Ab in den Norden. Das war dann irgendwie für Kommissar Heiner Trotzenburg der letzte Ausweg, um seiner Leipziger Misere zu entkommen, denn bei seinem letzten Fall ist so einiges schiefgegangen, was den Ermittler heftig in die Bredouille gebracht hat. Aber ganz schuldlos war er daran nicht. Trotzenburg ist wohl der emotional unausgeglichenste Kommissar, der je in Leipzig unterwegs war.

Möglicherweise liegt es daran, dass er so überhaupt kein Glück bei den Frauen hat. Während andere literarische Kommissare wenigstens noch so eine Art provisorisches Familien- oder Liebesleben haben, findet sich Heiner Trotzenburg mit über 50 Jahren als Single wieder und weiß irgendwo auch, dass er sein Privatleben eigentlich komplett der Polizeiarbeit untergeordnet und geopfert hat. Mit drastischen Folgen. Nicht nur fehlt die Schöne an seiner Seite, die den Trotzkopf wenigstens ab und zu wieder auf die Erde zurückholt, ihm fehlt auch jeder emotionale Ausgleich, wenn er wieder mal mit einem Fall befasst ist und völlig aufdreht.

Da ist er wie ein Bulldozer und verschont auch Zeugen und Informationsgeber nicht, droht ihnen schon gleich mit polizeilichen Maßnahmen, wenn sie auch nur zögern, bereitwillig Auskunft zu geben. Dass er sich dabei manchmal auch gründlich verrennt, das merkt er schon. Manchmal leider auch zu spät. Vielleicht hat er ja mit seinem neuen Assistenten Leberknecht endlich einen, der ihn bremsen kann. Mal sehen. Denn der Mordfall Ilonka Zulert ist der erste für den am Ende freundlich nach Meck-Pomm abgeschobenen Kommissar, bei dem er wieder voll aufdrehen kann.

Im ersten Trotzenburg-Krimi hatte Frank Kreisler ja angekündigt, dass er seine Krimihandlung verlegen wird an die Ostseeküste. Das könnte ja eigentlich heimelig werden, nicht ganz so brutal wie in Leipzig. Aber denkste. Was sich so gemütlich in einer netten Ostsee-Pension anbahnte, bekommt ganz schnell eine völlig neue Brisanz, als sich herausstellt, dass es Trotzenburg im schönen Boltenhagen auf einmal mit der Rauschgift-Kriminalität zu tun bekommt. Daher der schöne Name DrogenHanse, denn dass Drogen in gewaltigen Mengen auch nach Deutschland geschmuggelt werden, ist ja bekannt. Dass dahinter eine gut geölte Maschinerie steckt, die mit den gewaltigen Gewinnen aus dem Drogengeschäft auch ihre technischen Möglichkeiten immer mehr vervollkommnet, dürften zumindest die einschlägigen Spezialabteilungen der Polizei wissen.

Deswegen ist es schon ein wenig verblüffend, dass Trotzenburg einfach weitermacht, als er merkt, dass er es direkt mit der Drogenmafia zu tun hat. Normalerweise greifen an solcher Stelle dann die Landeskriminalämter zu. Aber aus dem klammen Sachsen, das an seinen Polizisten spart, ist Trotzenburg ins noch viel klammere Mecklenburg-Vorpommern geraten, wo augenscheinlich erst recht keine Reserven mehr zur Verfügung stehen, um im Drogenfall einfach mal zugeschaltet zu werden. Im Gegenteil: In Schwerin scheint man ganz froh zu sein darüber, dass Trotzenburg die Sache lieber allein durchziehen will. Da soll er sich nur noch die nötige Unterschrift in der Landeshauptstadt abholen, damit die Sache auch gerichtsfest ist.

Zustände, sagt da der besorgte Bürger im besorgten Leser. Denn genau auf diese Weise hat sich ja Trotzenburg schon in Leipzig kräftig in die Nesseln gesetzt. Die verantwortliche Politik erwartet zwar Einsatzbereitschaft, möglichst mehr, als bezahlt wird, aber wenn es dann schiefgeht, will keiner wirklich verantwortlich gewesen sein.

