise erscheinen, hat er seinen eigenen Schäfchen ins Gesicht gesagt – über Karrieristen hat er gepredigt, über Gefühllose, die nicht bereit sind, das Kreuz der anderen zu tragen, über Herzlose, denen das Leid der Armen und Rechtlosen nicht mehr nahe geht, aber auch über die Gierigen und Geizigen, denen das Streben nach irdischem Reichtum wichtiger ist als ein Leben in christlicher Demut. Und in seiner Generalaudienz vom 21. Mai 2014 erklärte er den Zuhörern, wie er die Schöpfung liest – und dass er in der Bibel keine einzige Stelle gefunden hat, die dem Menschen das Recht gibt, Gottes Schöpfung zu zerstören.

Das Problem ist nur: Die, die es angeht, hören nicht zu.

Da geht’s zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus.

Franziskus hat die Genesis auch noch weiter gelesen. Da steht ja nicht nur, dass die Schöpfung gelungen ist. Da steht auch, dass auch der letzte Teil der Schöpfung gelungen ist: der Mensch. Für Franziskus schließt das die logische Frage ein: Wer nimmt sich dann das Recht, andere Menschen herabzuwürdigen und zu beschämen? Es steht nicht da, dass Gott Menschen unterschiedlicher Güte schuf.

Aber warum leben dann dennoch so Viele, die sich ein christliches Mäntelchen anziehen, auf Kosten anderer? Und das ist ein Punkt, an dem er auch die so fleißig um Audienz bittenden westlichen Staatsoberhäupter nicht auslässt. Am 24. März 2013 zum Beispiel hat er ihnen mal kurz die Köpfe gewaschen, ihnen und den von ihnen geduldeten falschen Idealen. “Wie viele Wunden schlägt das Böse der Menschheit! Kriege, Gewalttaten, Wirtschaftskonflikte, die die Schwächeren treffen; man muss es zurücklassen! Meine Großmutter sagte zu uns Kindern: Das Totenhemd hat keine Taschen -, Gewinnsucht, Machtstreben, Korruption, Spaltungen, Verbrechen gegen das menschliche Leben und gegen die Schöpfung! …”

Da dürfte dieser Papst so Manchem aus der Seele sprechen. Und so manches erschreckte Hasenherz aufscheuchen, auch künftig. Und für Irritationen sorgen wie gerade erst mit seinem Zitat eines Vaters, dessen Haltung er lobte: “Ich muss manchmal meine Kinder ein bisschen schlagen, aber nie ins Gesicht, um sie nicht zu erniedrigen.”

Perfekt ist er ganz bestimmt nicht. Und seine Vorgänger hätten sich einige Kommentare heftigst verkniffen. Die stehen auch nicht in diesem Büchlein, das überwiegend den aufmunternden, ermutigenden Ton anschlägt. Wer nicht vertraut, hat keine Stärke, der braucht einen Ersatz, all diese künstlichen Krücken fürs Prestige, die die Welt zerstören.

Und vielleicht traut sich ja die “Libreria Editrice Vaticana” auch die anderen Sprüche mal in ein Buch zu packen. Auch den zum Schlagen der Kinder. Denn der Widerspruch ist ja offenkundig. Am 6. August 2014 hat es Franziskus selbst benannt, als er die Seligpreisungen zitierte, eben das Neue, was er in Christus findet. Und eine dieser Seligpreisungen lautet nun einmal: “Selig, die keine Gewalt anwenden; / denn sie werden das Land erben.” Das gilt auch für Väter und Söhne. Und auch für den Papst.

Warten wir also mal, vielleicht traut er sich ja. Ein Papst, der seine eigene Unfehlbarkeit verkünden muss, ist er ja nicht.

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