Einer musste natürlich drauf kommen. Und dass es ein gebürtiger Ostfriese ist, ist wohl auch kein Zufall. Wenn man tagelang an sturmumtoster Küste in die brodelnden Elemente schaut, kommt man auf Ideen. Dann ist ein Buchstabendieb gar nicht so abwegig. Schon gar nicht in Fiesland, sorry, Friesland. Man kann gar nicht genug aufpassen.

Horst Klein ist Illustrator und Grafiker, malt gern mit Filzstiften, hat eine Frau und zwei Inder (schon wieder: Gibst du wohl das K zurück!), also Kinder und dürfte wohl auch den Herrn mit der Ganovenmaske bestens kennen. Das ganz besonders Fiese an dem Burschen ist: Wenn er Buchstauben kaut (schon wieder, gibt’s denn das? Gib das L wieder her!), also klaut, bleiben Wörter übrig, die etwas völlig anderes bedeuten. Wahrscheinlich lässt sich das im Deutschen so gut praktizieren wie in kaum einer anderen Sprache der Welt. Viele Worte sind sich so ähnlich in der Schreibweise, dass ein einziger gemopster Buhstabe (Nun reicht’s, Bursche; Gib das C wieder her!), also Buchstabe genügt, und schon hat man ein völlig anderes Wort da stehen. Mit allen Konsequenzen. Kaum glaubt man, die Ratte gefangen zu haben, merkt man mit Erschrecken, dass es eigentlich eine Rate ist, die man zu blechen hat. Kaum will man nach dem Stuhl greifen, um sich draufzusetzen, stellt sich heraus, man ist in Suhl gelandet. Ein Schecken ohne Ende. (Halt! Her mit dem R, du Spitzbube!), also ein Schrecken ohne Ede. (Wo kommt jetzt Ede her? Da fehlt schon wieder was!)

Kinder können sich stundenlang damit amüsieren, den Buchstabenklau an Wörtern zu praktizieren. Erst recht, wenn sie schon Scheiben gelernt haben in der Schule. (Wo ist das R! Gib’s sofort wieder her!). Also Schreiben und Lesen. Vorher hat man ja noch nicht so viel Ahnung davon, dass die Worte, die wir sprechen, aus lauter Buchstaben zusammengebaut sind. Und wenn man es weiß, vergisst so Mancher, dass das eigentlich eine witzige Idee ist. Auf die muss man erst mal kommen. Mancher vergisst sie gleich wieder – erst recht, wenn ihm in der Schule beigebracht wurde, dass man so schreibt, wie man spricht. Das ergibt zumeist Bockmist.

Aber ganz fürchterlich streng muss man die Buchstaben und das Alphabet ja nicht immer nehmen. Erst recht, wenn man das Alphabeet (Wo kommt denn jetzt das zweite E her?) erst lernen muss, ist ja auch nicht so einfach mit diesen sonderbaren Zechen (Kichert da jemand? Her mit dem I!), also Zeichen, die da ganz am Ende kommen: X, Y und … Wo ist denn der letzte Buchstabe? Hat sich da wieder jemand vergriffen? Na warte!

Wie man sieht: Wenn man den Mausedieb erst mal im Has hat, ist kein Buchstabe mehr sicher. Dann greift sich der Ösewicht, was er nur kriegen kann. Und übrig bleibt ein ziemlich verrücktes Alphabet, zu dem Horst Klein lauter witzige Bilder gezeichnet hat, die mit keckem Strich zeigen, was dabei herauskommt, wenn man der Jolle das J stiebitzt, dem Ball das B und der Kuscheldecke das D. Und so eiter, alle 25 Buchstaben durch von A bis …

Der letzte Buchstabe fehlt noch immer, liegt nicht unterm Tisch, klemmt nicht in der Tastatur. Dafür hört man ein fieses Kichern unterm Sofa. Holt man also die Aschenlampe, um mal ins Dunkle zu leuchten: Staub, Flusen, Spuren und zwei funkelnde Augen in in der Dunkelheit: Verbirgt er sich hinter einem Berg von Buchstaben? Leuchtet da ein O? Stapeln sich da die T? – Na warte, jetzt holen wir die Mausefalle, du Räuber! Du Ganove! Die Erbrecher!

Am Ende fällt Wehnachten aus, weil der Bursche mit dem Bart von Iren befallen ist und das Aus hüten muss.

Und dann gibt’s auch dieses etwas diebische Buch nicht als Geschenk. Zumindest für die kleinen Leser, die sich noch kringeln können, wenn sie über Orte stolpern, denen was fehlt. Ein W in diesem Fall, vielleicht auch ein T. Und mal ehrlich: Ein Stau ohne T ist einfach lebendiger, nicht so langweilig. Es sei denn, die Knirpse haben den verückten Buchstabendieb dabei und kichern sich auf der Rückbank den ganzen Achmittag durch, bis zum Sauende, wenn Papa endlich aufatmet und eiligst nach Hause fährt, um sich von einem Ausflug mit Kindern und Buchstabenklau zu  erholen.

Horst Klein: “Haltet den Die. Das verrückte ABC der geklauten Buchstaben, Klett Kinderbuch, Leipzig 2016, 9,95.

Das Buch erscheint am 18. März 2016.

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Es gibt 2 Kommentare

Eine wunderbar launige Rezension. Vielen Dank. Glückwunsch an das Leipziger Verlagsteam, vor allem aber Gratulation dem Zeichner Horst Klein zu dieser
Idee und ihrer Umsetzung. Er zeigt: Unsere Sprache macht uns am Ende reicher, wenn etwas fehlt.
Via Handy ist das nicht zu machen; die SMS berichtigt sich, zum Glück der Rechtschreibschwachen (hier sollte gleich ein SCH geklaut werden) oder von Leuten mit großen Fingerkuppen, selber.

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