Aber wenn man das, was in den derzeit so beliebten Krimis so alles passiert, mit den Signalen aus der Wirklichkeit vergleicht, würde einen auch das nicht verwundern. Glück für Trotzenburg, dass die Tatortsicherung fleißig ist, Leberknecht spurt wie ein Rädchen und auch die IT-Truppe was draufhat. So kommt er dann dem Täter ganz am Ende doch noch auf die Spur, auch wenn er zwischendurch die Rauschgiftbanden an der Küste gehörig verärgert und dadurch auch ein paar Todesfälle verursacht hat, die ihm wahrscheinlich wieder eine Strafversetzung eingebracht hätten, wenn die Kollegen in Meck-Pomm genauso nachtragend wären wie die in Leipzig.

Sind sie aber nicht. Was den immerfort enervierten Sachsen durchaus zu denken geben dürfte: Die nordische Gelassenheit fehlt hierzulande fast völlig. Auch die viel zitierte „Gemiedlichkeit“ darf man eigentlich nur mit Anführungszeichen schreiben. Was einige Neulinge im Land nicht mal zu ahnen scheinen.

Es ist also eigentlich ein echtes aufbrausendes sächsisches Ermittlertalent, das Frank Kreisler da kurzerhand an die Ostseeküste versetzt hat, wo er sich auskennt, denn da wurde er ja geboren, bevor es den Autor vor vielen Jahren nach Leipzig verschlug.

Ob er bei seiner Schilderung der DrogenHanse überzieht, werden hinwiederum nur die Experten vom BKA und aus dem LKA wissen. Möglich erscheint das längst, denn da die närrischen Staaten des Westens Milliarden aufwenden, um den „Krieg gegen die Drogen“ immer mehr zu forcieren, und damit die Preise für die Drogen erst richtig hochjazzen, haben die Drogendealer natürlich exorbitante Gewinne, die nichts näherliegen lassen, als auch den Drogenimport zu perfektionieren und die Transporteure aufzurüsten mit modernster Hightech. Denn wer das Geld hat im florierenden Kapitalismus, der bekommt alles zu kaufen, was er haben will. Auch Polizisten – zumindest taucht der Verdacht kurz mal auf, als tatsächlich zwei tapfere Beamte sterben, weil die DrogenHanse mit brachialer Gewalt zu verhindern weiß, dass auch nur ein einziges Loch im Panzer des Schweigens entsteht.

Das eigentliche Dilemma in dieser Geschichte, die mit eindrucksvollen Rückblenden auch den mittelamerikanischen Dschungel und die rauen Wellen des Nordatlantiks ins Bild holt, haben eigentlich die Menschen, die aus Unverstand, aus Liebe oder auch nur finanzieller Bedürftigkeit ins Netz der Drogenkartelle geraten sind, wo andere Regeln herrschen und wo ein Aussteigen eigentlich nur noch auf eine Weise möglich ist: als Futter für die Haifische. Emotionen kann sich da eigentlich niemand leisten. Aber einige Akteure tun es trotzdem und setzen damit tragische Entwicklungen erst in Gang.

Und da Kreisler gern schon mal ankündigt, wo es das nächste Mal weitergeht, bereitet er seinen Leser schon mal darauf vor, dass die DrogenHanse dem so leicht zu echauffierenden Kommissar demnächst weiteren Ärger bereiten wird. Also nichts da mit netten, geruhsamen Ermittlungen in Boltenhagen oder Grevesmühlen oder in abgesperrten Naturschutzrevieren. Vielleicht ist es da ganz gut, dass Trotzenburg eher ein Einzelkämpfer ist, der sich nicht auch noch um die Sicherheit seiner Familie sorgen muss. Wer weiß.

In diesem Fall kommt er jedenfalls mal ohne Degradierung davon, kann den eigentlichen Fall aufklären und damit auch einen wirklich unsympathischen Burschen hinter schwedische Gardinen bringen. Und das auch nur, weil ein einziges Haar einfach in keine seiner Ermittlungsthesen zu passen scheint.

Frank Kreisler: DrogenHanse. Trotzenburg und der Weg des Schnees, fhl Verlag, Leipzig 2016, 12 Euro.

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